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Warum deutsche Unternehmen zusammenarbeiten müssen, um 2029 nicht abgehängt zu sein

von Rahmyn Kress
Über die Zukunft der deutschen Unternehmen schreibt für unser Themenspecial WIRED2029 der Digitalchef eines deutschen Konzerns, der 1876 gegründet wurde – und schon viele Krisen und Umbrüche überstanden hat. Rahmyn Kress will als CDO dafür sorgen, dass der Persil-, Schauma- und Pritt-Hersteller Henkel auch in zehn Jahren noch gut dasteht. In seinem Gastbeitrag erklärt er, was die deutsche Wirtschaft bis 2029 unternehmen sollte.

Bereits 2014 sagte Angela Merkel auf einem Regierungsgipfel: „Wir haben die Möglichkeiten für ein digitales Wirtschaftswunder. Die Frage ist, ob es in Deutschland stattfindet.“ Diese Frage ist aktueller denn je. Deutschlands Wirtschaftsgeschichte ist reich an Erfindungen und Innovationen. Es waren deutsche Wissenschaftler, die Aspirin, das Elektronenmikroskop oder MP3-Audiodateien erfanden. Heute hinkt unser Technologiesektor hinter Innovationen aus dem Silicon Valley oder dem Londoner Silicon Roundabout hinterher.

Laut CB Insights aus New York sind nur vier der 174 sogenannten „Unicorns“ – das sind Start-ups mit einem Wert von 1 Milliarde US-Dollar oder mehr – deutsche Unternehmen. Ich wünsche mir, dass sich das ändert. Der langjährige wirtschaftliche Erfolg in Deutschland ist in hohem Maße auf traditionelle Branchen wie Automobil, Chemie, Maschinenbau und Logistik zurückzuführen. Aber auch diese Branchen sind nicht immun gegen Veränderungen, zumal monolithische Unternehmen wie Google in drei der leistungsfähigsten Bereiche einsteigen: Automobil, Energie und Robotik. Die Frage ist also: Wie schaffen wir ein fruchtbares und innovatives Umfeld für die nächsten Berners-Lees, Brins, Pages oder Zuckerbergs? Ein Umfeld, in dem wir unsere Ideen verwirklichen und wachsen können?

Deutschlands Stärke liegt in der Hightech-Fertigung

Wir müssen uns auf die Stärke konzentrieren, die unser Land seit jeher auszeichnet: die Hightech-Fertigung. Wenn wir „Disruption“ und Veränderung begrüßen und aktiv mitgestalten – auch und gerade in den eher traditionellen Branchen, in denen wir führend sind –, dann können wir mit hoch innovativen Märkten wie China oder den Vereinigten Staaten konkurrieren. Die Bedingungen sind unterschiedlich, keine Frage. Wir können und werden nicht mit so niedrigen Arbeits- und Herstellungskosten wie in einigen asiatischen Ländern konkurrieren. Gleichzeitig profitieren wir von florierenden und wachsenden Wirtschaften wie der in China. Steigende Kaufkraft und eine wachsende Mittelschicht bieten viele neue Chancen für Produkte und Services „Made in Germany“.

Ich möchte an der Stelle betonen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und viele Fortschritte machen. Der jüngst veröffentlichte „State of European Tech Report 2018“ zeigt, dass Rekordsummen in das europäische Technologie-Ökosystem investiert wurden: 23 Milliarden Dollar im Jahr 2018 gegenüber nur fünf Milliarden Dollar im Jahr 2013. Europa gewinnt an Dynamik. In diesem Jahr haben weitere 17 europäische Unternehmen Milliardenbewertungen erreicht, und drei der zehn größten Venture-Backed-Börsengänge sind europäisch.

Nur gemeinsam als Netzwerk können wir etwas verändern.

Rahmyn Kress

Deutschland setzt derzeit noch sehr stark auf die Erfolge und die Stärke seiner traditionelleren Industriebereiche. Gleichzeitig bieten exponentielle technologische Fortschritte – Künstliche Intelligenz, Blockchain, Augmented and Virtual Reality, das Internet der Dinge (IoT), Robotik und Quantencomputer – immenses Potenzial für die Zukunft deutscher Unternehmen. Doch es wird immer deutlicher, dass es nicht allein darum geht, eine neue technologische Plattform oder ein neues Programm einzuführen. Vielmehr können wir nur zukunfts- und wettbewerbsfähig bleiben, wenn wir die Art und Weise, wie wir unsere Geschäfte führen ändern – ja, sie neugestalten.

