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Wie Hashtags unser Meinungsbild beeinflussen können

von Johnny Haeusler
Unser Kolumnist Johnny Haeusler ist eher faul, wenn es um die Nutzung von Hashtags geht, manchmal aber vermeidet er sie auch sehr bewusst. Welche Auswirkungen das auf die Wahrnehmung von Stimmungsbildern in den sozialen Medien haben kann, beschreibt er diese Woche.

Es war nach den Ereignissen in Chemnitz, als die Fraktionsvorsitzende von B'90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckhardt, mit Jörg Meuthen, dem Bundessprecher der rechtsextremen Partei AfD, im TV diskutierte. Die Sendung Dunja Hayali vom 5. September ließ mich als Fernsehzuschauer fassungslos zurück.

Endlose Minuten lang konnte Meuthen einen Quasi-Monolog halten, dem Göring-Eckhardt erschütternd wenig entgegenzusetzen hatten. Scheinbar unvorbereitet und unverständlicherweise beinahe überrascht ließ es auch Dunja Hayali zu, dass Meuthen weitestgehend unwidersprochen die üblichen AfD-Unwahrheiten, -Ausflüchte und brachial zusammengeschusterten Theorien von sich geben konnte. Als er dann noch meinte, sich über Feine Sahne Fischfilet aufregen zu müssen (die eine Punkband sind, du Trottel!) und ihn dafür niemand auslachte, war ich kurz davor, mein Fernsehgerät aus dem Fenster zu schmeißen. Nichts von dem, was Meuthen sagte, war neu. Auf jede einzelne Aussage, auf jeden Spin hätte man locker vorbereitet sein können, um ihn auseinanderzunehmen. Das tat aber leider niemand.

Meuthens Meute

Ich weiß, wie schwierig es ist, im TV eine gute Figur abzugeben. In wenigen Sekunden die gezielt gesetzten, treffenden und den Gegner entlarvenden Worte zu finden. Aber was sollen Politik- und Medienprofis denn sonst gelernt haben, wenn nicht das? Während Meuthen die Hälfte seiner Statements vom Zettel ablas und auf jede ihn konfrontierende Studie einfach mit „Das stimmt nicht“ konterte, während er wahl- und zusammenhangslos Zitate in einen nicht vorhandenen Kontext stellte, wirkten seine Gegenüber geradezu hilflos. Klar macht einen die Dreistigkeit der AfD-Sprache manchmal sprachlos. Aber mit Sprachlosigkeit stellt man keine Rechtsextremen bloß.

Ich öffnete Twitter auf meinem Smartphone. Um ein Stimmungsbild zur Sendung zu bekommen, in erster Linie aber, ich gebe es zu, um wenigstens blöde oder gar lustige Sprüche über die Show lesen zu können. Als Ausgleich sozusagen. Ich suchte nach den Hashtags zur Sendung.

Ich bekam gefühlt 90% Zustimmung zu Meuthens Auftreten zu lesen. Eine Phalanx von Jubelpublikum mit rechten Kreuzen im Profilnamen (eines von vielen Twitter-Kennzeichen der Rechten) und auffallend viele Accounts mit ein- bis zweistelligen Followerzahlen hatten sich versammelt, um dem Höcke-Supporter zuzustimmen und natürlich, um die grüne Fraktionsvorsitzende mit Spott und Beleidigungen zu überziehen. Das Spektrum reichte, grob gesagt, von Hut- bis Wutbürger.

Wo bitte waren kritische Stimmen zu Meuthen? Wo war die Widerrede? Nicht bei den Suchergebnissen auf Twitter jedenfalls.

In meiner eigenen Filterblase, die ich zusammenfassend als „nicht rechtsextrem“ bezeichnen würde, gab es die Widerrede natürlich, doch wieso tauchte sie nicht auf, wenn ich und andere Twitter-Nutzerinnen nach gesammelten Kommentaren auch außerhalb des eigenen Kreises zur Sendung suchten?

Die Antwort ist so einfach wie einleuchtend: Viele AfD-Unterstützerinnen achteten bei ihren Tweets peinlich genau darauf, die wichtigen Hashtags zur Show zu setzen, um so bei Suchergebnissen aufzutauchen. Während kritischere Stimmen auf diese verzichteten oder „interne“ – also leicht abgewandelte – Hashtags nutzten. Wahrscheinlich, um sich Kommentare und Getrolle von rechten Nerv-Accounts vom Hals zu halten.

Das ist verständlich. Ich agiere ähnlich auf Twitter. Ich verklausuliere, nutze andere Ebenen, Bilder, Videos, GIFs, um meine Haltung zu bestimmten Themen darzustellen. Wenn ich das überhaupt noch tue. Denn ich weiß wirklich nicht, wie oft ich Selbstverständlichkeiten wie „Rassismus ist keine Lösung für irgendwas“ von mir geben soll, im Irrglauben, irgendein Rassist würde nach dem Lesen meines Tweets denken: „Oh, der Haeusler findet Rassisten scheiße, dann gehe ich mal nochmal in mich und ändere meine menschenverachtende Haltung“.

Ist kein Hashtag eine Lösung?

Ich setze also auch kaum die gerade wichtigen Hashtags ein. Denn diese ziehen ganz besonders während einer politischen TV-Sendung gerne mal größere Gruppen von Accounts an, die zwar selten an einem konstruktiven Dialog zum Thema, dafür aber umso mehr an reiner Störung und/oder Beleidigungen interessiert sind. Auch größere Medien-Accounts nutzen immer seltener die aktuellen Hashtags, vermutlich aus ähnlichen Gründen.

Das absichtliche, bewusste Vermeiden von Hashtags ist also verständlich, aber eben wenig hilfreich, wenn Menschen ohne eigenes, breiteres Stimmungsbild in ihrer Timeline nach bestimmten Themen suchen. Auf Facebook haben sich Hashtags eh nie durchgesetzt, auf Twitter (und noch mehr auf Instagram) gehören sie jedoch zum „Funktionieren“ der Plattform dazu.

Die Tatsache, dass die gezielte Nutzung und Nichtnutzung von Hashtags auch Stimmungsbilder beeinflussen kann, ist natürlich Teil der großen Debatte um die Wirkung von sozialen Netzwerken – hinzu kommen schließlich auch noch die Feed-Algorithmen der einzelnen Plattformen. Dennoch war es faszinierend bis gruselig, beim oben geschilderten Beispiel zu sehen, welch verfälschte Meinungseindrücke der einseitige Einsatz von Hashtags vermitteln kann. Die vielfach gerügte Filterblase kann eben auch „von außen“ beeinflusst werden.

Was die erwähnte TV-Debatte angeht: Hierzu hat Stephan Anpalagan dankenswerterweise lesenswerte Nachhilfe im MiGazin angeboten.

Johnny Haeusler

Johnny Haeusler

von GQ

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