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Warum Kopien von Pokémon Go es schwer haben werden

von Dominik Schönleben
Der riesige Erfolg von Pokémon Go freut Spieleentwickler weltweit. Das Rezept scheint einfach: Man kopiere das Konzept und begeistere damit die Massen. Doch die Sache hat einen Haken.

Als Spieledesigner Tarek Hohberg die Spiele-Arena am Berliner Alexanderplatz betritt, ist sie verwaist. Selbst wenn Hohberg nun angreifen und den Ort erobern würde – keinen würde es kümmern. Auf Gegenspieler kann er kaum hoffen, der Kampf um die auf GPS-basierenden Punkte auf der digitalen Landkarte seines Smartphones ist längst vorbei.

Es geht ihm dabei nicht um Pikachu, Schiggi, Bisasam und Glumanda – die hat es im Spiel Spyday nie gegeben. Vielleicht wären die niedlichen Pokémon die Rettung gewesen. So hatte Spyday zwar eine kurze Hochphase, danach ging es jedoch bergab.


„Wir haben es dann beendet, damit die armen Leute nicht quasi allein umhergeistern“, sagt Hohberg, Mitgründer des deutschen Indie-Studios Pfeffermind. Er erfand quasi Pokémon Go, bevor es erfunden wurde: In seinem Spiel Spyday trainierten die Spieler Geheimagenten, die Punkte dafür sammelten sie bei Geschicklichkeitsspielen und Rätsel-Aufgaben – was an das Werfen der Bälle bei Pokémon Go erinnert. Ihre Agenten brachten die Spieler dann an Bus- und Bahn-Haltestellen. Ähnlich wie Arenen nahmen sie diese ein und besetzen sie. Doch das, was bei Pokemón Go einen Teil des Reizes ausmacht, blieb Spyday-Spielern von Anfang an verwehrt: unablässig auf eine Menge anderer Spieler zu treffen, sich ständig im Wettbewerb zu fühlen. Spyday wurde 2015 abgeschaltet. Es war nie gelungen, so viele zum Mitspielen zu animieren, dass es zum Selbstläufer wurde. Es ist ein Schicksal, das auch all jene erwarten wird, die jetzt versuchen, an den Erfolg von Pokémon Go anzuschließen.

Das Spiel rund um Pikachu begeisterte fast aus dem Stand Millionen Menschen für sich. Klar, dass aus seinem ein großer Anreiz für Entwicklerstudios entsteht, möglichst schnell ein ähnliches Produkt auf den Markt zu bringen. Die ersten Reskins, also 1:1-Kopien, bei denen jemand den Code geklaut und nur die Grafik ausgetauscht hat, gibt es bereits. Doch lässt sich der Erfolg so 1:1 nachbauen?


Bei Pokémon Go half der weltbekannte Markennname und auch die Pokémon an sich: Die kleinen Monster gibt es immerhin seit den 90ern, sie sind zum Kulturgut geworden, das von Kindern mehrerer Generationen auf dem Game Boy oder dem 3DS gezockt wurde. Auch das dazugehörige Sammelkartenspiel überlebte bis heute. Der Hype um das Smartphone-Spiel lässt zwar derzeit etwas nach: Laut Analysen von Sensor Tower, SurveyMonkey und Apptopia hatte das Spiel seinen Höhepunkt Ende Juli mit knapp 45 Millionen Nutzern täglich. Mittlerweile sind es gut ein Viertel weniger. Das ist aber immer noch eine sehr beeindruckende Zahl fast zwei Monate nach Veröffentlichung.

Pokémon Go hat die Wahrnehmung darüber verändert, dass Augmented Reality unrealistisch und nicht sehr nützlich ist“, sagt Mike J. Walker, Analyst bei Gartner. Jetzt würden Unternehmen Geld mit der Technologie verdienen können, weil sie vom Nutzer als positiv wahrgenommen werde. Klingt nach dem perfekten Moment, um in das Augmented-Reality-Business einzusteigen. Pokémon Go hat den Boden für Augmented Reality nach ernüchternden ersten Erfahrungen etwa mit Google Glass oder anderen AR-Anwendungen scheinbar noch einmal neu bereitet.