Wir haben bei Henkel die Plattform Henkel X gegründet, um die digitale Transformation des Unternehmens zu beschleunigen, die Beziehungen zu unseren Kunden und Verbrauchern zu stärken, unsere Prozesse zu optimieren und das gesamte Unternehmen zu transformieren. Daran arbeiten wir gemeinsam. Wir müssen uns öffnen und andere einbeziehen – unsere eigenen Kollegen, externe Mentoren, sogar Wettbewerber. Nur gemeinsam als Netzwerk können wir etwas verändern.

Es geht um eine authentische Beziehung zu Menschen

Innovation bedeutet auch, dass Unternehmen mehr bieten können und müssen als physische Produkte und greifbare Dienstleistungen. Es geht darum, eine echte und authentische Beziehung zu Menschen aufzubauen. Innovationen und Technologien sowie strategische Partnerschaften wirken außerdem langfristiger als die Konzentration auf den nächsten Jahresgewinn.

Laut der globalen Umfrage von Accenture „Technology Vision 2018“ stimmen 84 Prozent von mehr als 6.000 befragten Geschäfts- und IT-Führungskräften darin überein, dass Unternehmen mit neuen digitalen Technologien und Services zunehmend Einzug in den Alltag der Menschen halten. Ein Produkt wie Alexa von Amazon ist ein Paradebeispiel dafür – es organisiert nicht nur Lebensmittel und Einkäufe, sondern bietet Hilfestellung bei der täglichen Bewältigung unseres Alltags. Einige Kunden vertrauen dem Unternehmen sogar so sehr, dass sie Kurieren physischen Zugang zu ihren Häusern gewähren – Stichwort Amazon Key.

Ich sage voraus, dass jedes Unternehmen ein IoT-Geschäft werden wird.

Rahmyn Kress

Einer der führenden Köpfe in dem Bereich ist Ray Kurzweil, Autor von fünf Büchern über Künstliche Intelligenz – darunter der Bestseller „How to Create a Mind“. Derzeit arbeitet er mit Google daran, mehr maschinelle Intelligenz in Produkten zu integrieren. In einem Artikel, der im Time-Magazin erschienen ist, erläutert er seine Theorie von der menschlichen versus einer künstlichen Intelligenz. Während die meisten Experten davon ausgehen, dass wir noch Jahrzehnte von einem Durchbruch einer künstlichen, Menschen-ähnlichen Intelligenz entfernt sind, prognostiziert Kurzweil, dass es bereits 2029 soweit sein könnte. Er argumentiert, dass wir schon heute eine „human-machine“-Zivilisation sind, die Formen der KI-Technologie zur Diagnose von Krankheiten, zur Ausbildung und zur Entwicklung neuer Technologien einsetzt.

Der Fortschritt ist unausweichlich. Ich sage voraus, dass jedes Unternehmen ein IoT-Geschäft werden wird. Unternehmen müssen sich von Produktorientierung zu Serviceorientierung weiterentwickeln. Künftig werden Erlebnisse und Erfahrungen mit einem Produkt ausschlaggebend sein und nicht das Produkt allein. Marktplätze sind die Zukunft. Vorausschauende Unternehmen bereiten sich jetzt darauf vor.

Es braucht einen branchenübergreifenden Technologiefonds

Aber was bremst die Innovation? Viele Unternehmen in Deutschland und vielleicht auch in ganz Europa sind zu risikoscheu und bürokratisch. Hinzu kommen wichtige Faktoren und Rahmenbedingungen, die die Innovationskraft beeinflussen – entweder fördern oder hindern –, so wie das Steuersystem, Investitionen in Infrastruktur und Produktentwicklung sowie Aus- und Weiterbildung.

Gegenwärtig gibt es im Technologiebereich zu viel isoliertes Denken. Letztes Jahr habe ich einen Vortrag mit dem Titel „Intelligence isn't parked in Palo Alto“ gehalten. Darin habe ich dargelegt, wie es der Bay Area gelingt, eine Umgebung zu schaffen, die Innovation und Unternehmertum fördert – etwas, das wir uns in Europa zum Vorbild machen sollten. Einer der Gründe, warum so viele deutsche Informatiker und Unternehmer in die Vereinigten Staaten gehen, ist der, dass es mehr Freiheit, eine bessere Infrastruktur, weniger Regulierung und mehr Unterstützung und Mittel gibt. Mit dem Ergebnis, dass Wissen und Talent in Deutschland und Europa abfließen.

Um sein Geschäft voranzutreiben, braucht man die Freiheit zu experimentieren und auch zu scheitern. Für mehr Offenheit und Innovation brauchen wir die richtigen Unternehmen, Investoren und Risikokapitalfonds. Genau deshalb investieren wir bei Henkel direkt und indirekt in Start-ups und das Ökosystem – durch unsere Venture-Capital-Aktivitäten. Ich bin auch Verfechter eines branchenübergreifenden industriellen Technologiefonds in Europa, damit unser Kontinent weiterhin international eine Rolle spielen kann.

