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Web-Serie Homo Digitalis: Technik sollte uns glücklicher machen

von Benedikt Plass-Fleßenkämper
Die neue Web-Doku-Serie „Homo Digitalis“ befasst sich mit den Auswirkungen der digitalen Revolution. Was bedeutet sie für uns Menschen und die Gesellschaft? WIRED hat mit Regisseurin und Projektleiterin Christiane Miethge über die Gefahren, Herausforderungen und Vorteile einer digitalen Welt gesprochen.

Wenn es nach Experten und Forschern geht, stehen wir in diesen Tagen vor einer der größten Umwälzungen der Menschheitsgeschichte. Sie könnte die globale Gemeinschaft so bahnbrechend verändern, wie es einst die Zähmung des Feuers oder die Erfindung des Ackerbaus tat. Die Rede ist von der digitalen Revolution.

Die am 18. Oktober 2017 startende Web-Doku-Serie Homo Digitalis, eine Gemeinschaftsarbeit des Bayerischen Rundfunks und Bilderfest in Koproduktion mit ARTE und ORF, beschäftigt sich in sieben Folgen mit den neuesten Errungenschaften in Sachen Künstlicher Intelligenz (KI) und Technologie und wirft einen Blick auf den Menschen der Zukunft.

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Was passiert mit einer Gesellschaft, in der man den Lehrstoff von zwölf Jahren Schulunterricht innerhalb von wenigen Stunden in sein Gedächtnis laden kann? In der KIs den gleichen Stellenwert haben werden wie real existierende Freunde? In der täuschend echt aussehende Roboter den perfekten Sex versprechen. Kurzum: Was bedeuten all diese Veränderungen für uns? Und: Hat der Homo sapiens auch in Zukunft noch diesen Namen verdient oder muss man nicht von einer neuen Spezies Mensch reden, dem Homo Digitalis?

Denn Organe aus dem 3D-Drucker und Prozessoren, die unsere Gehirne leistungsfähiger machen, sind längst keine utopischen Gedankenspielereien mehr, sondern konkrete Pläne für die nahe Zukunft. Zukunftsforscher Ian Pearson sagt in Homo Digitalis diese Dinge voraus, hält sich mit Antworten zu den Auswirkungen allerdings zurück. Doch er ist sich sicher: Unsere Gesellschaft wird sich in ein paar Jahrzehnten drastisch verändert haben.

Einen Einblick in diese, noch futuristisch scheinende Gesellschaft, findet man heute schon in Japan. Dort gibt es längst holografische Freundinnen und Roboter, die als Bankangestellte, Haushaltshilfe oder in der Krankenpflege arbeiten.

Die Einstellung der Japaner ist zu Robotern allerdings eine andere als bei uns Europäern. In dem Pazifikstaat gelten Roboter als freundlich und liebenswert; in Europa hingegen überwiegt die Skepsis vor der Maschine. Noch, glaubt Pearson. Auch bei uns wird sich das Verhältnis zu Maschinen in den nächsten Jahrzehnten ändern, sagt der Brite. Je mehr Menschen mit KIs und Robotern aufwachsen, desto natürlicher würden diese Dinge für uns.

Wenn es erst einmal dazu kommt, dass die digitale Technik so weit in unsere privatesten Bereiche eingedrungen ist, haben wir dann eine neue Evolutionsstufe erreicht? Das ist eine der zentralen Fragen, denen die Macher von Homo Digitalis nachgehen. Eine davon ist die Journalistin und Autorin Christiane Miethge, Jahrgang 1983. Sie studierte in München und in Montréal Politische Wissenschaften und Journalismus und übernahm für Homo Digitalis Regie und Projektleitung.

WIRED: Homo Digitalis zeigt die digitale Welt, wie sie in ein paar Jahrzehnten sein könnte. Vor welcher dieser Visionen haben Sie am meisten Angst?
Christiane Miethge: Es ist nicht eine bestimmte Technologie oder Vision eines Wissenschaftlers, vor der ich Angst habe. Es kommt sehr darauf an, was wir Menschen daraus machen. Wenn wir beispielsweise unsere sozialen Kontakte irgendwann mit Künstlicher Intelligenz ersetzen oder wir sogar selbst anfangen, uns wie eine KI zu verhalten, dann macht mir das Angst. Beeindruckt und ein wenig schockiert hat mich bei diesem Thema die Japanerin, die mir vor der Kamera erzählt hat, dass sie keine Lust hat, Freunde zu treffen. Sie findet das einfach zu anstrengend. Sie hat lieber virtuelle Freunde und sogar einen virtuellen Boyfriend. Wenn sie sich dann wirklich einmal nach menschlicher Begleitung sehnt, mietet sie sich eine Freundin. Mich hat das vor allem mitgenommen, weil sie mir so sympathisch war. Sie war unglaublich offen und kommunikativ und hat trotzdem für sich die Entscheidung getroffen, dass sie mit künstlichen Freunden glücklicher ist als mit echten. Das hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht.

