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Das Silicon Valley nimmt sein Sexismus-Problem endlich ernst

von Elisabeth Oberndorfer
Die Tech- und Startup-Szene gilt seit Jahren als frauenfeindlich, und doch suchen ihre Top-Manager erst jetzt nach Lösungen. Das Beispiel Uber hat mit seiner umstrittenen Unternehmenskultur immerhin dafür gesorgt, dass jetzt alle über Diversität und Sexismus nachdenken.

Als Susan Fowler im Februar einen Blogpost über ihr „sehr, sehr merkwürdiges Jahr bei Uber“ veröffentlichte, zeigte sich nur einer über die Sexismus-Vorwürfe schockiert: CEO Travis Kalanick. Denn im Silicon Valley war zu diesem Zeitpunkt längst bekannt, dass das Ridesharing-Unternehmen ein zentraler Ort der „Bro Culture“ ist – jener Unternehmenskultur, die von weißen, jungen Männern geprägt ist und die es Frauen und Männer, die nicht Teil eines kumpelhaften, kindlichen Verhaltens sein wollen, erschwert, sich am Arbeitsplatz wohlzufühlen.

Eine realitätsnahe Darstellung des Bro-Gehabes bietet die TV-Show Silicon Valley, die die Absurditäten der Tech-Branche satirisch wiedergibt. Große Egos, zu viel Spaß bei der Arbeit und kein Bewusstsein für Diversität gehören bei vielen großen und kleinen Unternehmen im Valley zum Alltag. Und doch haben erst die Berichte über die Zustände bei Uber dafür gesorgt, dass das Sexismus-Problem aktiv in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird.

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Einer der Köpfe hinter Silicon Valley ist der Journalist und Autor Dan Lyons. Nach seiner Kündigung als Valley-Redakteur bei Newsweek nahm er einen Job bei der Marketing-Firma Hubspot an. Seine Erlebnisse in der Startup-Welt beschrieb er in seinem Buch Disrupted: My Misadventure in the Start-Up Bubble. Mit Mitte 50 war er einer der ältesten Mitarbeiter und fand deshalb ebenso wie Frauen kaum Anschluss unter den Bro-Kollegen. Beim SXSW-Festival vergangene Woche in Austin, Texas sprach Lyons deshalb über mögliche Wege, die Bro Culture und Vorurteile im „Startup-Land“ zu beseitigen. „Das Problem ist schon längst bekannt“, berichtete er auf der Bühne und ergänzte, dass es für Unternehmen in der Größe von Uber fast unmöglich sei, die Kultur grundlegend zu ändern.

 

Ähnlich reagierte Chris Sacca, einer der frühen Uber-Investoren, als er bei seinem Auftritt beim SXSW nach den jüngsten Kontroversen gefragt wurde. „Mich hat nichts davon überrascht. Es hat mich gewundert, dass nicht noch mehr solche Geschichten durchgesickert sind.“ Mit seinem einstigen Freund Kalanick spricht Sacca heute kaum mehr ein Wort. Dass das wertvollste Startup der Welt eine unreife Unternehmenskultur pflegt, sieht der Investor auch an der Kommunikation, die Uber verfolgt. CEO Kalanick machte von Beginn an mit trotzigen Aussagen auf sich aufmerksam. Erst als ein Uber-Fahrer eine verbale Auseinandersetzung mit dem Gründer filmte und vor einigen Wochen veröffentlichte, sah sich Kalanick zu einer Entschuldigung gezwungen. Er müsse erwachsen werden und werde sich erstmals professionelle Hilfe wegen seines Führungsstils holen. Kalanick ist 40 Jahre alt, er gründete Uber 2009.

Snap-Gründer Evan Spiegel ist 14 Jahre jünger und galt lange als Prototyp des Bros von der Stanford University. Aus seiner Studienzeit durchgesickerte E-Mails mit sexistischen Bemerkungen weisen daraufhin, dass der Snapchat-Erfinder nicht unbedingt ein Frauenförderer ist. Zwar hat Snap sein jugendliches Image spätestens beim Börsengang Anfang März abgelegt. Trotzdem will die „Camera Company“ nicht verraten, wie multikulturell die fast 2000-köpfige Belegschaft ist. 

