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Eine Armee aus Anti-Troll-Bots macht bei Twitter Jagd auf Sexisten

von Max Biederbeck
Adler King ist nicht gerade, was man eine Schönheit nennt. Seine Zähne stehen schief, er trägt Halbglatze und einen ausgeblichenen Anzug. Im Grunde ähnelt er genau dem, was man unter einem „angry old white man“ versteht. Aber das gehört zu seinem Geschäft, denn King ist Trainer. Einer für Trolle, um genau zu sein. Einer, der eine Armee hinter sich hat.

King will die Hassprediger des Internets Schritt für Schritt wieder in „decent human beeings“ verwandeln, frei übersetzt: in gepflegte menschliche Wesen. Und deswegen hält er seinen Schützlingen schon mit dem eigenen Aussehen das vor Augen, was sie für den Rest der Welt eben sind: hässliche, wütende Männer. Von King sollen die Trolle, all die Hater, Sexisten und Homophoben im Netz mithilfe von sechs Tutorial-Videos lernen, wie man sich benimmt.

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Angefangen mit der Selbsterkenntnis „Zero Denial“ im ersten Video über „Zero Hate“ zu „Zero Troll“. Und weil King sich nicht nur als Trainer versteht, sondern sogar als Guru, folgen ihm mittlerweile 160 weitere Twitterer. Sie tun nichts anderes, als im Internet nach Trollen zu suchen, um diese für Kings Trainingsprogramm zu werben. Dessen schlüssiger Name: „Zero Trollerance“.

Der Begriff Erziehungsprogramm beschreibt das Ganze recht gut, mit Betonung auf Programm. Denn King ist eigentlich gar kein echter Mensch, sondern nur ein Schauspieler in einer Rolle. Auch seine Co-Coaches auf Twitter sind nicht echt, sondern Bots, dazu programmiert, um eine der nervigsten Kulturen der digitalen Zeit mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Trollbots gegen Trolle sozusagen. In mindestens zwei Nachrichten am Tag schicken sie ihren „Opfern“ Hinweise wie: „Du hast dich gerade wieder wie ein Troll aufgeführt. Willst du dich bessern?“

„Die sozialen Netzwerke reagieren auf rassistische, sexistische und homophobe Äußerungen mit dem Blocken und Löschen von Accounts. Die kommen aber einfach unter anderem Namen wieder“, sagt Lia Rea (Künstlername) vom Peng! Collective, das hinter der Aktion steht. Seit Dienstagabend sind King und seine Trollbot-Armee in Wahrheit in ihrem Auftrag auf Twitter unterwegs. Die Aktion läuft noch bis zum Sonntag, 19. April. Hinter den Bots steht ein Programm, das jeden Tag bis zu 3000 Accounts auf Twitter als Troll-Profile identifizieren kann. Das funktioniert mit Sprachauswertung. Wer Sätze schreibt wie „Geh sterben, Schlampe“, „Scheiß Transe“ oder im englischen „Attention Seeking Whore“, der hat gute Chancen erfasst zu werden. Über 200 Wortkombinationen sind im Alghoritmus von Peng! zur Erfassung von Trollen eingetragen. Wer auf der Liste gelandet ist, bekommt schon bald Post von einem Bot, der einen zum Selbsthilfetraining auffordert. Blockiert oder ignoriert der Troll die Nachricht, folgt schon bald die nächste von einem anderen Fake-Programm. Auch wenn einer der Coaches gelöscht wird, taucht direkt ein neuer auf. Die ganze Woche über.

Im vergangenen Dezember hat Twitter bereits selbst auf die wachsende Zahl von Trollen in sozialen Netzwerk reagiert und strengere Kontrolle von Nachrichten und Profilen eingeführt. Doch die Maßnahmen blieben weitgehend wirkungslos. Auch Diskussionen wie #Gamergate brachten die Problematik zwar in die Öffentlichkeit, konnten aber Hasstiraden und Drohungen gegen Einzelne nicht aus dem Netz verbannen. Eine Studie des Studie Pew Research Center zeigt, dass ein Viertel aller Internet-Userinnen schon Opfer von digitalem Stalking und sexueller Belästigung geworden sind. Das Peng! Collective und sein Fake-Trainer King (gespielt von einem britischen Schauspieler) wollen das mit ihrer Aktion ändern.

Das Kollektiv aus Berlin existiert seit rund zwei Jahren und hat schon früher mit digitalen wie analogen Hoaxes gesellschaftliche Kritik geübt: Nicht nur sprengten sie eine Greenwashing-Veranstaltung von Shell, auch gaben sie sich auf der re:publica 2014 als Google-Vertreter aus und stellten dort ihre Fake-Produkte vor. Kurz vor Weihnachten 2014 verschickten sie massenhaft Pro-Abschiebungs-Weihnachtskarten im Namen von Angela Merkel. Die Mitglieder stehen damit in der Tradition der englischsprachigen Yes-Men und des Zentrums für politische Schönheit aus Berlin. „Wir wollten mit unserer neuen Aktion ein Ausrufezeichen gegen die Hexenjagd in Online-Foren setzen“, sagt Lia Rea.

Über dieses Ausrufezeichen werden sich in der kommenden Woche weltweit viele Twitter-Trolle wundern. Neben deutschen und englischen Usern filtert der „No Trollerance“-Algorithmus auch pakistanische, indische und südafrikanische Sexisten aus dem Netz, um sie mit Tutorials zu bombardieren. Nach dem Ende der Aktion planen die Macher, das Programm als Open-Source-Variante zur Verfügung zu stellen. So sollen einzelne User mit ihrer eigenen Trollbot-Armee in Zukunft gegen Diskriminierung vorgehen können. 

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