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Die Mitbewerber werden es schwer haben, sagt der Slack-Chef

von Karsten Lemm
Zum Deutschlandstart hat der kalifornische Messenger-Dienst 250 Millionen Dollar frisches Kapital eingesammelt. Im WIRED-Gespräch zeigt sich Firmenchef Stewart Butterfield unbeeindruckt von Verfolgern wie Facebook und Microsoft und erklärt den Wert von Slack – Stichwort Transparenz.

Das vernetzte Büro kennt keine Pausen, keine Ruhe, keine Gnade. Aus allen Richtungen prasseln Nachrichten auf Mitarbeiter herein, alles verlangt Aufmerksamkeit, und jeder Absender erwartet prompt eine Antwort. Schön, wenn Software hilft, diesen Ansturm zu bewältigen.

Slack, ein Nachrichten-Dienst aus San Francisco, hat seit dem Start 2014 in Rekordzeit Millionen von Fans gefunden, weil Informationen zentral an einer Stelle zusammenlaufen, statt sich über zahlreiche Programme und Apps zu verteilen. Mitarbeiter können sich themenbezogen in Kanälen unterhalten, Dateien austauschen, per Emoji ihre Meinung äußern. Und für den Fall, dass morgen wieder aktuell wird, was vor drei Wochen eigentlich schon abgehakt schien, landet alles in einem durchsuchbaren digitalen Archiv.

„Der Wert von Slack liegt darin, dass wir Transparenz schaffen – und ein Archiv, das mit der Zeit entsteht“, erklärt Stewart Butterfield, Mitgründer der kalifornischen Firma, der am Mittwoch für den Deutschlandstart seiner Firma nach Hamburg gekommen ist. Zwar setzen bereits viele Unternehmen zwischen Kiel und Koblenz die englische Version ein, doch die meisten Menschen, glaubt Butterfield, „möchten das Produkt natürlich lieber in ihrer eigenen Sprache nutzen“. 

Stolz verweist Europa-Chef Johann Butting darauf, dass bereits 25 Prozent der DAX-Konzerne Slack-Kunden seien und für die Premium-Variante zahlen, die pro Nutzer 6,25 Euro im Monat kostet. „Deutschland ist heute schon ein enorm wichtiger Markt für uns“, sagt Butting. „In Europa der zweitgrößte, weltweit gesehen der fünftgrößte.“

Bisher betreut Butting, ein ehemaliger Dropbox-Manager, die etwa 6000 Kunden in Deutschland mit einem Team von 20 Mitarbeitern von Dublin aus, im nächsten Jahr soll es hierzulande auch ein lokales Büro geben. Wo? Die Suche läuft noch. Zwar habe Slack etwa in der Hauptstadt „deutlich mehr Nutzer als in Hamburg und München zusammen“. Es sei jedoch bisher noch keinerlei Entscheidung gefallen.

Ehe Butterfield sich der Verbesserung der Büroarbeit widmete, war er vor allem als Mitgründer von Flickr bekannt. Der Fotoservice erlaubte es Nutzern als einer der ersten, Bilder ohne viel Aufwand ins Netz zu stellen und mit Freunden (oder dem ganzen Internet) zu teilen. Flickr sprühte vor Einfallsreichtum – bis die Gründer den Dienst 2004 an Yahoo verkauften. 2008 verließ Butterfield Flickr, um ein Online-Game zu entwickeln. Das Projekt scheiterte, aber aus der Asche entstand der aktuelle Erfolg: Um ihre Ideen besser koordinieren zu können, hatten die Entwickler für interne Zwecke einen neuartigen Messenger-Dienst gebaut. Butterfield gab ihm den Namen Searchable Log of All Conversation and Knowledge. Kurz: Slack.

Aktuell brauchen wir das Geld nicht unbedingt

Stewart Butterfield

Gerade hat die Firma 250 Millionen Dollar an frischem Kapital eingesammelt, um international zu expandieren; zusätzlich zu den rund 500 Millionen, die Investoren Butterfield vorher schon in die Hand gedrückt hatten. Mit einem Wert von 5,1 Milliarden Dollar gehört Slack nun zu den größten Einhörnern im Silicon Valley – jenen Firmen, die in den Augen der Geldgeber eine so glorreiche Zukunft vor sich haben, dass ihr Preis die magische Marke von 1.000.000.000 Dollar übersprungen hat.

Bei so viel Erfolg hätte Slack es eigentlich gar nicht nötig gehabt, frisches Kapital einzusammeln. „Aktuell brauchten wir das Geld nicht unbedingt“, sagt Butterfield. Aber die Zinsen sind niedrig, und Investoren zeigen sich spendabel – also warum nicht? Butterfield, ein 44-jähriger Kanadier, sieht die 250 Millionen extra auf der Bank als Rücklage für später, als Kraftstoffreserve für all die Dinge, die er mit Slack noch vorhat. „Ungefähr zwei Prozent der Wegstrecke“ habe seine Firma schon geschafft. Der Rest besteht aus Ehrgeiz, aus Ideen für neue Funktionen und aus dem Wettbewerb mit Konkurrenten, die aufgewacht sind und gemerkt haben, dass es Bedarf gibt für einen Dienst wie Slack.

