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Wie sich der Fall Reality Winner auf deutsche Whistleblower auswirkt

von Sofie Czilwik
Sie wollte als anonyme Quelle in die Geschichte eingehen, doch dann wurde ihre Identität aufgedeckt. Reality Winner wurde als NSA-Whistleblowerin enttarnt und muss sich nun vor Gericht verantworten. Wird sich der Fall aus den USA auch auf Whistleblowing in Deutschland auswirken? 

Als Annegret Falter von Reality Winners Verhaftung las, war ihr erster Gedanke: „Briefe sind auch nicht mehr sicher.“ Normalerweise rät die Politologin, die seit Jahren für das Whistleblower-Netzwerk arbeitet, vertrauliche Informationen über den Postweg zu versenden. „Aber es wird immer schwerer“, zieht sie ihre Schlüsse aus dem Fall in den USA. Als Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Journalisten und Whistleblowern, berät und unterstützt das Netzwerk Informanten in Deutschland.

Der Fall der NSA-Mitarbeiterin Winner zeigt, wie schwierig es ist, Informationen anonym zu leaken, was alles dabei schiefgehen kann und wie gut die Behörden mittlerweile auf Whistleblowing vorbereitet sind. Einerseits machte sich Winner selbst verdächtig, indem sie das geheime Dokument bei der Arbeit ausdruckte. Aber auch die Journalisten von The Intercept, denen Winner die Informationen per Post zusandte, sollen die Behörden auf Winners Spur gelenkt haben. Als sie die Dokumente von der NSA verifizieren ließen, gaben sie dabei den Ort des Poststempels an: Augusta im US-Bundesstaat Georgia, Winners Wohnort. Damit war es für das FBI einfach, die Informantin zu entlarven, so der Vorwurf

Whistleblower leben immer gefährlicher, denn mit jedem neuen Leak rüsten die Behörden weiter auf – in Zeiten von miteinander kooperierenden Geheimdiensten auch über Landesgrenzen hinweg. „Auch wenn ein Slogan lautet, Mut sei ansteckend, kann ich mir persönlich gut vorstellen, dass Fälle aus den USA, auch Whistleblower in Deutschland zusätzlich einschüchtern“, sagt Annegret Falter. Zusätzlich, denn die gegenwärtige Situation in Deutschland ist für Whistleblower oder Hinweisgeber schon jetzt extrem schwierig. Auch für Whistleblower, die keine Geheimdokumente oder militärische Informationen veröffentlichen, sondern auf Missstände in Behörden oder Unternehmen aufmerksam machen wollen.

Keine einheitliche Gesetzgebung
Selbst für solche Whistleblower herrscht in Deutschland eine enorme Rechtsunsicherheit. „Und wenn man weiß, dass man kaum geschützt ist oder überhaupt nicht absehen kann, wie die Gerichte im eigenen Fall entscheiden, dann hält man tendenziell eher den Mund“, sagt Falter. Uneinheitliche Rechtsprechung bedeutet Ungewissheit für die Whistleblower, die die Folgen ihrer Enthüllungen nicht abschätzen können. Das wirkt abschreckend.

Für jede Beschäftigungsgruppe gelten unterschiedliche Regeln. Arbeitnehmer, die auf Missstände in ihrem Betrieb aufmerksam machen, müssen im Zweifel mit einer Kündigung rechnen. Vor dem Arbeitsgericht können sie zwar dagegen vorgehen, sie müssen aber die Missstände selbst belegen und das Gericht muss die Beweise anerkennen.

Das tat das Landesarbeitsgericht Berlin im Fall von der Altenpflegerin Brigitte Heinisch, dem wohl bekanntesten deutschen Whistleblower-Fall, nicht. Heinisch prangerte die Zustände in einem Altenheim ihres Arbeitgebers Vivantes an. Daraufhin wurde ihr fristlos gekündigt. Jahrelang stritt sie vor verschiedenen deutschen Gerichten und zog bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, vor dem sie schließlich Recht bekam.

Für Beamte gelten noch striktere Regeln. Haben sie etwas zu kritisieren, sind sie dazu verpflichtet, den Dienstweg einzuhalten. Das heißt, sie müssen sich an den jeweils nächsthöheren Vorgesetzten wenden.

