Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Das Start-up Sono Motors will Elektroautos bauen, die während der Fahrt Solarstrom tanken

von Michael Förtsch
Ein Start-up aus München will schaffen, was die etablierten deutschen Autobauer über Jahre verpasst haben. Sono Motors will ein gutes Elektroauto zu einem vernünftigen Preis bauen – das sich außerdem über Solarzellen selbst mit Strom versorgen kann. Das eigentliche Ziel von Sono Motors ist aber, unnötige Autos von der Straßen zu bekommen. Und die Welt zu retten.

Wie schwer kann es eigentlich sein, ein Elektroauto zu bauen? Eines, das für den Alltag taugt und kostenlosen Strom aus der Sonne tankt? Ein Fahrzeug also, das die Umwelt nicht belastet, nicht ständig an die Steckdose muss und einen trotzdem dorthin bringt, wo man hin will. Nur weil BMW, Mercedes oder Audi so ein Auto nicht produzieren, muss das doch nicht bedeuten, dass es nicht machbar wäre. Genau das hatten sich die Münchner Laurin Hahn und Jona Christians vor sechs Jahren nach einer langen und kräftezehrenden Telefondebatte über Öl, Dieselautos und Klimawandel gedacht. Damals waren sie gerade einmal 18 Jahre alt und hatten das Abitur noch vor sich. Trotzdem grübelten und philosophierten sie nicht einfach vor sich hin. Stattdessen besorgten sie sich wenig später einen alten Twingo und nahmen die Garage von Jonas Eltern in Beschlag.

Die beiden Jungs hoben den Benzinmotor aus dem Kleinwagen, wuchteten den Tank aus dem Unterboden, flexten den Auspuff ab, setzen Batterien und einen kleinen Elektromotor ein. Wie das geht, das lernten sie bei Youtube. Zwischendrin rekrutierte Laurin noch seine Mitbewohnerin Navina Pernsteiner, die Ordnung und Design in das Projekt brachte. Gemeinsam rüsteten sie den Wagen auf Strombetrieb um und montierten dann auch noch Solarzellen aufs Dach. Und tatsächlich: Die, wie sie heute sagen, „kleine Machbarkeitsstudie“ fuhr tatsächlich – und tankte nebenbei Sonnenenergie. Das war Bestätigung genug, um weiterzumachen. Anfang 2016 gründete das Trio das Auto-Start-up Sono Motors, um aus dem verbastelten Twingo ein eigenes Auto zu machen, das jeder kaufen kann. Sie hofften auf Unterstützung – und bekamen sie auch: Auf der Crowdfunding-Plattform IndiGoGo sammelten sie noch im gleichen Jahr 549.995 Euro an Anschubfinanzierung und 25 Vorbestellungen für das Auto ein, das noch einige Jahre auf sich warten lassen würde.

Raus aus dem Inkubator

Heute ist Sono Motors ein richtiges Unternehmen. Statt in den Büros des Münchener Technologiezentrum, ein Start-up-Inkubator der bayerischen Hauptstadt, arbeiten die nunmehr knapp 70 Mitarbeiter in einem langem Betonbau mit genug Platz für Produktion und Entwicklung. In ihrer Nachbarschaft im Münchner Norden sitzt auch Vdynamics, ein Dienstleister, der auch für die Fahrzeugentwicklung von BMW mit zuständig ist. Als Unterstützung haben sich die jungen Gründer inzwischen außerdem Thomas Hausch, den Ex-Europa-Chef von Nissan, geholt. „Es ist wirklich toll zu sehen, was sich in der Zeit getan hat“, sagt Laurin Hahn, der als Chef von Sono Motors agiert. Zu verdanken ist das zuvorderst dem Wagen, der aus dem ambitionierten Umbauprojekt der Münchner von vor sechs Jahren entstanden ist. Sein Name: Sion. Der Prototyp wurde im Juli vergangenen Jahres offiziell enthüllt. Im kommenden Jahr soll der fertige Wagen auf den Straßen zu sehen sein.

