
Die Briten haben über den Ausstieg aus der Europäischen Union abgestimmt und ihn besiegelt. Unsere UK-Kollegen hatten vorher die Frage gestellt, was das für einen der wichtigsten Zweige der britischen Kreativwirtschaft bedeuten würde: die Games-Branche.
Update, 24. Juni 2016: Mit knapper Mehrheit haben die Briten sich für einen Ausstieg aus der EU entschieden. Die Kollegen der WIRED UK hatten in den Tagen zuvor in der Digitalindustrie eine Umfrage gemacht, die ein klares Bild zeichnete: Vor allem die Spiele-Branche ist in Sorge wegen der Folgen eines Brexit. Hier der Artikel der Kollegen in deutscher Übersetzung.
Die Bedeutung der Games-Industrie in Großbritannien ist nicht zu unterschätzen. Ende 2014 war sie rund 36,6 Milliarden Pfund (rund 47,6 Miliarden Euro) wert, das ist mehr als Film-, Fernseh-, Musik-, Design-, Mode- und Architektur-Branche sowie dem Verlagswesen zusammen. Laut Creative-Skillset, einer Organisation der britischen Kreativwirtschaft, waren 2015 rund 10.300 Menschen in der Spieleindustrie beschäftigt.
Nachforschungen des Branchenverbands Ukie zeigen, dass die britische Spiele-Industrie auf internationaler Ebene sogar noch mehr Gewicht hat. Durch global erfolgreiche Hits wie Rockstars Grand Theft Auto, Rocksteadys Batman: Arkham oder das Lego-Franchise, entwickelt von TT Games, macht der Sektor weltweit zwei Milliarden Pfund Umsatz pro Jahr. Laut Ukie exportieren 95 Prozent der britischen Unternehmen „zumindest einige“ Produkte oder Dienstleistungen nach Übersee. Das Vereinigte Königreich ist derzeit auch der führende Investitionsstandort für internationale Spiele-Firmen, auch weil diese von dort besseren Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben – einem Wirtschaftsraum mit mehr als 500 Millionen potenziellen Kunden.
Was denken die Games-Unternehmen der Insel über einen EU-Austritt? Allgemein gibt es mehr Zustimmung für einen Verbleib.
Eine Umfrage im Auftrag von Ukie vom April fand heraus, dass 80,6 Prozent der Befragten „zustimmten, dass unter Berücksichtigung der Interessen des eigenen Unternehmens, eine Entscheidung in der EU zu bleiben von Vorteil für Großbritannien sei“. Nur 3,2 Prozent waren für den Austritt. In der jüngsten Umfrage fand Ukie, dass 92 Prozent der Befragten „die Zukunft der Branche entweder 'sehr positiv' oder 'eher positiv' einstuften, sollte das Vereinigte Königreich in der EU bleiben“, während nur 19 Prozent „ähnlich positiv dachten, sollte UK für den Brexit stimmen“. Viele größere Unternehmen, darunter Sony, Ubisoft und Square Enix wollten für diesen Artikel keinen Kommentar abgeben.
Ein Argument für den Verbleib?
Keine der Personen und Firmen, die WIRED kontaktierte, waren für einen Austritt aus der Europäischen Union. Einige hatten jedoch Zweifel. „Als Einzelperson werde ich für den Verbleib stimmen, aber die geschäftlichen Auswirkungen sind nicht so offensichtlich, wie man zuerst denkt“, sagt Cliff Harris, Gründer von Positech Games, die Spiele wie Gratuitous Space Battles und die Democracy-Serie entwickelt haben.
„[Wenn] der Brexit den Pfund zum Einstürzen bringt, ist das für ein Unternehmen, das in US-Dollar bezahlt wird, eigentlich sehr positiv“, erklärt Harris. „Auf der anderen Seite könnte es schwieriger werden, Menschen aus Europa zu beschäftigen. Das ist schlecht für Entwickler wie mich, die viel mit Subunternehmern zusammenarbeiten. Unter dem Strich denke ich, dass der Brexit schlecht wäre, aber er wäre kein Armageddon. Vielleicht ein Armageddon-Lite.“
Unter dem Strich denke ich, dass der Brexit schlecht wäre, aber kein Armageddon
Team17 ist am besten bekannt für das Worms-Franchise. Bereits 1990 gegründet, ist das Unternehmen ein Veteran der Branche, und Geschäftsführerin Deborah Bestwick ist gegen den Brexit. „Team17 ist eine der am längsten existierenden britischen Spieleunternehmen. Wir haben Partner in der ganzen Welt“, sagt Bestwick. „Als Unternehmen finden wir nicht, dass es ein guter Schritt wäre, die EU zu verlassen, weder für die wirtschaftliche Seite der Firma als noch für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter. [Die] UK-Spiele-Industrie ist stark und talentiert – auch dank Menschen, die aus der ganzen Welt zu uns kommen.“
Mark Morris, Chef von Introversion Software, dem Studio hinter Prison Architect, war einer der wenigen Menschen mit denen WIRED UK sprach, die nicht von Anfang an die Remain-Kampagne unterstützen. Mit Hinweis darauf, dass das Introversion Team geteilter Meinung ist und unter dem Vorbehalt, dass er seine persönliche und nicht die Meinung seines Unternehmens vertrete, sagte Morris: „Ich bin einer dieser Wähler, die ihre Meinung extrem verändern. Am Anfang war ich dafür, dass wir die EU verlassen, aber als ich nach Fakten und Beweisen für meine Meinung suchte, merkte ich, dass viele meiner früheren Gedanken falsch waren.“
„Ich denke, die Brexit-Kampagne hat es nicht geschafft, Argumente für eine wirtschaftliche Verbesserung nach einem Austritt zu liefern“, behauptet Morris. „Sie hat keinen sinnvollen Plan für unser Post-EU Handels-Nirvana formuliert. Sie murmelt nur Plattitüden darüber, dass Großbritannien eine Handelsnation sei, die tolle Handelsabkommen abschließen werde. Nach meiner persönlichen Meinung ist es unwahrscheinlich, dass die EU schnell ein neues Handelsabkommen zu unseren Gunsten verhandeln wird. Denn das wäre auch Zündstoff für die rechten Bewegungen in der EU.“
Morris machte sich, wie schon Harris, Sorgen um den Arbeitsmarkt im Falle eines Leave-Ergebnisses. Das betreffe vor allem das umstrittene Thema der Einwanderungspolitik. „Ich rekrutiere global. Ich glaube, dass das Vereinigte Königreich ein besserer Ort ist, kulturell und finanziell, aufgrund von Einwanderung“, sagt er. „Die britische Regierung hat die Souveränität, Einwanderung aus Drittstaaten zu kontrollieren, aber hat darin komplett versagt. Warum glauben wir, dass ein Austritt aus der Union plötzlich unsere heimische Einwanderungspolitik ändern würde? Selbst, wenn es attraktiv scheint, die Tür halb zu schließen: Dass Menschen sich frei bewegen können, ist ein integraler Bestandteil einer erfolgreichen Handelsvereinbarung und ich glaube nicht, dass wir davon weg können oder sollten.“