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Dieser Wahl-O-Mat funktioniert wie Tinder

von Jana Kugoth
Welche Partei passt zu einem? Eine App, die wie Tinder funktioniert, soll die Antwort finden – und Wähler mit der für sie besten Partei zusammenbringen. Gründerszene hat das getestet.

Die Bundestagswahl steht vor der Tür, am 24. September ist Stichtag. Bis dahin muss ich wissen, welche Partei zu mir passt – und derzeit weiß ich das noch nicht. 113 Seiten umfasst das Wahlprogramm der SPD, 75 Seiten das der Union, die anderen Parteien warten mit ähnlich dicken Büchern auf. Wer hat schon Lust, das alles zu lesen?

Das Berliner Startup Movact will die Entscheidung nun leichter machen: mit einer App. Um vor allem junge Menschen an die Urne zu locken, setzt deren Dienst namens WahlSwiper auf das Tinder-Prinzip: 30 Fragen, auf die man mit einem einfachen Ja oder Nein antworten soll und schon wird man mit der eigenen Wunschpartei gematcht. Ein Wahl-O-Mat für die Tinder-Generation.

Ein einfacher Wisch nach links bedeutet „Nein”, nach rechts heißt „Ja”. Am Ende zeigt einem die App den „Top Match“ – und damit die Partei mit der höchsten Übereinstimmung zu den eigenen Antworten. Klingt einfach. Doch funktioniert das auch? Ich bin skeptisch. Nicht alle gesellschaftlichen Themen lassen sich auf einen Satz herunterbrechen, finde ich.

Ich lade die App herunter. Im App-Strore rankt sie derzeit auf Platz 5 in der Kategorie Bildung. Zu Beginn ploppt ein kurzer Einführungstext auf. Dann geht’s los.

Die erste Frage: Soll ein bedingungsloses Grundeinkommen als Ersatz für andere Sozialleistungen eingeführt werden?

Ein etwa 30-sekündiges YouTube-Video erklärt mir, was ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, nüchtern, ohne Wertung. Finde ich gut. Allerdings: Um eine Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen, sind mir die Informationen in dem Video zu wenig. Mir fehlt Hintergrund. Zum Beispiel, warum das Konzept derzeit vor allem von der Techbranche diskutiert wird, und wo es schon Erfahrungen damit gibt.  

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Ich gebe mein Votum ab. Anstatt zu wischen, bietet mir die App auch einen einfachen Klick auf „Ja“ oder “Nein“ am unteren Bildschirmrand an. Das Wischen fällt mir leicht, ich mache lieber das. Ich kann mich auch entscheiden, die Frage zu überspringen. Dass ich mich nicht zwangsweise festlegen muss, finde ich gut.

Weitere Fragen folgen, zu Migration, Außenpolitik und Verkehr: Soll Edward Snowden politisches Asyl gewährt werden? Soll es eine gemeinsame Armee der EU-Staaten geben? Soll es die Möglichkeit geben, neben der deutschen Staatsangehörigkeit eine weitere zu besitzen? Soll auf deutschen Autobahnen ein Tempolimit eingeführt werden?

Nicht immer sind die kurzen 30 bis 40 sekündigen Videos nur mit Erklärungen versehen. Manchmal wird zusätzlich der aktuelle Stand der Debatte erläutert. Ein Beispiel: Außenpolitik. „Denkst Du, dass bisherige Freihandelsabkommen deutschen Bürgern mehr schaden als nützen?“, fragen die Macher der App. Hier heißt es im Video: „Nationale Normen und Standards werden dadurch teilweise außer Kraft gesetzt (…)  Durch das Aufheben von Beschränkungen werden einige Freihandelsabkommen allerdings auch kritisiert (…) Kritiker befürchten, dass dadurch einige Standards in Deutschland nicht mehr gelten, wenn diese zum Beispiel aus Ländern importiert werden, die diesbezüglich nicht so streng sind.” Die Einordnung hilft. Hier finde ich in dem Video das, was ich bei der ersten Frage vermisst habe.  

Ich schaue mir ein drittes Beispiel an. Das Thema: Steuern. Die Frage: „Soll der Steuersatz für Einkommen ab 200.000 Euro oder mehr erhöht werden?“ Im Video heißt es dazu: „Mehrere Parteien wollen den Spitzensteuersatz erst später greifen lassen.“ Andererseits werden in anderen Parteien die Einführung der Reichensteuer diskutiert. Jetzt würde mich schon interessieren: Welche Argumente bringen die Parteien dabei jeweils hervor?

Am Ende habe ich 30 Fragen zu unterschiedlichen Bereichen beantwortet. Jetzt bin ich gespannt: Welche Partei passt am besten zu mir?

In der App kann ich wählen, mit welchen Parteien ich mein Ergebnis vergleichen möchte. Neben den etablierten wie der CDU/CSU, der SPD, der Partei Die Linke, Bündnis90/Die Grünen sind nicht nur auch die FDP und AfD aufgeführt. Sondern auch die Bayernpartei, DIE Partei und die Feministische Partei Die Frauen und weitere kleine Gruppierungen.

Ich wähle mehrere Parteien aus, ein Balkendiagramm zeigt mir an, wie viel Übereinstimmung ich mit ihnen habe. Das Ergebnis ist ziemlich eindeutig. Geht es nach dieser App, sollte ich die Grünen wählen. Ist mir jetzt nicht grundsätzlich unsympathisch. 

Ich klicke die Partei mit den meisten Übereinstimmungen an. Die App liefert mir eine detaillierte Übersicht, wie ich jeweils entschieden habe und welchen Standpunkt die Partei in diesen Fragen jeweils einnimmt. Zu jedem Punkt kann ich zusätzlich die Begründung der Partei aufrufen. Diesen Punkt finde ich den spannendsten. 

Dabei lerne ich: Die SPD liefert keinen Grund dafür, warum sie gegen die Wiedereinführung der Wehrplicht ist. Und bei der AfD finde ich zu all ihren Standpunkten überhaupt keine Begründung. So lerne ich allerdings, dass die AfD – wie ich – für einen gebührenfreien Kitabesuch ist.

Interessant ist auch, was bei den Begründungen von Die Partei zu lesen ist: „Anmerkung der Redaktion: Die Partei hat mitgeteilt, unseren Fragebogen nicht ganz gelesen zu haben und daher abwechselnd mit Ja und Nein geantwortet.“ Etwas anderes hätte ich von der Partei des Satirikers Martin Sonneborn auch nicht erwartet. 

Einen dicken Pluspunkt finde ich allerdings, dass ich am Ende noch einen Link zur Webseite und dem Wahlprogramm jeder Partei finde. So bekomme ich doch noch die Hintergründe, die mir zu Beginn fehlten.

Fazit: Ob ich tatsächlich die Partei mit den meisten Übereinstimmungen wähle, lasse ich mir noch einmal gründlich durch den Kopf gehen, bis zum 24. September bleiben mir ja noch einige Wochen. Vermutlich werfe ich bis dahin doch noch den ein oder anderen Blick in die langen Parteiprogramme. So viel hat die Tinder-Wahl-App erreicht: Mein Interesse daran, was die Parteien tatsächlich schreiben, ist gestiegen.

Und noch eine nützliche Funktion hat die App: Das Top-Match und die weiteren Ergebnisse lassen sich speichern, „um die Entwicklung deiner politischen Standpunkte über die Dauer des Wahlkampfes zu vergleichen“, heißt es dazu von den Machern der App. Praktisch. 

Gründerszene

Dieser Artikel erschien zuerst bei Gründerszene
Das Original lest ihr hier.

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