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Die Geschichte der ersten Gehirn-OP an einem Bären

von Oliver Franklin-Wallis
Unter den seltsamsten Bedingungen hat Romain Pizzi Tausende Wildtiere operiert. Seine Arbeit dient nicht nur der Tiermedizin, sondern dem gesamten Planeten.

Die Tierschutzorganisation Free The Bears hat sich 2012 mit einem außergewöhnlichen Patienten an Romain Pizzi gewandt. Schließlich gilt Pizzi als einer der innovativsten Tierchirurgen Europas – vermutlich des ganzen Planeten. Pizzi ist klein, trägt einen Spitzbart, hat kurz rasierte Haare und muskulöse Arme.

Als Facharzt für laparoskopische Chirurgie und Arthroskopie – bisher selten in der Veterinärmedizin – hat er Giraffen und Taranteln, Pinguine und Paviane, Riesenschildkröten und sogar einen Hai operiert. Sein Spezialgebiet sind besondere Fälle, an die sich andere Tierärzte nicht herantrauen. Gibt es irgendwo auf der Welt einen Tiger mit Gallensteinen oder einen kranken Biber, dann wird Pizzi angerufen. „Wir haben andere Tierärzte, die unglaublich talentiert sind. Aber Romain ist einzigartig“ sagt Matt Hunt, CEO von Free The Bears.

Pizzis letzter Patient war eine dreijährige asiatische Schwarzbärin namens Champa. Wegen der halbmondförmigen weißen Zeichen auf ihrer Brust, sind diese Tiere auch als Kragenbären bekannt. In Asien sind die Kragenbären vom Aussterben bedroht, da ihre Galle, Pfoten und Knochen als Zutaten für Medikamente der traditionellen chinesischen Heilmedizin verwendet werden.

In asiatischen Bärenfarmen werden die Tiere in winzige Käfige gesperrt, wo Katheter in ihre Gallenbasen eingeführt werden, damit die Gallenflüssigkeit abfließen kann. Unzählige Bären sterben jedes Jahr an den postoperativen Infektionen und offenen Wunden. Deshalb werden Kragenbären auf der Roten Liste gefährdeter Arten der International Union for Conservation of Nature (IUCN) mittlerweile als stark gefährdet eingestuft. In den letzten zehn Jahren soll es einen Populationsrückgang um 30 Prozent gegeben haben.

Free The Bears, gegründet 1993, betreibt in Laos, Vietnam und Kambodscha Schutzzentren für gerettete sogenannte Gallebären, Mondbären, Sonnen- und Lippenbären. 2010 brachte die Tierschutzorganisation zwei gerettete Sonnenbären in den Zoo von Edinburgh, wo Pizzi in Teilzeit als Veterinärmediziner arbeitet. Als Gegenleistung erhielt Free The Bears finanzielle Unterstützung – und Romain Pizzi. Er reiste nach Vietnam, um einheimische Tierärzte auszubilden und führte die weltweit ersten laparoskopischen Gallenblasenentfernungen an Bären durch.

Champa ist keine gewöhnliche Bärin. Mit einem deformierten, gewölbten Schädel und einer Sehbehinderung wurde sie als Jungtier gerettet und in eines der Schutzzentren gebracht. Während die anderen Bären zusammen blieben, lief Champa Trübsal blasend und unter Schmerzen leidend in ihrem Gehege herum. Pizzi diagnostizierte Hydrozephalus, eine seltene Krankheit, bei der sich im Schädel Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit sammelt und zu Hirnschäden führt.

„Überall sonst auf der Welt hätte man empfohlen, sie einzuschläfern“, sagt Hunt. Aber in Laos, wo es buddhistische Traditionen und strenge Tierschutzgesetze gibt, die zum Teil als Reaktion auf den Handel mit Bärengalle eingeführt wurden, ist das Einschläfern verboten. Auch wenn es den Tieren großes Leid ersparen würde. Also rief man Romain Pizzi um Hilfe.