Einen erschreckenden Eindruck von der Frauenfeindlichkeit der Tech-Branche bot auch der Prozess der zwischenzeitlichen Reddit-CEO Ellen Pao gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber, die Investmentfirma Kleiner Perkins. Durch den Rechtsstreit gelangten viele interne Konflikte ans Tageslicht, die den Sexismus am Arbeitsplatz illustrierten. Trotzdem verlor Pao die Diskriminierungsklage gegen Kleiner Perkins, derzeit schreibt sie ein Buch über die „giftige Kultur“ in der Industrie.

Die Dominanz und Ignoranz weißer Männer fange schon bei den Investoren an, sagte auch Dan Lyons bei seinem SXSW-Vortrag: „Sie investieren gern in ihresgleichen.“ Auch wenn er nicht erwarte, dass die Tech-Konzerne das Diversitätsproblem in den Griff bekommen, habe er noch Hoffnung: „Die nächste Generation von Startups hat die Chance, das zu ändern.“ So müsse mit der ersten weiblichen Mitarbeiterin ein internes Frauennetzwerk gestartet und auch andere Minderheiten besser vertreten werden.

YouTube-CEO Susan Wojcicki veröffentlichte vor einigen Tagen in Vanity Fair ihre Ansätze für eine bessere Unternehmenskultur in der Technologiebranche. Die einfache Antwort: mehr Frauen einstellen. Gebe es auf allen Ebenen mehr Frauen, verstehe man ihre Bedürfnisse besser und könne die Verhältnisse am Arbeitsplatz verbessern, so Wojcicki. Wie Lyons betont sie, dass CEOs das Thema Diversität ernst nehmen müssten. Ein positives Beispiel ist für Wojcicki Netflix-CEO Reed Hastings, der bezahlten Mutterschaftsurlaub einführte – eine Seltenheit in den USA, die viele andere Tech-Unternehmen daraufhin übernahmen.

Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass ein männlicher CEO und prototypischer Bro wie Travis Kalanick das Problem öffentlich anerkennt, die das Thema endlich auf die Agenda bringt

Weil das Diversitätsproblem nicht neu ist, gibt es längst Startups, die es lösen wollen. Die Gründerin Joelle Emerson hat mit ihrem Unternehmen Paradigm eine HR-Software entwickelt, die die Personalabteilung bei der Rekrutierung von unterschiedlichen Mitarbeitern unterstützen soll. Zu Paradigms Kunden in San Francisco zählen Airbnb, Pinterest und Slack. Einen ähnlichen Service bietet das Startup Glassbreakers an, das ursprünglich als Mentoring-Programm startete. Der jüngste Zugang unter den Diversity-Software-Anbietern ist Matter. Hinter der App steckt Leo Widrich, Mitgründer der Social-Media-Anwendung Buffer, der im Februar seinen Ausstieg bekanntgab. „Es gibt noch so viel bei der Diversität und Inklusion in der Tech-Branche zu tun, erklärt er die Mission von Matter. Konzerne haben zum Teil schon ihre eigenen Diversity-Abteilungen. Bei Facebook unterstützt in dem Bereich seit kurzem Jess Erickson, Gründerin des Frauennetzwerks Berlin Geekettes, COO Sheryl Sandberg.

Bleibt die Frage, warum das Problem der Bro Culture im Silicon Valley erst jetzt in diesem Maße öffentlich diskutiert wird, wenn es doch niemanden überrascht und jeder seit Jahren davon gewusst haben will. Vielleicht hat es damit zu tun, dass viele Vorwürfe innerhalb kurzer Zeit bekannt wurden. Neben Uber wehren sich auch bei Tesla und beim geheimnisvollen Augmented-Reality-Startup Magic Leap ehemalige Mitarbeiterinnen gegen Diskriminierung und sexuelle Belästigung.

Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass ein männlicher CEO und prototypischer Bro wie Travis Kalanick das Problem öffentlich anerkennt, die das Thema Sexismus endlich auf die Agenda bringt. Mit der Unterstützung der Bros selbst könnte sich die Tech-Branche tatsächlich zu einer inklusiven Arbeitsumgebung wandeln. YouTube-Chefin Wojcicki ist vorsichtig optimistisch: „Ich hoffe, das ist das Jahr, in dem CEOs entscheiden, dass sie sich der Geschlechterverteilung persönlich annehmen, unterrepräsentierte Gruppen unterstützen und ihre Position nutzen, um mehr vielfältige Leader hervorzuheben.“

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