Atlassian, die Firma hinter Trello und HipChat, hat gerade Stride vorgestellt, einen neuen Büro-Messenger, der Teammitgliedern erlaubt, projektbezogen miteinander zu chatten, Dateien zu teilen und sich Emoji zuzufunken. Facebook versucht seit einigen Monaten, sich mit seinem Workplace auch bei der Arbeit nützlich zu machen. Und Microsoft reichte es nicht, Skype, Office und Yammer zu haben. Zusätzlich startete der Software-Riese aus Seattle mit Microsoft Teams einen Frontalangriff auf Slack. Seit März ist der Chat-Service gegen Aufpreis für die Office-Cloud buchbar und erreicht damit potenziell 85 Millionen Nutzer.

Von solchen Zahlen will Butterfield sich nicht einschüchtern lassen. Fragt man ihn nach Microsofts vermeintlicher Übermacht, zählt er Beispiele aus der Vergangenheit auf, bei denen der Neuling den etablierten Riesen hoffungslos unterlegen schien: Google etwa, ganz am Anfang, als Microsoft mit seiner eigenen Suchmaschine konterte; oder auch Facebook, als Google – nun selbst ein Gigant – plötzlich anfing, ein soziales Netzwerk aufzubauen. „Die Moral solcher Geschichten“, sagt Butterfield, „liegt für mich im Gegensatz zwischen erfolgreichen, hoch fokussierten Startups, die von Nutzern geliebt werden, und großen, etablierten Unternehmen, die auf vielen Geschäftsfeldern unterwegs sind – was die Dinge komplizierter macht – und Startups letztlich gewinnen lässt.“

Wir haben gerade erst angefangen, all die Möglichkeiten zu erkunden, die wir Entwicklern eröffnen können

Stewart Butterfield

Soll heißen: Während Microsoft-Nutzer für jede Situation entscheiden müssten, welches Produkt sie nutzen wollen, gibt es bei Slack nur Slack. Die Vielseitigkeit, die viele Anwender schätzen, gewinnt Butterfields Software aus der Offenheit zu zahlreichen anderen Diensten. Slack-Nutzer können ohne große Umwege Dropbox-Dateien in ihre Unterhaltungen einbetten, Aufgaben von Wunderlist teilen oder sich per PayPal Geld fürs gemeinsame Mittagessen schicken. Alles dank einer eigenen App-Plattform, die mittlerweile mehr als eintausend Anwendungen zählt. 

„Ich glaube, wir haben gerade erst angefangen, all die Möglichkeiten zu erkunden, die wir Entwicklern eröffnen können“, sagt Butterfield und erzählt von einem Beispiel aus eigener Erfahrung: In der Slack-Zentrale in San Francisco besitze der Sicherheitsdienst am Empfang einen direkten Draht zu seiner Firma – mit einem eigenen Slack-Kanal, in dem Besucher gemeldet werden können. Viele juristische Fragen würden intern über Slack-Unterhaltungen mit den Firmen-Anwälten gelöst, und wenn es keine Einwände gibt, reiche oft ein virtuelles Kopfnicken per Emoji. „Das mag verrückt klingen, wenn man Slack noch nie benutzt hat“, sagt Butterfield, aber das direkte Kommunizieren, bei dem alle Beteiligten auch später noch sehen können, wer wie reagiert hat, gebe dem digitalen Miteinander auf Slack seine besondere Kraft.

„Solange wir uns darauf konzentrieren, den größtmöglichen Nutzen zu liefern“, glaubt der Slack-Chef, „wird es für andere sehr schwer werden, mit uns zu konkurrieren.“ Allerdings steht die Firma in Deutschland vor der Herausforderung, Nutzer für den Gedanken zu gewinnen, dass sensible Daten nicht auf hausinternen Servern liegen, sondern bei Slack landen. Und da Slack als modernes, agiles Startup keine eigene Cloud betreiben möchte, verlassen sich Butterfields Ingenieure auf andere – vorwiegend Amazon Web Services, aber auch (trotz aller Konkurrenz) Google und Microsoft.

Den meisten Kunden gehe es aber vor allem um die Garantie, auch mit Slack die europäische Datenschutzverordnung einzuhalten, die 2018 in Kraft treten soll, versichert Johann Butting. 

Viele Fragen stellen sich dabei, viele Entscheidungen müssen getroffen werden, vor allem auch an der Spitze. „In den Slack-Kanälen, denen ich angehöre, werden Tausende an Nachrichten ausgetauscht“, erzählt Stewart Butterfield. Auch wenn das nicht viel besser klingen mag, als in E-Mails zu ertrinken – es habe doch einen entscheidenden Vorteil: Statt darauf zu hoffen, per E-Mail und Cc-Feld nichts Entscheidendes zu verpassen, „kann ich mir bestimmte Kanäle aussuchen, die mir besonders wichtig sind“, sagt Butterfield. Alles andere bildet eine Art Grundrauschen: auf Abruf da, aber unaufdringlich, ohne ständig Aufmerksamkeit zu verlangen. Schließlich lässt sich bei Bedarf alles zurückholen und nachlesen. Am Ende, sagt Butterfield, „reduziert sich nicht unbedingt die Zeit, die man fürs Kommunizieren aufwendet. Aber jede Minute, die man investiert, ist wertvoller, weil man produktiver arbeiten kann“.

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