Wir haben andere Tierärzte, die unglaublich talentiert sind. Aber Romain ist einzigartig.

Veterinärmediziner wie Pizzi arbeiten unter besonderen Bedingungen. Ein Problem ist die Größe der Tiere. Ein Elefant zum Beispiel bekommt man nicht einfach in ein MRT-Gerät hinein. Dazu kommt noch das Temperament mancher Tiere. Keiner will zum Beispiel, dass ein Tiger auf dem OP-Tisch unerwartet aufwacht. Und dann sind da noch die finanziellen Mittel, die ein Problem darstellen. Eine Operation an einer Hauskatze oder einem Hund, wie sie Noel Fitzpatrick von der TV-Sendung The Supervet praktiziert, kann den Besitzer Zehntausende Euro kosten. Wildtierschutzorganisationen – auch solche, die mit gefährdeten Arten arbeiten – haben meist ein geringes Budget. Außerdem werden Operationen häufig im Freien – in Schutzzentren und Wildreservaten – durchgeführt, wo es keine sterilen OP-Säle und eine stabile Stromversorgung gibt.

„Laos hat kein Geld“, sagt Pizzi. „Im ganzen Land gibt keinen einzigen MRT-Scanner. Und wenn das Geld irgendwie aufgebracht werden kann, werden die Tiere nach Thailand verfrachtet.“ Kein Tierarzt vor Pizzi hat jemals zuvor versucht, einem Bären einer Gehirnoperation zu unterziehen. Im Fall von Champa war es nicht einmal möglich, die Diagnose zu überprüfen. Denn das nächstgelegene Krankenhaus weigerte sich, eine Röntgenaufnahme eines Bären zu machen. „Wir fingen an, mit Romain über eine mögliche Operation zu sprechen“, so Hunt.

Unablässig kontaktierte Pizzi das National Museum of Scotland, das ein Archiv von Säugetierskeletten für wissenschaftliche Studien aufbewahrt. Er lieh sich den Schädel eines jungen Kragenbären, röntgte den Schädel und benutzte Photogrammetrie, bei der Bilder zu einem 3-D-Modell zusammengefügt werden, um eine digitale Nachbildung des Schädels zu erstellen. Als Nächstes goss er eine Schicht Latex in die Hirnhöhle. Als das Latext getrocknet war, entfernte er die Schicht und füllte die Höhle mit Gips. So hatte er einen Platz, in dem sich das Gehirn des Bären befinden würde. „Dann habe ich wieder Photogrammetrie und eine Modellierungssoftware benutzt, und schon hatte ich meine Nachbildung“ sagt Pizzi. Als wäre das alles ganz logisch. „Man kann sehr einfach feststellen, wo man normalerweise bei einem Menschen operieren muss, aber bei einem Bären gibt es einen großen Hohlraum im Kopf für den Geruchssinn. Das bedeutet, wir müssen von hinten an das Hirn herankommen.“

Champas Gehirn im Vorfeld zu visualisieren war ohne ein MRT nicht möglich. Also fand Pizzi einen Weg, eine Ultraschallsonde zu verwenden. Eine, die auch bei Untersuchungen von ungeborenen Babys genutzt wird. „Wenn wir das kleine Loch für die OP bohren, kann man das Ultraschallgel auf den Scanner schmieren und so ein kleines Bild bekommen“ sagt Pizzi. „Das würde man bei einem Menschen nicht machen. Dafür gibt es MRT-Geräte. Also überlegt man sich eine Alternative.“ Pizzi beschaffte sich das Gehirn eines hydrozephalen Rotfuchses und eines europäischen Otters, eingelegt in Formaldehyd und konsultierte andere Neurochirurgen.

Dann wandte Pizzi sich an Jonathan Cracknell. Cracknell ist Veterinäranästhesist und hilft Pizzi regelmäßigen aus. Außerdem holte sich Pizzi noch Donna Brown ins Team. Sie ist leitende tierärztliche Krankenschwester im Zoo von Edinburgh. Zuletzt besorgte sich Pizzi Material für eine sechsstündige Operation. Im Februar 2013 flogen die Mediziner dann nach Laos.

