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Stripe will zum Turbolader für die Internetwirtschaft werden

von Karsten Lemm
Mit 26 Jahren ist John Collison der jüngste Milliardär auf der Forbes-Liste der Superreichen. Seine Firma Stripe hilft Startups, Zahlungen abzuwickeln und schneller zu wachsen. Unsexy? Von wegen. Im Gespräch mit WIRED erklärt Collison, was er und sein Bruder Patrick als nächstes vorhaben.

Auf der B27 zwischen Stuttgart und Tübingen gibt es reichlich Autofahrer, die gern andere mitnehmen würden, um sich Kosten zu teilen – oder einfach, weil sie gern plaudern. Das wissen die Gründer von Match Rider seit einem erfolgreichen Pilotprogramm aus dem vorigen Sommer. Ihre Idee war, eine neue Art von Mitfahrzentrale zu schaffen: mit festen Haltepunkten und regelmäßigen Fahrplänen, ähnlich wie bei Bussen – aber mit Fahrern, die nicht angestellt sind, sondern am Umsatz beteiligt werden, wie in der Gig Economy üblich. „Unsere Fahrer sind Menschen, die ohnehin pendeln“, sagt Benedikt Krams, Partner-Manager bei dem Heidelberger Startup, „und fürs Mitmachen bekommen sie einen kleinen Obolus“. 

Was den Match-Rider-Gründern fehlte, um ihre Idee in die Praxis umzusetzen, war eine einfache Art, Zahlungen zu akzeptieren. Ein Tipp aus einer Facebook-Gruppe führte sie zu Stripe: Die kalifornische Firma wurde 2010 von den Brüdern John und Patrick Collison gegründet, um anderen Startups das Leben zu erleichtern. Wenn Nutzer von Match Rider nun eine Mitfahrgelegenheit buchen, wird die Zahlung im Hintergrund von Stripe abgewickelt. „Unsere Überweisungen sind selten höher als zehn Euro“, erklärt Krams, „und Stripe ließ sich leicht in unsere App integrieren. Es funktioniert tadellos.“

Solche Geschichten hört John Collison gern. Sie machten ihn mit 26 Jahren zum jüngsten Selfmade-Milliardär der Welt: Mindestens 1,1 Milliarden Dollar ist sein Anteil an der Firma wert, schätzt das Wirtschaftsmagazin Forbes, bekannt für seine Liste der Superreichen. Das gleiche gilt für Collisons zwei Jahre älteren Bruder Patrick.

Fragt man John Collison danach, was er mit seinem Reichtum anstellt, ob er zum Beispiel schon einen Tesla bestellt hat, um auf Kaliforniens Highway 1 die Küste entlang zu kurven, zögert der gebürtige Ire und sucht nach Antworten, ehe er schließlich erklärt: „Ich glaube, Patrick und ich waren immer schon an Infrastruktur interessiert und daran, wie Infrastruktur helfen kann, Menschen neue Dinge zu ermöglichen.“

Mich interessiert, wie wir Gründern helfen können, ihr Geschäft schneller aufzubauen

John Collison

Eine merkwürdige Antwort für einen Milliardär Mitte 20, aber so tickt er eben. „Ich habe einen wahnsinnigen Respekt vor Snapchat“, sagt Collison. Unglaublich, welchen Erfolg der auf Spaß getrimmte Messenger-Dienst mit Filtern, Spectacles und anderen Dingen habe – aber „so etwas wäre mir nie eingefallen!“, ruft Collison. Er lacht. Er mag noch jung sein, aber solche Spielereien sind für andere: „Mich interessiert viel mehr, wie wir Gründern helfen können, ihr Geschäft schneller aufzubauen.“ 

Unsexy, aber hoch erfolgreich war schon das erste Startup der Brüder aus Limerick, die im Süden Irlands aufwuchsen, ehe sie zum Studium in die USA zogen: 2008 gründeten sie den Softwareanbieter Auctomatic, um Verkäufern auf E-Commerce-Seiten wie eBay und Amazon bei der Prozess-Optimierung zu helfen. Kaum ein Jahr später ging die Firma für fünf Millionen Dollar an ein kanadisches Internet-Unternehmen – und die Gründer waren Millionäre: mit gerade mal 17 und 19 Jahren.

Als ihnen 2009 die Idee für Stripe kam, studierte John an der Harvard-Universität, Patrick am MIT. Wenige Monate später ließen die Brüder ihr Studium an der Ostküste sausen und zogen im Sommer 2010 nach San Francisco, ins Zentrum des aktuellen Startup-Booms, um Seite an Seite mit ihren potenziellen Kunden zu wachsen. „Wir hatten festgestellt, dass es für Gründer – Leute wie uns – extrem schwierig war, Zahlungen abzuwickeln“, erzählt John Collison. Viele entwickelten eigene Systeme, plagten sich mit Banken, Bürokratie und Papierkram ab: „Es war eine Sache von Monaten, nicht von Stunden. So ähnlich, als wollte man eine Hypothek beantragen.“

Collison ist ein sportlicher, breitschultriger Mann, der gern an San Franciscos Hafenmeile Joggen geht, um darüber nachzudenken, welche Probleme seine Firma sich als nächstes vornehmen sollte. Zu den mehr als 100.000 Kunden, die Stripe nach eigenen Angaben inzwischen zählt, gehören Riesen wie die Kaufhausketten Target und Macy’s ebenso wie Adidas, Deliveroo und Unicef. 

