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Warum es (bis auf eine winzige Ausnahme) noch keine Meuterei im Weltraum gab

von Gian Volpicelli
Seit Schiffe auf dem Meer fahren, gibt es auch meuternde Matrosen. Im Weltraum ist das bisher anders. Auf Raumschiffen geht es friedlich und geordnet zu. Das liegt wohl daran, dass eine Meuterei im All nicht allzu viel bringen würde, erklärt WIRED-Autor Gian Volpicelli.

Bis heute war der kühnste Akt der Rebellion, den Astronauten je unternommen haben, das Ausschalten ihres Funkgerätes. Doch das könnte sich ändern. Eines Tages könnten wir mit der Nachricht aufwachen, dass eine Crew von aufrührerischen Astronauten ein Raumschiff besetzt hat und nun das Sonnensystem blockiert. Oder dass der Admiral der USS Donald Trump – des größten Kreuzers der Space Force – sich selbstständig gemacht hat und nun einen Kommunikationssatelliten nach dem anderen zerstört. Oder dass die Mondkolonie ihre Unabhängigkeit erklärt hat.

Kurz nach der Erfindung von Booten erfanden die Menschen Meutereien. Das Schreckgespenst der rebellierenden und mordenden Besatzungen erschreckt seither Kapitäne und Militärkommandanten. Berüchtigte Vorfälle, wie die Meuterei auf der niederländischen Galeone Batavia im Jahr 1628, die mit einem Schiffbruch endete, oder die Meuterei von 1789 auf der HMS Bounty, hatten einen enormen kulturellen Einfluss. Meutereien spielen auch in Klassikern der Literatur eine Rolle: Homer gab Odysseus einen Matrosen an die Seite, der ständig ungehorsam war; Robert Louis Stevenson machte eine Meuterei zum Hauptthema von Die Schatzinsel; Disney's Pirates of the Caribbean bekam auch seinen fairen Anteil an blutrünstigen Meuterern.

1973 gab es einen Mini-Streik im Weltraum

Nach dem Anbruch des Weltraumzeitalters begannen Schriftsteller und Drehbuchautoren, mit der Idee zu spielen, dass Meutereien nicht mehr nur auf Seeschiffen, sondern auch auf Raumschiffen stattfinden könnten, die das Universum durchstreifen. 1965 erzählte ein B-Movie mit dem Titel Mutiny in Outer Space, also Meuterei im Weltraum, die Geschichte einer Gruppe von Astronauten auf einer Raumstation. Sie zettelten eine Meuterei gegen ihren Kapitän an, weil dieser von Weltraumpilzen in den Wahnsinn getrieben worden war. Drei Jahre später begeisterte Stanley Kubricks Klassiker 2001: Odyssee im Weltraum sein Publikum mit der Geschichte von HAL 9000, einem rebellischen Bordcomputer, der dazu neigt, menschliche Astronauten auszuschalten.

Wie so oft im Sci-Fi, war die Fiktion, wenn es um Weltraummeutereien ging, der Realität weit voraus. Die erste – und, soweit wir wissen, letzte – Weltraumrevolte sollte nicht vor 1973 stattfinden. Am 28. Dezember wandte sich die dreiköpfige Besatzung von Skylab 4, der dritten bemannten Mission zur US-Raumstation Skylab, gegen ihre Chefs bei der Nasa. Für ein paar Stunden schalteten Gerald Carr, Edward Gibson und William Pogue die Funkkommunikation ab.

Angeblich war dies eine Reaktion auf einen Arbeitsalltag im All, der übermäßig vollgepackt war mit Aufgaben, Experimenten und Beobachtungen. Die erschöpfte Crew entschied sich, einfach eine Auszeit zu nehmen, und verbrachte den Tag entspannt damit, aus dem Fenster zu schauen. Nachdem sie den Kontakt zur Bodenkontrolle wieder aufgenommen hatten, schlossen sie die Mission wie gewohnt ab und kehrten im Februar 1974 sicher zur Erde zurück. Einige Experten, darunter der Raumfahrthistoriker David Hitt, bestreiten bis heute, dass die Unterbrechung der Kommunikation als Protest gedacht war.

Nach Skylab 4 wurde der Schwerpunkt auf das psychologische Training gelegt.

Anna Yusupova

In den folgenden Jahren führte die Skylab-Affäre dennoch zu einem Umdenken, was die Arbeitsbelastung der Astronauten anging. „Damals hatten Astronauten einen starren Zeitplan, der sie daran hinderte, die Dinge flexibel zu gestalten“, erklärt DrIya Whiteley, Direktorin am Centre for Space Medicine am University College London. Jede Aufgabe sollte zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeführt werden, egal was passiert. Das war nicht immer aus praktischen Gründen gerechtfertigt. Heute, so Whiteley, haben Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS mehr Ermessensspielraum bei der Ausführung der weniger zeitkritischen Aufgaben.