Abgesehen von der Grundidee und den Kleinwagenausmaßen hat der Sion recht wenig mit dem verbastelten Twingo gemein. Recht kantig ist er, okay, aber modern sieht er aus. 330 monokristalline Siliziumsolarzellen sind in die Seiten, die Motorhaube und das Dach des Fahrzeugs eingelassen – insgesamt 7,5 Quadratmeter. Die werden durch eine Kunststoffschicht vor Steinschlag geschützt und sollen an einem Sonnentag kostenfreien Strom für 30 Kilometer liefern. Selbst an grauen, bewölkten Tagen soll die Solarenergie für 15 Kilometer reichen. Mit vollgeladenem Akku kommt der Sion 250 Kilometer weit. Für einen Durchschnittspendler, der 17 Kilometer zur Arbeit zurücklegt, ist das mehr als genug. Im Innenraum gibt es wie bei Tesla nur digitale Anzeigen mitsamt einem Tablet in der Mittelkonsole – wenn auch in deutlich bescheideneren Ausmaßen. Für frische Luft sorgt ein Moos – Cladonia rangiferina –, das in einem transparenten Schacht an der Beinfahrer wächst; das fungiert als natürlicher Feinstaubfilter und sieht zugleich schick aus. Das alles ist futuristisch aber vernünftig.

„Viele haben uns anfangs belächelt“, sagt Laurin Hahn, „Manche haben bezweifelt, dass eine derartige Vision, ein E-Auto mit integrierten Solarzellen, überhaupt umsetzbar ist.“ Daher hatte das Team über die letzten Monate in ganz Europa zu Probefahrten mit dem Wagen eingeladen. Die Sion-Truppe wollte Überzeugungsarbeit leisten. Schließlich ist es für Kunden durchaus ein Risiko, ein Auto von einem Start-up zu kaufen, das keiner kennt – auch wenn es im Internet gut ausschaut. Außerdem waren die Neu-Autobauer auf Feedback aus. „Genau das war auch ein wichtiges Motiv, die Prototypen des Sion direkt zu den Interessenten zu bringen und Probefahrten anzubieten“, sagt Hahn. Sowohl was die Standardfarbe, die Anzahl der Sitzplätze als auch die Ladeleistung angeht, hatte die Community das Sagen. „Zuletzt haben wir über das Design der LED-Scheinwerfer des Sion abstimmen lassen“, so Hahn.

Tatsächlich konnte Sono Motors im ersten Anlauf eine Menge an Fahrern überzeugen. Mittlerweile sind fast 8.000 der zukünftigen Fahrzeuge reserviert. Das sind Bestellungen im Wert von an die 150 Millionen Euro. Denn kosten wird der Sion 16.000 Euro – plus 4.000 Euro für die Batterie, die aber auch gemietet werden kann. Das ist halb so viel wie ein BMW i3 kostet und fast 5.000 Euro weniger als ein Nissan Leaf in der Basisfassung. „Wären die Reservierungen bereits Zulassungen, läge unser Marktanteil bei E-Autos in Deutschland im ersten Halbjahr 2018 bei 15 Prozent“, sagt Hahn recht stolz. „Der Sion wäre das am zweithäufigsten verkaufte E-Auto in Deutschland knapp hinter dem Renault Zoe.“ Aber soweit ist es eben noch nicht. Erstmal muss der Wagen schließlich in Serie gebaut werden. Nächstes Jahr soll es los gehen.