Den Vergleich mit PayPal, den Journalisten gern reflexhaft ziehen, mag Collison nicht – denn Stripe versteht sich nicht selbst als Bezahldienst, sondern als Plattform, die unterschiedliche Zahlungsmöglichkeiten anbietet, von Kreditkarten über Giropay bis hin zu SEPA-Überweisungen, Apple Pay und Bitcoin. „Wir glauben, Händler wollen einfach nur Geld von ihren Kunden entgegen nehmen“, erklärt er, „und sie haben keine Lust, in Konkurrenzkämpfe verstrickt zu werden.“

Wir wollen den Leuten eine direkte Auffahrt zum Highway bauen, statt dass jeder sich selber durchschlagen muss

John Collison

Der Ehrgeiz der Gründer, die in ihrer Heimat als „Wunderkinder der Fintech-Industrie“ gefeiert werden, gilt ohnehin größeren Zielen, als nur Bezahlungen abzuwickeln: Sie wollen ihre Firma zum Turbolader für die Gründerwelt machen. „Wenn wir Erfolg haben, sollte Stripe zu einer Kraft werden, die die Internetwirtschaft beschleunigt“, sagt Collison. Deshalb bietet Stripe mit seinem Atlas-Programm seit einigen Monaten an, alle lästigen Aufgaben zu erledigen, die dazu gehören, wenn man in den USA eine Firma ins Leben rufen will – den Eintrag ins Handelsregister, das Eröffnen eines Geschäftskontos, die Anmeldung beim Finanzamt und vieles mehr.

Die Gründer sollen sich auf das Wesentliche konzentrieren können: Software entwickeln, Produkte verkaufen, Geschäfte machen. „Wir wollen den Leuten eine direkte Auffahrt zum Highway bauen“, erklärt Collison, „statt dass jeder sich selber durchschlagen muss.“ Ursprünglich war Atlas für internationale Firmen gedacht, die von Amerika träumten, doch dann häuften sich Anfragen von Gründern aus den USA selbst. Und zunehmend entdecken auch Großkunden, wie praktisch es sein kann, bestimmte Funktionen des Web-Angebots auszulagern – etwa Abozahlungen oder den Schutz vor Betrügereien bei Kreditkartenzahlungen. 

„Firmen, die gerade erst an den Start gehen, können mit unserer Hilfe weltweit operieren“, erklärt Collison, „und Großunternehmen helfen wir dabei, agiler zu werden.“ Fürs Geldverdienen setzt Stripe weiterhin vor allem auf Kommissionen, die anfallen, wann immer eine Zahlung über das eigene System abgerechnet wird. Die Höhe schwankt je nach Anwendung zwischen 1,4 und 2,9 Prozent – und der Markt ist gigantisch: In diesem Jahr dürften weltweit fast 2,7 Billionen Dollar digital den Besitzer wechseln, schätzt der Marktforscher Statista; bis 2020 soll die Summe auf 4,2 Billionen steigen. Solche Wachstumsaussichten lassen die Augen von Investoren aufleuchten: Bei der jüngsten Finanzierungsrunde im vorigen Herbst bewerteten sie Stripe mit mehr als neun Milliarden Dollar.

Viele Leute im Silicon Valley lassen sich von kurzfristigen Erfolgen den Kopf verdrehen

John Collison

Wie viel die Firma tatsächlich schon verdient, dazu schweigt Collison, und Kritiker sehen eine große Lücke zwischen Erwartungen und Realität. Doch für die Gründer gibt es keinen Zweifel, dass sie noch ganz am Anfang stehen. Indien etwa, eines der bevölkerungsreichsten Länder überhaupt, fehlt bisher auf der Stripe-Landkarte, weil die 750 Mitarbeiter einfach nicht ausreichten, um alles, was sich an Chancen bietet, gleichzeitig anzugehen, erklärt Collison: „Das ist ziemlich frustrierend. Da gibt es so viele talentierte Programmierer, denen wir helfen könnten, aber wir sind bisher nicht dazu gekommen.“

Deutschland, immerhin, steht als eines der nächsten Länder auf der Liste, die Stripe auch offiziell bedienen will. Bisher müssen sich hiesige Kunden wie Match Rider mit einer Preview-Version begnügen. Zum genauen Starttermin schweigt Stripe, hat aber gerade eine Umfrage veröffentlicht, in der deutsche Gründer versichern, wie wichtig Drittanbieter für sie seien: 65 Prozent der Befragten gaben an, sie könnten ohne Dienste wie Stripe, Slack oder Trello nicht mehr leben. Keine Frage also: Die Kalifornier bringen sich in Stellung, um auch deutsche Kunden zu umwerben.

Vom Feiern der bisherigen Erfolge will Collison ohnehin nichts wissen. „Es ist ungeheuer wichtig, dass man nie anfängt zu glauben: ,Jetzt haben wir's geschafft.‘ Viele Leute im Silicon Valley lassen sich von kurfristigen Erfolgen den Kopf verdrehen“, sagt er. Das soll ihm nicht passieren. Lieber halten sich die Stripe-Gründer hinter den Kulissen und machen ein Geschäft daraus, für andere den Wegbereiter zu spielen.

So wie in Heidelberg, wo die Match-Rider-Gründer schon daran denken, ihren frisch gestarteten Dienst auf andere Strecken auszuweiten. „Wir haben drei weitere Routen in Planung“, erzählt Benedikt Krams, zunächst rund um Stuttgart. Spätestens 2018 sollen die Rhein-Neckar-Region und das Rhein-Main-Gebiet folgen. Und wenn ihr Projekt erfolgt hat, werden John und Patrick Collison an jeder Fahrt ein paar Cent mitverdienen.

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