Opposition für Whistleblower-Schutzgesetz
Dabei gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Vorstöße seitens der Opposition einen einheitlichen Schutz für Whistleblower gesetzlich festzulegen. Doch alle Versuche scheiterten bislang an den Regierungsparteien. Zunächst an der schwarz-gelben Bundesregierung, die den SPD-Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes ablehnte. Später, als die SPD in der großen Koalition mitregierte, lehnte diese den Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen ab. Dieser sah vor, dass Hinweisgeber sich in einem Stufensystem an interne oder externe Stellen wenden und in besonderen Fällen sogar direkt an die Öffentlichkeit gehen können.

Dass die Regierung selbst keinen solchen Gesetzentwurf eingebracht hatte, liegt offenbar an der CDU/CSU. Die Union findet, dass die Rechtslage so, wie sie ist, ausreicht. „Betroffene, die zu schützen gewesen seien, hätten diesen Schutz auch bekommen“, heißt es in der Erklärung im zuständigen Ausschuss.

Die Realität sieht anders aus. Das zeigen Whistleblower-Fälle in Deutschland, wie der von Margrit Herbst, einem der ersten im wiedervereinigten Deutschland. Die Veterinärmedizinerin, die für ein Hygieneamt Rinder kontrollierte, stieß in Schleswig-Holstein auf die ersten BSE-Erkrankungen. Und das Jahre vor dem eigentlichen BSE-Skandal. Herbst wies ihre Vorgesetzten früh darauf hin, diese ignorierten sie jedoch. Schließlich ging sie an die Presse und verlor ihren Job. Der Grund: Verletzung des Dienstgeheimnisses. Bis heute wurde Herbst nicht rehabilitiert.

Kulturelles Problem
Mittlerweile gibt es zwar Hinweisgebersysteme in größeren Unternehmen. Solche internen Hinweisgebersysteme funktionieren aber nur dann, wenn die Verantwortlichen ein Interesse daran haben Missstände zu beseitigen. Angenommen Brigitte Heinisch oder Margrit Herbst hätten sich an ein internes Hinweisgebersystem gewandt – ihre Anliegen wären ignoriert worden.

Andere Unternehmen leisten sich einen Ombudsmann, einen Juristen, an den sich Arbeitnehmer wenden können. Allerdings stehen diese Ombudsanwälte im Dienst des Unternehmens und vertreten im Zweifelsfall dessen Interessen.

Nicht nur die Rechtslage ist schwierig. Deutschland habe auch ein kulturelles Problem, sagt Andreas Novak von Transparency Deutschland. „Das hat mit der Geschichte zu tun, sowohl mit der NS-Vergangenheit als auch mit der Stasi in der DDR . Whistleblower werden immer noch als Denunzianten beschimpft.“ Arbeitnehmer, die Abläufe im Unternehmen intern kritisieren, werden oft Opfer von Mobbing, gelten als Nestbeschmutzer und als unkollegial.

Gerade weil man sich hierzulande mit Whistleblowing schwertut, ist es umso wichtiger für Hinweisgeber oder Informanten anonym bleiben zu können. Doch das ist bei der momentanen Gesetzeslage nahezu unmöglich.

Anonyme Briefkästen als Ausweg?
Für viele bleibt da nur noch, sich an die Medien zu wenden. Um Whistleblowern die Möglichkeit zu geben anonym zu veröffentlichen, haben investigativ arbeitende Redaktionen digitale tote Briefkästen eingerichtet. ZEIT ONLINE erklärt außerdem zum Beispiel, wie sich Quellen schützen können, was sie beachten müssen, um anonym zu bleiben, und wie die Redaktion mit eingesandten Dokumenten umgeht. Originale werden etwa normalerweise nicht veröffentlicht, sondern Abschriften. The Intercept hatte die Dokumente, die Reality Winner schickte, jedoch öffentlich ins Internet gestellt und so die Quelle in Gefahr gebracht.

„In der gegenwärtigen Situation überlegen sich die Whistleblower ganz genau, ob sie Informationen weitergeben. Sie riskieren Mobbing, sie riskieren ihre Kündigung und sie riskieren ihr Privatleben, wenn man bedenkt, dass sich Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen“, sagt Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk. Deshalb brauche es ein bundesweites Gesetz, das Whistleblower schützt, ihnen Straffreiheit garantiere und ihnen Anonymität zusichere.

Vor der anstehenden Bundestagswahl wird es ein solches Gesetz nicht mehr geben. Und wie offen eine eventuelle neue Regierung gegenüber Whistleblower-Rechten sein wird, wird sich frühestens im Herbst zeigen.

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