Zusammenarbeit ist entscheidend.

Rahmyn Kress

Außerdem muss auch außerhalb der bekannten Stadtzentren mehr Unterstützung zur Verfügung stehen. In Städten wie Köln, Warschau und Wien gibt es eine große Masse an hochqualifizierten IT-Entwicklern, ebenso wie in bekannten Metropolen wie Stockholm. Und doch spiegelt sich das nicht in den Investitionen wider. Derzeit gibt es 15 europäische Städte mit einer hochqualifizierten Gruppe von über 50.000 IT-Experten. Dennoch wurde in diesen IT-Zentren seit 2013 insgesamt weniger als eine Milliarde Dollar an Investitionen getätigt.

Die gesamte Branche muss zusammenarbeiten, Erfahrungen, Wissen und Verfahren austauschen und sogar Fonds zusammenlegen. Zusammenarbeit ist entscheidend. In der Praxis könnte eine einzelne Organisation ein bestimmtes Thema, z.B. IoT, anführen, aber letztendlich müssen Unternehmen Wissen teilen. Diese Art der Zusammenarbeit und die Vielfalt wird unsere Ergebnisse verbessern. Die Arbeit mit Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Herkünfte, sexueller Orientierungen, verschiedenen Alters und Geschlechts bringt eine Vielfalt an Perspektiven in jedes Projekt – und führt zu besseren Ergebnissen, davon bin ich überzeugt. Das ist für uns bei Henkel als globales Unternehmen wichtig.

Viele Führungskräfte denken nur zwei oder drei Jahre in die Zukunft

Aber ich engagiere mich auch persönlich sehr stark für dieses Thema. Genau deshalb habe ich eine gemeinnützige Initiative namens „BeautifulMinds“ gegründet, mit dem Ziel, Menschen mit festgestellten Lernschwierigkeiten wie Legasthenie und ADHS sowie die Menschen in ihrem Umfeld zu unterstützen und weiterzubilden. Das ist mein persönliches Engagement. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass wir Vielfalt, Unternehmertum und Integration fördern müssen. Ein Ziel ist es, diese BeautifulMinds bis 2029 in den Vorständen von Fortune-500-Unternehmen zu platzieren. Ich möchte Programme unterstützen, die Kinder mit Lernschwierigkeiten vermitteln, dass sie eine Gabe und eine Fähigkeit haben – keine Beeinträchtigung.

Das passt auch zu unserer Arbeit mit AccelerateHER, einer Bewegung, die 2016 aus dem Founders Forum hervorgegangen ist. Sie fördert und unterstützt Frauen in der Technologiebranche und baut Hindernisse ab, die Frauen vom Eintritt in den Sektor abhalten. Ein kürzlich veröffentlichter Technologiebericht ergab, dass 46% der Frauen angaben, im europäischen Technologiesektor diskriminiert worden zu sein. Und nur 7% der Venture Capital-Mittel gehen in Europa an weibliche oder gemischtgeschlechtliche Teams. Zwei entmutigende Statistiken, die zeigen, wie wichtig Initiativen wie AccelerateHER sind.

Viele Führungskräfte denken in zwei bis drei Jahreszyklen. Das ist viel zu kurzfristig. Wir müssen mindestens zehn Jahre in die Zukunft denken. Im Jahr 2029 könnten einige Unternehmen nicht mehr existieren. Andere Unternehmen, die wir jetzt noch nicht kennen, werde den Markt erobern und Lücken füllen, die größere Unternehmen übersehen haben. Es braucht eine natürliche Neugierde und die richtigen Rahmenbedingungen, um das volle Potenzial zu entfalten.

Für Henkel denke ich in drei Horizonten: Zum einen geht es darum, das Kerngeschäft mit Hilfe der digitalen Technologie zu optimieren. Der zweite Schritt ist inkrementelle Innovation. Dazu gehören neue Formen der Interaktion mit unseren Geschäftspartnern, Kunden und Verbrauchern sowie die Digitalisierung unserer Produkte und Dienstleistungen. Der dritte Horizont konzentriert sich stark auf Disruption – völlig neue Geschäftsmodelle und disruptive Technologien, die die Art und Weise, wie wir Produkte und Dienstleistungen in Zukunft anbieten, neu erfinden können. Ich glaube, dass Henkel dafür sehr gut aufgestellt und auf einem guten Weg ist.

Alle Artikel des WIRED2029-Specials, die vom 12. bis 19.12.2018 erscheinen werden, findet ihr hier.

Rahmyn Kress

Rahmyn Kress

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