Auch die Kommunikationstechniken wurden verfeinert, um Konflikte abzuwenden. „In den ersten Jahrzehnten [der bemannten Raumfahrt] waren die Mission-Control-Mitarbeiter Ingenieure, und die können schon mal ziemlich unfreundlich sein“, sagt Anna Yusupova, Weltraumpsychologin, am Moskauer Institut für Biomedizinische Probleme. „Nach Skylab 4 wurde der Schwerpunkt auf das psychologische Training gelegt.“

Trotzdem, allzu spektakulär war die erzwungene Funkpause von Skylab 4 nicht gerade – verglichen mit den historischen Meutereien. Der Astronauten-Streik hatte nichts von den grausamen Gemetzeln, die auf hoher See stattgefunden haben: Es gab keine Gewalt, keine echte Intrige, keinen Kapitän, der vor einer verärgerten Crew gefesselt und gezwungen wurde, sich ihren Anschuldigungen zu stellen.

Darf der Kommandant der ISS überhaupt Gewalt gegen Meuterer anwenden?

Wäre eine traditionellere Meuterei im Raum überhaupt denkbar? Wahrscheinlich nicht. Das Leben auf der ISS – derzeit das einzige aktive Programm der bemannten Raumfahrt – ist bekanntlich stressig: Physiologische Probleme wie „Weltraumkrankheit“ und Muskelatrophie verschmelzen mit Monotonie, Zusammenleben auf engstem Raum und dem ständigen Dröhnen der Ventilatoren, die den Nerven der Astronauten ziemlich zusetzen können. Kulturelle Spannungen zwischen den Bewohnern verschiedener Herkunft sind ein weiterer Risikofaktor, obwohl diese Unterschiede während einer Mission nie in einen offenen Konflikt ausgeartet sind – auch wenn es schon unschöne Vorfälle in Simulationen gab. Dennoch ist es aufgrund der rigorosen Überprüfung und des Vorbereitungsprozesses – einschließlich des interkulturellen Kommunikationstrainings – für Astronauten äußerst unwahrscheinlich, in eine Meuterei zu geraten.

Wenn es aber darauf ankommt, ist unklar, was der Kommandant rechtlich dagegen tun könnte. Der ISS Crew Code of Conduct ermächtigt den Kommandanten nicht ausdrücklich, physische Gewalt gegen Besatzungsmitglieder anzuwenden. Laut einem 2001 von der ESA veröffentlichten Bulletin hatten die Verhandlungsführer – von der Nasa, der ESA, der russischen Roscom, der japanischen Weltraumbehörde und der kanadischen Weltraumbehörde – eine lange Diskussion über eine Bestimmung, die die proportionale Anwendung von Gewalt zu den Vorrechten des Kommandanten hinzugefügt hätte.

Zwei der Verhandlungsparteien lehnten die Aufnahme der Regel ab, die schließlich als Anmerkung in das Protokoll der Sitzung aufgenommen wurde: „In Fällen, in denen dies zur Gewährleistung der unmittelbaren Sicherheit der Besatzungsmitglieder der ISS erforderlich ist, können angemessene und notwendige Mittel auch die Anwendung proportionaler physischer Gewalt oder der Fesselung durch den ISS-Commander beinhalten.“ Kein anderes Besatzungsmitglied war berechtigt – auch nicht in einer angedeuteten Form – , einen mordernden Astronautenkollegen oder einen verrückten Kommandanten mit Gewalt zu bekämpfen.

Sojus-Kosmonauten hatten Zugang zu einer Pistole

Ganz praktisch gesehen, mangelt es auf der ISS allerdings nicht an Möglichkeiten, „Gewalt oder Zwang“ auszuüben – weder durch den Kommandanten noch durch die Meuterer. Messer, Schraubendreher, Bohrer und andere Werkzeuge, die normalerweise für Reparaturen und wissenschaftliche Experimente verwendet werden, können leicht als Nahkampfwaffen zweckentfremdet werden; medizinisches Zubehör umfasst Bungee-Seile, Beruhigungsmittel und graues Klebeband – die ausdrücklich als Mittel der Wahl zur Eindämmung von Astronauten mit Psychosen empfohlenwerden.

Früher hatten russische Kommandanten Zugang zu einer Pistole, die in der Überlebensausrüstung der Sojus-Sonde enthalten war, falls die Kosmonauten nach der Landung auf der Erde mit gefährlichen Wildtieren zu kämpfen hatten; das scheint laut Branchenexperten und Astronauten aber nicht mehr der Fall zu sein, auch wenn die Russen nie offiziell verkündet haben, dass die Waffe nicht mehr an Bord wäre. Das Zahlenverhältnis – das heißt, wie viele Mitglieder der sechsköpfigen Besatzung sind Meuterer, wie viele bleiben loyal – wären aller Wahrscheinlichkeit nach der wichtigste Faktor für das Ergebnis einer Meuterei.

