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Startups: Über das Scheitern und Aufraffen

von Timo Brücken
Mit seiner Texterkennung überzeugte Anyline die Investoren. Doch dann wurden die Zahlen dem Hype nicht gerecht. CEO Lukas Kinigadner über die schwierige Zeit seines Startups.

Eine Texterkennung fürs Smartphone, besser als die von Google – mit diesem Versprechen hat das 2013 gegründete Wiener Startup Anyline nicht nur Kunden wie Red Bull, Canon oder Swisscom überzeugt, sondern auch Geldgeber wie den Runtastic-Investor Hansi Hansmann und die Swarovski-Stiftung. Doch Ende 2016 kam der Rückschlag: Die Umsatzzahlen waren niedriger als erhofft, das Unternehmen verbrannte zu schnell Geld, innerhalb eines Jahres musste ein Drittel der knapp 30 Mitarbeiter gehen. Die Gründer Lukas Kinigadner, Jakob Hofer, Daniel Albertini und David Dengg mussten umdenken, um ihr Startup zu retten. CEO Kinigadner hat uns erklärt, wie sie das geschafft haben und was er persönlich daraus gelernt hat.

Lukas, ihr habt 2016 eine sehr schwierige Phase durchgemacht. Was war der Moment, in dem du gemerkt hast: So kann es nicht weitergehen?
Lukas Kinigadner: Im Sommer 2016 hatte ich eine Woche Urlaub und saß in der Therme. Plötzlich dachte ich: Wenn wir so weitermachen, haben wir ein Problem. Wir hatten im Februar eine tolle Finanzierung bekommen, 1,5 Millionen Euro, eine der größten Runden in Österreich. Wir haben unser Team auf fast 30 Leute raufskaliert und waren total im Wachstumsfieber. Doch mit der Zeit merkten wir, dass die Umsätze nicht so ausfallen werden, wie wir es prophezeit hatten. Dann habe ich aus dem Urlaub mit den anderen Gründern telefoniert und wir haben versucht herauszufinden: Was ist eigentlich unser Problem?

Und was war es?
Wir vier Gründer sind alle Techniker, ausgebildete Ingenieure. Am Produkt konnte es also nicht liegen, das war exzellent. Aber offensichtlich nahm der Markt es nicht so gut an. Also sind wir darauf gekommen, dass das Problem vielleicht eher in der Organisation liegt. Darin, wie wir das Team aufgebaut und die Ziele definiert haben. Uns fiel auf, dass viele Dinge, die wir getan haben, typisch Startup-Style waren: Jeder hat gemacht, was er wollte. Wir waren superfroh, dass alle nach vorn schieben, aber jeder hat eben für sich allein geschoben. Es gab zwar Rollen, aber die waren eher educated guesses: „Du willst Marketing machen? Mega! Was auch immer das heißt, aber du machst das sicher wie ein Rockstar!“ Uns wurde klar, dass wir auf diese Weise nicht strukturiert und mit klaren Zielen an einem gemeinsamen Plan arbeiten.

Inwiefern hat sich durch diese Erfahrung deine persönliche Einstellung zum Gründer-Sein geändert?
Ganz ehrlich, ich habe mich damals für den besten CEO der Welt gehalten. Die Erkenntnis, dass man das nicht ist, dass man in gewissen Bereichen immer Wachstumspotenzial hat und sich vor allem externe Hilfe holen muss, zum Beispiel im Vertrieb – die ist extrem hart. Nach außen musst du jedem gegenüber ständig behaupten, dass du alles perfekt beherrschst. Die Investoren wollen nichts anderes hören, als dass du der perfekte Gründer bist. Und irgendwann glaubt man das sogar selber. Zu erkennen, dass ich Fehler mache und sie mir eingestehen muss, dieser Prozess hat sich für mich ein bisschen wie Erwachsenwerden angefühlt.

Was habt ihr getan, um wieder aus der Krise zu kommen?
Wir haben dafür gesorgt, dass der Vetrieb mehr Einfluss bekommt. Vorher wurde die Produkt-Roadmap fast vollumfänglichen von den Entwicklern bestimmt, also den Technikern. Und da hast du oft die Situation: Der Kunde ist der Böse, der versucht, dich von deinem Traumprodukt abzubringen und aus deinem Startup – deinem Baby – irgendetwas zu machen, das es nicht ist. Davon muss man weg kommen und erkennen: Die Wertschätzung für uns alle kommt letztendlich vom Kunden. Wir freuen uns heute mega, wenn ein Kunde durch uns erfolgreich ist, weil das uns Stück für Stück mehr Legitimation am Markt bringt. Aber ein Startup in diese Vetriebsorientierung zu lenken, erzeugt Konflikte. Viele Leute können damit nicht umgehen und das ist einer der Hauptgründe, warum die meisten Startups scheitern: Solange man Geld raisen, den Hype genießen und immer weitermachen kann, ohne sich wirklich dem Markt und den Kunden zu stellen, muss man auch die eigene Einstellung nicht verändern.