WIRED: Wie gefällt Ihnen die in den Clips prophezeite Zukunft?
Miethge: Sie fasziniert und erschreckt mich zugleich. Manchmal denke ich mir: „Das wäre doch genial, so ein Chip im Gehirn, dann bin ich endlich auch gut in Mathe. Schlechte Laune habe ich dann auch nicht mehr, denn meine KI-Freundin in meinem Handy weiß immer genau, was ich gerade brauche.“ Und wenn ich noch ein paar Jahrzehnte mehr Zeit in diesem Leben habe, dann wäre das doch auch nicht schlecht. Doch gleichzeitig weiß ich, dass all das Nebenwirkungen haben wird. Dass unsere Gesellschaft vor riesigen Herausforderungen steht und ich befürchte, dass sie einfach nicht mehr mitkommt. Dann stelle ich mir eine Welt vor, in der jeder nur noch mit seinen KI-Freunden spricht, wenige Reiche ihre Gehirne und Körper tunen und eine große Masse mit immer weniger Einkommen und Aufstiegschancen abgehängt zu Hause sitzt. Wenn Sie Glück haben, können Sie sich dann noch in eine heile virtuelle Welt flüchten. Eine solche Zukunft macht mir Angst.

WIRED: Gibt es ein Thema der Web-Serie, bei dem Sie sich wünschen, dass es eintrifft?
Miethge: Das kommt immer darauf an, wie es eintrifft. Jedes Thema hat faszinierende und schreckliche Seiten. Wenn ich beispielsweise mithilfe der Technik länger gesund und fit bleiben kann und dafür meine Gene verändern kann und gedruckte Organe oder Nanobots eingepflanzt bekomme, dann hätte ich da erstmal nichts dagegen. Wenn wir aber beginnen, perfekte Menschen mithilfe dieser Technologien zu designen und sich vielleicht nur wenige reiche Menschen diese Form der Selbstperfektionierung leisten können, dann finde ich das furchtbar. Im Grunde sollte Technik den Menschen glücklicher und nicht effizienter oder besser machen. Leider haben Konzerne, die uns diese Technologien verkaufen, selten dieses Interesse.

WIRED: Implantierte Chips im Gehirn, KI-Freunde statt echte Freunde, Geschlechtsverkehr mit Sex-Robotern, ewige Jugend durch komplette Offenlegung der eigenen DNA: Was sind die Gefahren solcher zukünftigen Technik?
Miethge: Das sind leider gar nicht so wenige. Für den einzelnen Menschen sehe ich die größte Gefahr darin, dass die Technik uns immer mehr kontrolliert, manipuliert und zur Anpassung zwingt. Das geht vom Sammeln immer intimerer Daten, der Hackbarkeit meines ganzen Lebens bis hin zum Zwang zu immer größerer Perfektion und Effizienz. Ein Beispiel: Meine KI-Freundin weiß durch das Scannen meines Gesichts immer, wie es mir geht. Sie kann mir dadurch helfen, meinen Job besser zu erledigen. Aber was ist, wenn dann auch mein Chef, meine Krankenkasse oder der Staat alles über mich weiß? Wenn ich gezwungen werde, immer mehr in weniger Zeit zu erledigen und dabei auch immer gute Laune haben muss? Schließlich habe ich ja meine KI. Wenn man da weiterdenkt, werden wir Menschen selbst immer mehr zur Maschine, selbst wenn wir noch komplett aus Fleisch und Blut bestehen. Und die Entwicklung in diese Richtung hat ja schon begonnen.

WIRED: Und welche Vorteile sehen Sie?
Miethge: Die Chancen all dieser Technologien sind für mich, dass wir wieder mehr Mensch sein können. Künstliche Intelligenz und Roboter können uns im Alltag helfen, damit wir mehr Zeit für soziale Kontakte haben. Sex-Roboter könnten Menschen mit Kontaktschwierigkeiten helfen, überhaupt wieder Zugang zu ihrer Sexualität zu finden. Technologien wie CRSPR/Cas 9 könnten verhindern, dass manche Krankheiten überhaupt erst ausbrechen und so den betroffenen Menschen viel Leid ersparen. Doch das sind alles idealistische Szenarien, die nicht einfach von sich aus eintreffen werden. Ich glaube, wir alle müssen privat und politisch dafür kämpfen, die Vorteile der Technik wirklich genießen zu dürfen. Es gibt in diesem Spiel viele andere Player, die ganz andere Interessen haben als unser privates und gesellschaftliches Glück.