Meuterer könnten mit der ISS nicht viel anfangen

Die entscheidende Frage ist allerdings, was erfolgreiche Meuterer nach der Übernahme der Station tun würden. „Es ist eine Sache, eine Meuterei auf einem Schiff hier auf der Erde durchzuführen, wo man auf einer Insel abspringen oder segeln kann, wohin man will“, sagt Alexander Soucek, Jurist bei der ESA. „Im Weltraum kann man das nicht tun. Man muss ja zurückkommen. Man ist immer noch auf die Bodenstation angewiesen.“

Natürlich könnte sich das eines Tages in ferner Zukunft ändern, wenn wir raffiniertere Raumschiffe bauen. Ein Raumschiff, das für eine Mission zum Mars entwickelt wurde, hätte wahrscheinlich mehr Autonomie als die ISS. Gleiches gilt auch für eine Mond- oder interplanetarische Basis. Aber selbst wenn es eine Rebellion gäbe, würde man sie eher als Aufstand denn als Meuterei bezeichnen.

Würde heute eine Meuterei auf der ISS stattfinden, könnte es sich dabei wohl nur um einen völlig absurden Stunt – oder eine politisch motivierte Provokation handeln. Allzu lange könnte die aber nicht andauern. Zwar müssten sich die Meuterer nicht um Wasser kümmern, das größtenteils aus Urin, Atemfeuchtigkeit und Schweiß recycelt wird. Aber ohne neue Vorräte konnte eine meuternde Besatzung nur etwa drei oder vier Monate mit den Vorräten auf der Station überleben. Und die Station ist auf die Bodenstation angewiesen, um gefährlichen Weltraumschrott zu erkennen und zu vermeiden. Ohne Funkkontakt wäre ein Crash also wahrscheinlicher.

Man bräuchte eine riesige Verschwörung auf dem Boden, um das durchzuziehen.

David Baker

Von daher gibt es nicht viel, was eine abtrünnige Crew tun könnte. Und, was entscheidend ist, es gibt kein denkbares Szenario, wie eine Meuterei auf der ISS zur Gefahr für die Erde werden könnte. David Baker, ein Mitglied der British Interplanetary Society, erklärt, dass eine Bruchlandung der ISS, um einen Selbstmordanschlag zu verüben, nicht möglich wäre. „Um die Umlaufbahn zu ändern, muss man Raketenschub anwenden, und die ISS selbst hat überhaupt keine Raketentriebwerke“, sagt er. Um die Station mithilfe der Triebwerke des angedockten Sojus-Raumschiffs oder des Progress-Tankers zu bewegen, müsste man sehr viele Kontrollverfahren durchführen, was viel Zeit kosten würde. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass das Personal der Mission Control einfach untätig zusehen würde, während die Crew damit beginnt, die Station zurück zur Erde zu treiben.

„Die Leute in der Bodenstation könnten sehr leicht elektronisch die Systeme deaktivieren, die die Besatzung dazu benutzen muss. Man bräuchte eine riesige Verschwörung auf dem Boden, um das durchzuziehen“, erklärt Baker. Er fügt hinzu, dass ein hypothetischer Versuch, das Sojus-Wiedereintrittsmodul bei einem Anschlag zu zerstören, ähnlich enden würde, da die Systeme schnell von den Leuten in der Bodenstation übernommen werden können. Die Kommunikationsausrüstung, die es der Mission Control ermöglicht, die Station zu manövrieren, befindet sich an der Außenseite des Schiffes und wäre daher für die Meuterer schwer – Baker meint: „unmöglich“ – zu demontieren.

Der Weltraum wäre plötzlich so verkorkst wie die Erde

Nach heutigem Stand der Dinge liegt der einzige ernsthafte Schaden, den eine Weltraummeuterei anrichten könnte, vielleicht im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Ein sinnloses Massaker oder eine terroristische Eskapade 400 Kilometer über unseren Köpfen könnte am Ende eine der letzten Bastionen von unverfälschtem Optimismus ruinieren. Der Weltraum würde so verkorkst aussehen wie die Erde. Astronauten und Kosmonauten, die heute als quasi heilige Gestalten verehrt werden, würden ihren Glanz verlieren. Und Utopien von interplanetarischem Frieden und Wohlstand würden plötzlich weniger überzeugend erscheinen.

WIRED.uk

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.uk
Das Original lest ihr hier.

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