In Pokémon Go verbinden sich zwei Ideen der Augmented Reality zu einem funktionierenden Ganzen: Einerseits projiziert das Spiel die animierten Monster über eine Live Aufnahme der Kamera, ähnlich wie bei Google Glas oder Microsofts HoloLens. Andererseits nutzt das Spiel Geodaten, um Orte in der echten Welt Teil des Spiels werden zu lassen. Die fiktive und die reale Welt verschwimmen so zu einem simplen aber sympathischen neuen Spielerlebnis.


Dass berühmte Konzepte von Smartphone-Spielen fast systematisch von anderen Entwicklern kopiert oder nachgeahmt werden, gehört zum Geschäft der Branche. Entwickler müssen zumindest technisch erstmal keine große Herausforderung auf sich nehmen, um Pokémon Go zu imitieren, selbst wenn ein Studio alles selbst macht, sagt Spieleentwickler Hohberg. Die Daten zu bekommen ist mittlerweile kinderleicht.

„Spyday haben wir damals komplett auf das Schienennetz des öffentlichen Nahverkehrs gelegt“, sagt Hohberg. Diese Daten musste er 2011 noch mit Hilfe eines Bots aus den Haltestellensuchen der Nahverkehr-Anbieter sammeln – heute sind diese Daten frei verfügbar. Es gäbe laut Hohberg genug weitere Möglichkeiten, um Orientierungspunkte für das nächste Augmented-Reality-Spiel zu generieren: Facebok Places, Foursquare und Google Maps sind nur einige Beispiele dafür, wie Entwicklerstudios für wenig Geld an die Geodaten und Fotos von Restaurants, Bekleidungsgeschäften oder Kirchen kommen können.


Die ersten hochwertigen Klone von Pokémon Go wird es deshalb bereits in knapp sechs Monaten geben, glaubt Spieleentwickler Hohberg. Und auch Marcus Bösch von VRagments, einem deutschen Indie-Studio, das sich auf Virtual- und Augmented Reality-Spiele spezialisiert hat, sieht das ähnlich „Pokémon Go ist ein wichtiger Milestone. Es wird ein Türöffner sein, der das ganze Genre mit anschiebt.“ Böschs Studio bekam schon knapp drei Wochen nach der Veröffentlichung das Angebot, ein ähnliches Spiel zu entwickeln.

Aber so einfach ist das Ganze dann eben doch nicht. Während Entwickler mit Klonen anderer berühmter Titel in der Vergangenheit gutes Geld verdienen konnten, werde das bei Pokémon Go anders sein, glaubt Spieledesigner Hohberg. Er vermutet, dass Nachahmer ähnlich wie Spyday scheitern, schlicht deshalb, weil die Spielermassen nie zustande kommen werden. Denn noch einmal: Pokémon Go kombiniert eine eigentlich schon etablierte Technologie mit dem Vorteil des Sozialen: Geselligkeit, spontane Partys, neue Freundschaften, Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Bei der Frage nach Erfolg oder Misserfolg wird es nicht um die Machbarkeit von Spielen gehen, sondern darum, wie sie von den Menschen auf der Straße angenommen werden.

Nach dem ersten Hype um Augmented Reality ebbte die Begeisterung über die Technologie schon damals schnell ab, um jetzt wieder erneut aufzuflammen. Der ganze normale Ablauf des Hype-Zyklus: „Wir sehen immer wieder Innovationen, die Auslöser dafür sind, dass eine Technologie schneller angenommen wird“, sagt Walker. Um jetzt also noch einmal so viele Spieler für sich zu begeistern, wird es einen großen Titel mit Zugkraft brauchen, und vor allem ein großes Studio mit Werbebudget im Millionenbereich.

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