Grün – auch im Büro

Ein neues Fahrzeug von Grund auf zu konzipieren ist eine Herausforderung. Es dann auch zu bauen, eine ganz andere. Seit dem vergangenen Jahr konnte die ganze Welt das beim Tesla Model 3 mitverfolgen. Dessen Serienproduktion lief selbst nach zusätzlichen Investitionen von Hunderten Millionen US-Dollar und dem Einflug deutscher Experten noch holprig. Das können und wollen sich die Münchner nicht leisten. Daher wird es anders als zunächst geplant nicht mehrere, sondern nur eine Variante des Sion geben. Die eigentliche Fertigung wird einem Partner überlassen, der sich damit auskennt. „Wir werden den Sion in Europa bei einem Auftragsfertiger produzieren lassen,“ sagt Hahn. „Das reduziert erheblich die Komplexität, den logistischen Aufwand und die damit verbundenen Investitionen.“

Wer der Fachmann ist? Das soll vorerst noch geheim bleiben. Aber: Zur Abholung soll der Sion jedoch in Bremerhaven bereit stehen. Das macht Artega zum wahrscheinlichsten Kandidaten, einen vor zwölf Jahren gegründeter Autohersteller in Delbrück. Der hatte einst den Sportwagen Artega GT produziert und 2011 eine Elektrovariante davon vorgestellt, den Artega SE. Der SE war aus dem gemeinsamen E-Umbauprojekt Frecc0 mit der Fraunhofer-Gesellschaft hervorgegangen. Artega hat darüber hinaus noch weitere Elektro-Erfahrung. Mit Karo hat die Firma ein vollelektrisches Quad als Konzeptfahrzeug gebaut, das sich mit Smartphone und Tablet koppeln lässt. Damit kann der Autobauer eigentlich alles, was es für den Bau des Sion braucht.

Wirklich schief gehen, glaubt Hahn, dürfte bei der Produktion kaum etwas. Natürlich sei das ein „komplexer Prozess“, aber man habe alles getan, um „einen reibungslosen Produktionsstart sicherzustellen“. Er vertraue da auch einfach auf das Know-How der Partner. Die sind jedenfalls echte Branchenpioniere und namhafte Größen. Das Batteriesystem für den Sion kommt vom baden-württembergischen Autozulieferer Elring Klinger. Die Scheinwerfer werden von Automotive Solutions aus Samerberg, nahe dem bayerischen Rosenheim geliefert. Bei der Auswahl der Zulieferer achtete Sono Motors aber nicht nur auf den Preis und die Qualifikation der Firmen.

„Für uns war vor allem wichtig, die Umwelt durch die Entwicklung und Fertigung des Sion so wenig wie möglich zu belasten“, bekräftigt Hahn. „Die Entwicklung und Fertigung von Teilen direkt in Deutschland bedeutet zum Beispiel deutlich kürzere Liefer- und Logistikwege und trägt damit entscheidend zur Reduktion von CO2-Emissionen bei. Das ist für uns ein ganz wesentlicher Faktor.“ Das klingt, zugegeben, sehr nach Marketing. Aber das Team von Sono Motors meint das ernst. Sehr ernst. Die Gründer und ihre Mitstreiter wirken damit nicht nur wagemutig und von der eigenen Sache überzeugt, sondern auch wie echte Idealisten.

Der Strom für das Büro von Sono Motors ist öko, genau wie die Bank und das Mittagessen für die Mitarbeiter. Die Rechner und anderes Büromaterial sind oft Refurbishing-Ware – also aus zweiter Hand oder aufbereitete Rechner, Stühle und Tische, die zurückgegeben und aufbereitet wurden. Die Firmenhandys kommen zudem von Fairphone. Papier? Das will man möglichst komplett aus dem Büro heraushalten. Andere E-Auto-Start-ups wie Eli Electric und Uniti sähe man nicht als Konkurrenten, die einem die Kunden wegschnappen, sagt Hahn. Man freue sich über „jedes nachhaltige Projekt, dass die Elektromobilität voranbringt.“ Denn: „Wir müssen als Gesellschaft dringend etwas unternehmen, die Zeit läuft uns davon. “ Da sind die Gründer des deutschen Auto-Start-ups ganz bei Tesla-Gründer Elon Musk. Der beschwört immer wieder: „Wenn wir saubere Autos auf die Straße kriegen, dann können wir auch die anderen Probleme angehen.“

