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Ein Gadget aus den 20ern soll das Instrument der Zukunft werden

von GQ
Das Theremin ist ein Musikinstrument aus den 20er Jahren, das sich ohne Berührung spielen lässt. Und sieht so aus, als stamme es aus einer fernen Zukunft. Zeit für sein Comeback.

Es klingt überirdisch, mal nach Science-Fiction, mal nach 50er Jahre-Horror-Grusel: Dorit Chrysler spielt ihr Musikinstrument, indem sie durch die Luft streichelt. Sie dirigiert, mal schüttelt sie die Hände schnell oder schlägt zu, kurz und hart – ein elektromagnetisches Feld reagiert mit Klängen auf die Bewegungen. Das Theremin wird völlig ohne Berührung gespielt, es macht elektromagnetische Felder hörbar.

 „Es ist ein vollkommen neues Interface, die erste Begegnung mit einem Theremin ist wie ein Houdini-Effekt“, sagt die österreichische Musikerin. „Es ist wie Zauberei, total faszinierend und spannend. Aber dann kommt eine lange Durststrecke. Bis man das Theremin richtig spielen kann, dauert es ewig – ich hätte auch fast aufgegeben.“ 

Das Geister-Instrument hat der russische Tüftler und Physiker Leo Theremin 1918 erfunden. Es sah damals aus wie ein Pult mit zwei Antennen und war das erste elektronische Instrument weltweit, revolutionierte die Musikproduktion: „Die Bewegung verwandelt sich in Sound, es reagiert auf das kleinste Zittern des Körpers, selbst wenn man nur atmet“, sagt Dorit Chrysler. „Es ist ein ganz neues Körpergefühl und eigentlich nur vergleichbar mit der eigenen Stimme, weil es so mit dem Körper verbunden ist.“

Es ist vergleichbar mit der eigenen Stimme, weil es so mit dem Körper verbunden ist

Dorit Chrysler, Musikerin

Chrysler tritt mit dem ungewöhnlichen Instrument bei Tech-Festivals wie Ars Electronica auf, musiziert aber auch mit klassischen Orchestern wie der San Francisco Symphony (SFS) zusammen. „Die Geiger haben sich in San Francisco aufgeregt, weil sie das Theremin nicht hören könnten“, so Chrysler. „Die eine Hälfte des Orchesters fand es cool, die andere Hälfte erniedrigend – aber in dem Instrument steckt mehr drin, als ihm zugetraut wird.“

In Berlin inszeniert sie am Dienstag zusammen mit Carsten Nicolai bei der Ausstellung „Art Without Death“ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) eine vom russischen Kosmismus inspirierte experimentelle Oper.

Heute Revoluzzerin, früher Kinderchor: Die Musikkarriere der Österreicherin startete klassisch, mit sieben Jahren sang sie im Grazer Kinderchor, in Wien studierte sie Musikwissenschaft. 1986 zog sie nach New York, weil sie zu gelangweilt war von konservativer Musikwelt und Regelwerk. „Von der Musikwissenschaft war ich sehr enttäuscht, weil sie sehr reguliert ist, als Rebellion dazu habe ich in New York eine Rockband gegründet, um die wohlgeordneten Konventionen zu durchbrechen“, sagt Chrysler. Neue Stadt, neuer Name  – von Kreisler zu Chrysler – und damit kam ein neues Leben.

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Ihr erstes Theremin entdeckte Chrysler im Haus eines Freundes. „Es war Liebe auf den ersten Blick und die ultimative Herausforderung, das zu meistern“, erinnert sie sich. „Es war auch spannend, weil es so stiefmütterlich behandelt und nicht so richtig ernst genommen wurde, aber ich habe sofort eine große Dynamik vermutet, die elektronische Musikinstrumente nicht haben.“ Das Instrument spielen zu lernen, war eine Qual: „Es ist leider einfach, schauerlich zu klingen“, sagt Chrysler. „Die Ohren tun einem weh und der Nachbar klopft mit dem Besen an die Decke.“

Inzwischen hat sie sich mit anderen Theremin-Fans vereint und „The NY Theremin Society“ gegründet, um das verkannte Instrument populärer zu machen. „Das Theremin hat seinen echten Sound noch nicht gefunden. Es ist ein junges Instrument, es gibt nicht viele, die es spielen können, und es ist noch nicht in der Populärmusik angekommen“, so Chrysler.

Sie findet das Theremin auch deswegen so faszinierend, weil es kein festes Regelwerk gibt, weil sich das Instrument nie völlig beherrschen oder zähmen lässt. „Man kann Technik trainieren, aber es gibt auch eine sehr freie Komponente“, sagt sie. „Für mich gibt es kein richtig und falsch. Du kannst das Theremin auch mit deiner Nase spielen, es lyrisch einsetzen, du kannst es loopen oder durch tausend Effekte senden. Es geht darum, dass jeder seine eigene Stimme oder Expression findet.“ Da es sich um ein vergleichsweise junges Experiment handelt, sind die Pfade noch nicht so ausgetrampelt wie in anderen Musikbereichen. Die Theremin-Bewegung wächst, auch wenn Chrysler zufolge nur fünf bis zehn Theremin-Spieler weltweit tatsächlich wie sie davon leben können.

Chrysler hat auch eine Musikschule aufgebaut, in der Kinder bei Workshops mit dem Theremin experimentieren können. „Das Theremin ist ideal, weil es aktiv und frei und imaginär ist – da spielen schon die Vierjährigen Brian Eno und Kraftwerk zusammen“, sagt Chrysler. „Als Kind hätte ich mir das gewünscht.“ 

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