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Pro Verschlüsselung: Freiheitsrechte dürfen nicht unter dem Staat leiden!

von GQ
Technisch und gesellschaftlich fragwürdig: Freiheitsrechte leiden, wenn der Staat die Kommunikations­wege seiner Bürger überwachen will, argumentiert Michael Herfert, Datenschutzexperte beim Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT in Darmstadt.

Wer eine Regulierung von Verschlüsselungstechnik fordert, wünscht sich letztlich eine Verschlüsselung mit Hintertür, um Sicherheitsbehörden den Einblick in geschützte Nachrichten zu erlauben. Das trägt zur Verbrechensbekämpfung aber wenig bei, da es leicht ist, Alternativen zu verwenden – sogar so, dass Behörden dies nicht feststellen können. Legitime Anwender büßen aber grundlegende Freiheitsrechte ein und müssen damit rechnen, dass auch Kriminelle die Hintertüren entdecken.

Verschlüsselung ist wichtig: Sie hilft Unternehmen, intellektuel­les Eigentum  zu schützen – ob Investitionspläne, Patentanträge oder Preiskalkulationen. Ärzte und Anwälte nutzen Kryptografie, um persönliche Daten ihrer Patienten oder Mandanten zu kommunizieren. Und wenn Journalisten sich nicht mehr auf die Vertraulichkeit ihrer Nachrichten verlassen könnten, wäre die Pressefreiheit stark gefährdet. Ganz allgemein schützt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen vertraulich auszutauschen. Eine Einschränkung dieses Rechts würde der Demokratie unmittelbar schaden.

Technisch lässt sich eine Regulierung nur schwer umsetzen, wenn sie die erhoffte Wirkung zeigen soll. Voraussetzung wäre, dass alle Beteilig­ten genau das System nutzen, dessen Nachschlüssel die Behörden besitzen. Der Clipper-Chip, den die USA Anfang der 1990er-­Jahre entwickelten, sollte genau das sicherstellen. Er scheiterte politisch, hätte aber auch technisch keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Selbst wenn eine Regulierung etabliert wäre, könnten Kriminelle sie leicht umgehen, da kryptografische Algorithmen frei zugänglich sind – und es erscheint unwahrscheinlich, dass gerade Kriminelle sich auf regulierte Verfahren beschränken würden.

Es entstünde ein riesiger Raum überwachter Kommunikation.

Als die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine Einschränkung des Kommunikationsgeheimnisses erlaubten (Art. 10 II GG), gab es noch eine inhärente Schranke gegen Missbrauch: Menschen mussten einzelne Telefongespräche abhören und einzelne Briefe öffnen. Durch die Digitalisierung fällt diese Schranke. Umso kritischer müssen Eingriffe in die Kommunikation gesehen werden – zumal Nachrichtendienste international zusammenarbeiten. Zu befürchten wäre, dass sie entschlüsselte Informationen und die Infrastruktur für Nachschlüssel untereinander teilen. Dadurch entstünde ein riesiger Raum überwachter Kommunikation.

Eine Regulierung der Kryptografie auf Kosten ver­fassungsrechtlich garantierter Freiheitsrechte würde also privat und beruflich enormes Misstrauen schüren, ohne der Verbrechensbekämpfung entscheidend zu helfen. Das Ergebnis wäre ein Sieg der medial geschürten Angst über die Vernunft.

Mit der Entscheidung, Spionagesoftware für Online-­Überwachungen zu erlauben, schließt die Regierung eine Gesetzeslücke, die Kriminel­len zu viel Schutz gab, argumentiert Arndt Sinn, Direktor des Zentrums für Europäische und Internationale Strafrechtsstudien in Osnabrück.

Online zu gehen ist für viele Menschen zu einem Ausdruck von Freiheit geworden. Der Bundesgerichtshof hat die Nutzbarkeit des Internets wegen seiner zentralen Bedeutung sogar quasi in den Rang eines Grundrechts erhoben. Zugleich haben die allgegenwärtige Vernetzung und der Austausch auch sensibler Daten zwischen IT-Konzernen zu einer Sehnsucht nach Privatheit in der Kommunikation geführt.

Verschlüsselungstechnologien befriedigen diese Sehnsucht, und bestimmte Teile des Internets – wie das Darknet – sind sogar darauf ausgelegt, Daten nur unter der Bedingung der Verschlüsselung auszutauschen. Diese Kanäle werden häufig für illegale Zwecke genutzt. Die neuen Möglichkeiten der Technologie führen zu einer weitgehenden Anonymisierung kriminellen Verhaltens. Die Tatanreize sind groß, weil das Risiko, entdeckt zu werden, durch Verwendung von Verschlüsselungstechnologie sinkt. Kriminelle beziehen dieses Potenzial bei der Planung von Straftaten längst mit ein. Kommunizierten Straftäter in der Vergangenheit noch mit verschiedenen Handys und SIM-Karten, um Spuren zu verwischen, war es zumindest möglich, die Telekommunikationsinhalte und -umstände auf der Grundlage einer richterlichen Anordnung zu erfassen. 

Mit dem Einsatz von Verschlüsselungstechnologie wurde das unmöglich, und der Strafprozessordnung fehlte eine Antwort, weil es keine gesetzliche Grundlage für eine Überwachung der digitalen Kommunikation gab, bevor diese verschlüsselt wird. Deshalb konnten Strafverfolger in Deutschland nur partiell auf die neuen Herausforderungen reagieren.

Im Juni beschloss der Bundestag die Einführung von drei neuen Ermittlungsmethoden: Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung ermöglicht einen heimlichen Zugriff auf Daten, ­solange sie noch unverschlüsselt vorliegen. Damit wird zu Recht die Lücke geschlossen, die Verschlüsselungstechnologie bei der Strafverfolgung gerissen hat. Außerdem wurde die Grundlage für eine kleine und eine große Online-­Durch­suchung geschaffen. In allen Fällen muss das Gerät eines Verdächtigen unbemerkt mit Software infiltriert werden – daher der Begriff „Staatstrojaner“. Bei beiden Formen der Online-­Durchsuchung sind die Voraussetzungen für eine Anordnung deutlich höher als bei der Quellen-­Telekommunikationsüberwachung.

Heimliche Ermittlungsmaßnahmen sind der deutschen Strafprozessordnung nicht fremd. Auch intensive Eingriffe sind vom Bundesverfassungs­gericht unbeanstandet geblieben. Entscheidend ist, dass schon in den Anordnungsvoraussetzungen bestimmte Sicherungsmechanismen zum Schutz der Grundrechte und zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorgesehen werden. Soweit diese Sicherungen effektiven Schutz vor missbräuchlichem Einsatz versprechen, können diese Maßnahmen im Gesamtkonzept der Strafverfolgung eine wichtige Rolle zur Aufklärung von Straftaten spielen.

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