Kein Autobauer, sondern ein Mobilitätsdienstleister

Das Dreiergespann aus München will aber nicht nur saubere Autos bauen, sondern noch viel mehr – oder: eigentlich das Gegenteil. Denn im Grunde geht es den Gründern darum, so viele Autos wie möglich von der Straße zu bekommen. Schließlich stehen die meisten davon zwischen 80 und 90 Prozent der Zeit nur in der Garage oder auf dem Parkplatz. Daher wurde der Sion von vornherein als Auto gedacht, das geteilt werden kann. Funktionieren soll das, indem der Wagen mit einer goSono getauften App in ein Sharing-Netz eingespannt wird. Wer einen Sion hat, kann ihn jederzeit und binnen weniger Sekunden für andere freigeben – für einige Stunden aber auch Tage oder Wochen. Auch der Mietpreis kann flexibel festgelegt werden und dadurch den Kaufpreis des Wagens in ein bis zwei Jahren wieder reinholen.

Laut Sono Motors könne ein Sion auf diese Weise acht Autos ersetzen. Nicht nur in Großstädten mit gut verdienenden Öko-Hipstern, sondern auch auf dem Land, wo sich Fahrgemeinschaften um den kleinen Wagen bilden könnten oder die Fahrzeuge von der Gemeinde bereitgestellt werden. Es gäbe auch schon Anfragen, den Sion, sobald er vom Band läuft, in kleinere und größere Projekte in Städten und Regionen einzubinden. Allerdings: Der Fahrer kann nicht nur das Auto teilen, sondern auch den Strom, den der Sion durch die Sonne tankt. Über verschiedene Steckdosen unter einer Klappe an der Front können E-Autos ohne eigenes Solardach mit 11 Kilowatt aufgeladen werden. Auch dafür wird per App bezahlt. Der Sion wird zur mobilen Ladesäule.

Zukunft und Weltherrschaft

Selbst wenn es noch ein bisschen dauert, bis der E-Kleinwagen aus München in großen Stückzahlen über die Straßen rollt, denken die Gründer bereits über die Zukunft nach. „Wir prüfen gerade verschiedene Bereiche,“ sagt Hahn. „In dem Markt, in dem wir die größte Wirkung haben könnten, werden wir das nächste Fahrzeug starten.“ Der nächste Schritt, das könnte ein Fahrzeug sein, das größer ist als der Sion und mehr Platz für Solarzellen hat, ein Lieferwagen oder gar ein LKW? Ganz sicher ist das noch nicht. Auch autonomes Fahren sei ein „Thema, dessen Entwicklung wir sorgfältig beobachten.“ Akut würde ein selbstfahrendes Sion-Auto aber wirklich erst, wenn sich das günstig und für die Passagiere sicher umsetzen lässt.

Wenn es nach den Gründern geht, bliebe Sono Motors, auch wenn das erste Produkt ein Auto ist und „Motors“ im Namen steht, nicht unbedingt nur ein Autobauer. Langfristig wäre es für den Planeten schließlich nicht tragbar, stetig neue Autos aus Fabriken rollen zu lassen. „Für jedes dieser Fahrzeuge wird eine Menge an Ressourcen in der Produktion benötigt“, sagt Hahn. Es gehe für das Team darum, neue Wege und Möglichkeiten zu finden, Mobilität zu garantieren und Menschen mit Energie zu versorgen. „Der Sion ist nicht nur ein weiteres E-Auto auf dem Markt. Er ist der erste Schritt auf unserem Weg ein globaler Energie- und Mobilitätsdienstleister zu werden.“ Das sind echt große Worte für ein so junges Team, das noch einiges zu beweisen hat. Aber: Man möchte den drei Münchnern und ihrem Team glauben und wünschen, dass sie das packen.

GQ Empfiehlt