Glaubt man den Krypto-Visionären, dann stehen wir kurz davor, dass alles auf der Blockchain abgebildet wird. Bis zum Atom. Dann sind nicht nur Bitcoins, Ether und andere Kryptowährungen in dezentralen Datenbanken gespeichert, sondern auch unsere Identität, unser Besitz und sogar Kunst. Jedoch tut sich ziemlich schnell die Frage nach dem „Wieso?“ auf. Um das zu beantworten, bin ich für WIRED ins Crypto Valley in die Schweiz gereist.
Bei den dieses Jahr erstmalig stattfindenden TechCrunch Sessions: Blockchain 2018 kommen Gründer, Investoren und Programmierer zusammen, um sich über den aktuellen Stand der Blockchain-Technologie zu beraten, zu spinnen und Fantasien auszuarbeiten. Auch der junge Erfinder der Ethereum-Blockchain, Vitalik Buterin, nimmt im Einhorn-T-Shirt an einigen der Podiumsdiskussionen teil, die während der zweitägigen Konferenz stattfinden. Auch er stellt die Frage, wieso es denn nun von Vorteile wäre, die Welt zu tokenisieren.
Tokeni-was?
Zunächst einmal aber, was bedeutet das überhaupt: Die Welt tokenisieren? Heutzutage ist es so, möchte man etwas kaufen, zum Beispiel eine Wohnung, dann geht das nicht von heute auf morgen. Ein Kaufvertrag muss aufgesetzt, unterzeichnet, notariell beglaubigt und der Besitz im Grundbuch überschrieben werden. Das kann schon einmal zwei Monate dauern. Eine Token-Transaktion auf der Ethereum-Blockchain dauert hingegen nur 17 Sekunden. Trotzdem wird auch hier die Transaktion – von anderen Rechnern – beglaubigt und manipulationssicher gespeichert.
Die Idee ist nun, Vermögenswerte wie Immobilien – aber auch alles andere, was sie handeln lässt – als Tokens auf der Blockchain abzubilden. Dadurch werden sie schneller, flexibler und vor allem unkomplizierter handelbar. Oder anders gesagt: Ihre Liquidität wird erhöht.
„Die Tokenisierung von realen Vermögenswerten, ob es jetzt Vermögensanlagen, Anleihen oder Fiatgeld sind, ist hochinteressant,” sagt Vitalik. „Der springende Punkt ist, dass man sie handeln kann, sie als Zahlungsmittel verwenden kann, sie aufbewahren kann oder finanzielle Verträge darüber abschließen kann. Das alles funktioniert innerhalb eines Ökosystems.” Denn: Viele aktuelle Kryptowährungen, Finanz- und Blockchain-Projekte wie Tron, VeChain, Icon, OmiseGo, Populous, Basic Attention Token und Golem basieren auf Ethereum. Deren Tokens sind miteinander kompatibel. Und es gibt auch schon die ersten Marktplätze an denen die Tokens, ähnlich wie Kryptowährungen gehandelt werden.
Vergangene Woche gab die Schweizer Börse SIX bekannt, dass ab nächstem Jahr auch sogenannte Security Tokens, also tokenisierte Wertpapiere und Vermögensanlagen, auf einem neu dafür geschaffenen Onlineplatz gehandelt werden können. Auch die US-Krypto-Börse Coinbase verkündete unlängst, neben Bitcoin, Ethereum und Litcoin auch bald Security-Tokens in ihr Portfolio aufzunehmen. Denkt man diese Entwicklung der Tokenisierung zu Ende, gelangt man schnell zu dem Schluss, dass sich unser Wirtschaftssystem radikal verändern könnte.
Joe Lubin, einer der Mitbegründer von Ethereum und Chef des Ethereum-Blockchain-App-Entwickler ConsenSys , bezeichnet schon jetzt die gegenwärtige Ökonomie als ein „legacy system”; ein System, das sich längst überlebt hat. Wenn erst einmal jeder Gegenstand als Token repräsentiert wird, dann braucht man auch kein Geld mehr, um Gegenstände miteinander zu tauschen.
„Der Grund weswegen wir Geld haben ist, dass wir es als ein krudes Mittel nutzen, um ökonomische Transaktionen leichter abzuwickeln,” sagt Joes ConsenSys-Kollege Sam Cassatt. „Ich bringe nicht mehr meine zehn Kühe mit, sondern wir haben einen abstrakten Weg gefunden Werte zu repräsentieren. Aber das ist noch zu langsam, Geld hat die Geschwindigkeit menschlicher Abstraktion - was passiert, wenn Werte digitale Geschwindigkeit bekommen?”
Ein Token-Tausch muss nicht darin bestehen, dass man eine Kilowattstunde Strom gegen einen Preis in Euro oder Ether bezahlt. Auf einem dezentralisierten Marktplatz kann ein Windkraftwerk ganz automatisch Energie gegen Wetterdaten mit einem elektrischen Fahrzeug tauschen, welches vorher die Daten mit einem Sensor aggregiert hat. Das geht zum Beispiel mit Streamr. Das Start-up arbeitet an der Tokenisierung von Daten, die deren Nutzer dann eigenständig monetarisieren können, indem sie ihre Informationen zum Tausch anbieten.