WIRED: Sie werfen in der Reihe die Frage nach einer neuen Spezies Mensch auf, dem „Homo Digitalis“. Würden Sie wirklich so weit gehen und sagen, dass der Mensch sich zu einer neuen Spezies entwickeln könnte?
Miethge: Wir haben für Homo Digitalis mit vielen Wissenschaftlern oder Futurologen gesprochen, die genau das behaupten. Ob ihre Prophezeiungen wirklich eintreten? Ich weiß es nicht. Doch ob nun neue Spezies oder nicht – ich glaube, dass wir Menschen uns sehr verändern werden. Wir Digital Natives leben ganz anders als unsere Eltern, weil wir mit dem Handy aufgewachsen sind. Unsere Kinder, die „Robo-Natives“, werden Zukunftstechnologien, die uns heute Angst machen, ganz anders an sich heranlassen. Ob sie das glücklich machen wird oder nicht, hängt für mich auch davon ab, ob wir uns heute den Raum erstreiten, dass ein Großteil der Menschen von den Chancen der Technologie wirklich profitieren können.

WIRED: Wie ist die Idee zu Homo Digitalis entstanden?
Miethge: Die Ursprungsidee ist schon einige Jahre alt und ist gemeinsam mit meiner damaligen Kollegin Eva Achinger entstanden. Das war ungefähr die Zeit, als die These, dass Roboter unsere Jobs wegnehmen werden, in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde. Es ging immer um die Zukunft der Arbeit und wir haben uns gefragt: Wie verändern all diese Zukunftstechnologien eigentlich uns Menschen? Jeden einzelnen von uns? Wir haben dann zunächst einen 30-Minüter für das BR Fernsehen produziert, der dann zur Inspiration für die internationale Koproduktion mit BR, ARTE und ORF wurde.

WIRED: Warum haben Sie sich für das Format Web-Serie entschieden?
Miethge: Als Filmemacherin sehe ich derzeit in Web-Formaten den größten Freiraum, Geschichten so zu erzählen wie das Thema und der Inhalt es verlangen. Das Fernsehen ist mit seinen festen Formaten und Sendeplätzen oft weniger flexibel. Im Web kann man mit neuen Formaten und Erzählweisen leichter experimentieren. Zudem können wir ganz andere Zielgruppen erreichen. All das heißt aber nicht, dass Web-Formate wie Homo Digitalis nicht auch im Fernsehen laufen können. Im kommenden Jahr werden wir die Web-Serie als 60-minütige Dokumentation für das TV-Programm aufbereiten.

WIRED: Gab es bei den Dreharbeiten Schwierigkeiten oder sonstige Herausforderungen zu bewältigen?
Miethge: Tausende natürlich! Ich erinnere mich noch gut daran, als die Sexpuppe ankam. Die Moderatorin Helen Fares wollte sie zusammen mit der Pornodarstellerin Schnuggie91 die Treppe hochtragen. Das Ding war so schwer, dass sie das erstmal gar nicht geschafft haben. Und dann hat die Puppe im Karton auch noch ständig irgendwelches wirres Zeug geplappert und das ganze Team lag vor Lachen auf dem Boden. Ein paar Tage später sollte Helen per Computerhirn-Schnittstelle eine Drohne zum Abheben bringen. Erst einmal ist nichts passiert. Einfach gar nichts. Damit das funktioniert, muss man extrem fokussiert sein – und das ist erst mal gar nicht so einfach. Ich könnte hier noch eine Stunde weitererzählen. Aber am Ende hat dann doch irgendwie alles geklappt.

WIRED: Warum haben Sie sich gerade für Helen Fares als Moderatorin entschieden?
Miethge: Uns war es wichtig, einen Menschen vor der Kamera zu haben und keine perfekte Moderatorin. Jemanden, der sich traut, seine Gefühle zu zeigen und wirklich authentisch sagt, was er denkt. So wie Helen. Unser Konzept war es, dass sie ohne große Vorbereitung mit Zukunftstechnologien konfrontiert wird: einen Sexroboter trifft, eine Drohne mit ihren Gedanken steuern oder ihre eigene DNA hacken soll. Sie hat spontan aus ihrem Bauch heraus reagiert und wir haben das mit der Kamera eingefangen. Nichts wurde gestellt oder vorher abgesprochen. Diese Unsicherheit muss man als Moderatorin erst einmal aushalten können. Helen war dafür genau der richtige Typ.

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