Ist das ein Mentalitätsproblem in der Startup-Szene?
Die wenigsten Gründer sind introvertiert, man liest gern über sich in den Medien und lässt sich vom Hype treiben. Das ist prinzipiell nichts Schlechtes, aber wenn man sich nicht irgendwann selbst am Kragen packt, kann es schnell aus sein. Letztendlich ist es abhängig von der Phase, in der dein Startup sich befindet: Am Anfang musst du den Investoren die maximal größte Story verkaufen. Aber nach dem Fundraising musst du hingehen und sagen: Diese Story, die hauen wir jetzt weg – und überlegen, was wir in den nächsten zwölf Monaten wirklich umsetzen wollen. Vor allem im B2B-Umfeld, ist es wichtig, dass man frühzeitig anfängt, sich am Markt zu orientieren. Neues Kapital raisen und eine große Geschichte erzählen, das kann man wieder tun, wenn man seine Meilensteine erreicht hat.

Wie habt ihr den Shift vom lockeren Startup-Spirit zur ernsthafteren Geschäftsorientierung hinbekommen?
Das war für uns der emotional schmerzhafteste Punkt. Wir haben gemeinsam mit Freunden gegründet, ich kenne fast jeden bei Anyline schon von früher, zum Teil noch von der Schule. Aber es gibt einfach für gewisse Phasen die richtigen Mitarbeiter. Oft ist eine Partnerschaft irgendwann nicht mehr im beiderseitigen Interesse. Man merkt zum Beispiel: Eine ganz klar strukturierte Rolle ist einfach nichts für diese Person. Wir haben den Fehler gemacht, das nicht völlig zu offen zu spielen. Wir haben gesagt: Es ist alles super, wir bleiben als Team zusammen und schaffen das. Stattdessen hätten wir uns vors Team stellen und sagen müssen: Wir treten jetzt eine neue Reise an, das sind die Ziele, wer will dabei mitmachen? Dann ist sofort Klarheit geschaffen, wer den weiteren Weg attraktiv findet und mitgehen möchte und wer nicht.

Wie ist es den Leuten ergangen, die euch verlassen haben?
Soweit wir wissen, haben die meisten sehr zügig einen neuen Job bekommen. Witzigerweise sind einige in Corporates gelandet, wohl auch, weil Corporates im Moment nach diesem Startup-Spirit bei den Leuten suchen. Andere haben versucht, selbst etwas zu gründen. Ich glaube, die Leute die in der Anfangsphase bei Startups arbeiten, sind tendenziell selbst sehr gute Gründer.

Was rätst du anderen Gründern, die verhindern wollen, dass ihnen das gleiche passiert wie euch?
Die Frage finde ich witzig, weil ich glaube, dass man es nicht verhindern kann. Der Punkt des Erwachsenwerdens kommt unweigerlich und wenn man es als Gründer ernst meint, muss man da durch. Wenn es soweit ist, ist es wichtig, den Veränderungsprozess so offen wie nur möglich zu kommunizieren. Dann wird auch schnell sichtbar: Wer arbeitet wirklich kompromisslos für die Idee selbst? Und wer ist am Ende nur wegen eigener Interessen, wegen seiner Rolle oder des Images der Firma da?

Sorgt ein größeres Gründerteam dafür, dass man die Dinge eher untereinander diskutiert statt direkt mit den Mitarbeitern?
Exakt. Wir haben damals angefangen, zu viert am Reißbrett neue Rollen zu definieren. Dann haben wir das Konzept dem Team vorgestellt und gemerkt: Viele Leute interessiert die Rolle gar nicht, die wir ihnen zugedacht haben. Und weil wir sie quasi bevormunden, nehmen sie sogar eine Abwehrhaltung ein. Dabei waren wir der Ansicht, dass wir sie nur schützen würden vor dem harten Veränderungsprozess. Stattdessen hätten wir von Anfang an jeden Montag All-Hands-Meetings machen und offen über alles reden müssen, dann wäre es sicher smoother gelaufen.

Was sind die nächsten Schritte für Anyline?
2017 werden wir hoch erfolgreich abschließen, mit Umsätzen im siebenstelligen Bereich. Nach dem wildesten Jahr ist für uns das beste gekommen. Wir haben mittlerweile über 100 Enterprise-Kunden, Anyline wird in mehr als 50 Ländern eingesetzt. Damit kommen wir langsam in den klassischen US-VC-Case rein. Bis Q2 2018 wollen wir konstant weiter im Umsatz wachsen und wir haben für das kommende Jahr auch unsere Series A im Auge. Mehr Details kann ich aber noch nicht verraten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Gründerszene.de.

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