Bei Golem, Sonm und Dfinity hingegen lässt sich vollautomatisiert die Rechenkraft eines einzelnen PC aber auch ganzer Serverfarmen verkaufen. SingularityNet will hingegen die Arbeitsschritte von Künstlichen Intelligenzen vermittelt, in Tokens aufwiegen und handeln. Aber auch Kühe, Schweine, Diamanten, Wohnungen und gar menschliche Arbeitskraft ließen sich – angeblich problemlos – als digitale Token emulieren und somit verfolgen und verschieben.
Automatisierung = Kontrollverlust?
Mit der Blockchain können unsere Besitztümer, aber auch unsere Daten innerhalb von Sekunden den Besitzer wechseln. Da ist es keine Überraschung, dass während den Blockchain Sessions eine Menge über den Schutz der Privatsphäre gesprochen wird und darüber wie Nutzer die Oberhand behalten. Denn an den richtigen Tools dafür wird gerade gebaut.
Das Start-up Zippie baut dafür ein eigenes Betriebssystem für Smartphones, bei dem Nutzer ganz genau ihre Daten, Identitäten und Tokens auf unterschiedlichen Blockchain-Systemen kontrollieren können. Joe und Sam erzählen mir ebenfalls, dass das Thema Privatsphäre gerade großen Zuspruch in der Blockchain-Entwickler-Community erfährt.
Die Entwickler von Ethereum planen derweil schon einige Updates, welche die Privatsphäre der Nutzer im Zuge der aufkommenden Tokenisierung stärken sollen. „Private Transaktionen auf der Blockchain sind nicht nur für Kriminelle, sondern auch für reguläre User. Firmen sind darauf angewiesen, oft um mit bestehenden Regelungen konform zu gehen,” sagt Vitalik, der Ethereum-Erfinder.
Allerdings stehen der Ethereum-Blockchain auch noch einige Herausforderungen bevor. Ethereum skaliert nämlich momentan noch nicht in den nötigen Dimensionen: Transktionen können noch nicht in der Geschwindigkeit abgewickelt werden, wie sie für eine Welt, in der jedes Gut eine digitale Repräsentanz hat, gehandelt wird. Das bedeutet, dass wir auf die Tokenisierung der Welt noch ein Weilchen warten müssen.
„Ende 2018, Anfang 2019 werden wir dann sehen, ob die existierenden Blockchains wirklich in der Lage sind, zu liefern, oder ob sie scheitern werden,” sagt Galia Benartzi. Galia ist die Gründerin des Bancor Netzwerksund schon seit den 90ern in der Tech-Szene unterwegs. „Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Infrastruktur, die dem ganzen zugrunde liegt, nicht skaliert, können wir auch nicht erwarten, dass Massen von Usern anfangen werden, diese Plattformen zu nutzen.”
Alles nicht so einfach
Die Blockchain-Community ist überraschend ehrlich, wenn es darum geht, die bevorstehenden Hürden und Schwierigkeiten einzugestehen. Joe zum Beispiel merkt an, dass nicht jedes neue Start-up auf Blockchain setzen muss: „Es gibt unterschiedliche Nutzungsfälle auf dieser Welt und nicht alles ist immer gleich besser, nur, weil es eine dezentrale Architektur hat.” Allerdings schaut es etwas hoffnungsvoller aus, wenn es um die Skalierbarkeit der Ethereum-Infrastruktur geht. Fest steht, dass „sehr viele Menschen hart daran arbeiten, eine Lösung zu finden,” so Galia. Doch sie ergänzt auch, „manche Leute würden sagen, es ist leichter, eine neue Blockchain zu programmieren als die bestehenden zu skalieren.”
Und die Skalierbarkeit ist nicht die einzige Herausforderung. Durch die Tokenisierung könnten sich viele Dinge unserer heutigen Gesellschaft grundlegend verändern, deswegen fehlt in einigen Fällen noch der nötige Rechtsrahmen für neue Applikationen. Jeder, den ich auf den Blockchain Sessions getroffen habe, erzählt mir von der Unsicherheit, die damit einhergeht. Viele der Firmen stehen in direktem Kontakt mit Behörden auf der ganzen Welt, doch diese operieren nun mal nicht im 17-Sekunden-Takt der Ethereum-Blockchain, sondern „mit der Geschwindigkeit von Vorstandssitzungen und Gerichten,” wie Sam es beschreibt.
Daher ist es auch kein Zufall, dass die Blockchain-Community das Schweizer Kanton Zug als den Schauplatz der Blockchain Sessions ausgewählt haben. Im Crypto Valley, sind mehr Firmen registriert, als Menschen. Die meisten davon aus der Finanzbranche. Die rechtliche Aufgeschlossenheit, die man hier vonseiten der Behörden findet, zieht auch die Blockchain-Start-ups an. Zug dient für viele von ihnen als regulatorischer Sandkasten. Wie eine mögliche Regulierung für Blockchain aussehen könnte, kristallisiert sich gerade in ein paar progressiven europäischen Ländern heraus. Malta und Frankreich haben erst kürzlich Gesetze verabschiedet.
Die neue Technologie der Blockchain bietet die Möglichkeit, Regularien und Ökonomien völlig neu zu denken. Galia warnt aber davor, dass „wir riskieren alten problematische Strukturen zu replizieren.” Stattdessen sollten sich Firmen, Staaten und vor allem die Nutzer überlegen „wie das Resultat am Ende aussehen soll.” Denn letztendlich hängt es von den Menschen ab, so Galia. „Es ist nicht so, dass die Technologie von alleine uns dazu bringen wird, sondern es sind wir, die diesen Netzwerken beitreten werden.”