Die Karriere des Romain Pizzi

Pizzi hatte schon immer eine Affinität zu Kleinem und Fragilem. Aufgewachsen in Port Elizabeth in Südafrika, wollte Pizzi ursprünglich Kinderarzt werden „Ich denke, dass ist eine sehr bedeutsame Arbeit“, sagt er.

Als Teenager an der Pretoria Boys High School, zu dessen Absolventen auch Elon Musk gehört, fand er eines Tages eine Taube, die aus ihrem Nest gefallen war. „Ich habe sie wieder aufgepäppelt und dann freigelassen,“ sagt er. „Sie hat mich noch Wochen danach immer wieder besucht.“

Er schrieb sich an der tiermedizinischen Fakultät der Universität von Pretoria ein und zog nach seinem Studienabschluss nach England, um dort seinen Master im Londoner Zoo zu machen. Er war fassungslos, als er sah, wie sehr die chirurgischen Techniken für Tiere denen der menschlichen Medizin hinterher waren.

Kurz darauf entwickelte Pizzi ein Interesse für die Bauchspiegelung, bei der chirurgische Werkzeuge durch einen kleinen Schlauch in den Körper eingeführt werden. Der Chirurg operiert mit Hilfe einer Kamera und einer Lichtquelle. „Ich glaube, wir waren damals zwei Ärzte, die die Technik damals in Großbritannien erstmals anwendeten,“ sagt Pizzi. Heute hält er Vorlesungen über das Thema. „Er hat einen unglaublichen Wissensdurst und einen Blick für Details. Er versucht immer, neue Techniken in unserem Feld zu finden und zu entwickeln,“ sagt Nic Masters, der die tierärztliche Abteilung am Londoner Zoo leitet.

„Die Herausforderung ist, dass die Ergebnisse auch mit weniger Geld erreichbar sein müssen als in der menschlichen Chirurgie und gleichzeitig müssen sie robuster sein,“ sagt er. Ein schlaues Tier wie ein Bär wird seine Fäden einfach herausziehen, wenn er sie erreichen kann. Renke einem Affen den gebrochenen Arm wieder ein und er wird sich sofort wieder dranhängen. Jede Spezies bringt seine eigenen speziellen Herausforderungen mit. „Man selbst würde nach einer Operation für Wochen nicht daran denken, schwimmen zu gehen,“ sagt er. „Wenn wir einen Biber operieren, geht er am selben oder spätestens am nächsten Tag wieder ins Wasser.“

Das National Wildlife Rescue Centre in Fishcross befindet sich etwa eine Autostunde von Edinburgh entfernt. Es wird von der schottischen Gesellschaft zur Verhinderung von Tierquälerei (SSPCA) betrieben. Im Juni 2017 haben wir Pizzi bei seiner Arbeit dort besucht. Neben seiner Tätigkeit in der Einrichtung arbeitet er auch als Tierarzt im Edinburgher Zoo und reist für chirurgische Eingriffe zu anderen Einrichtungen. Seit er 2010 seine Arbeit dort begonnen hat, ist das Center zu einem der größten Auswilderungseinrichtungen für Wildtiere in Großbritannien geworden.

Jeden Tag rufen Menschen die SSPCA an, um Wildtiere zu melden, die durch einen Unfall, Kämpfe untereinander, aber überwiegend durch den Menschen verletzt wurden. Dann werden die Patienten eingesammelt und in Fahrzeuge verladen. Am späten Nachmittag rollen die Transporter mit den verletzten Tieren wieder auf den Hof.

Haustier-Veterinäre behandeln vor allem Hunde und Katzen. Tierärzte im Zoo müssen dagegen eine große Bandbreite an Spezies versorgen. Ohne wirbellose Tiere zählt die Royal Zoological Society Of Scotland 730 Tierarten. 2016 behandelte die Rettungsstation 9.300 Tiere. In diesem Jahr, schätzt Pizzi, werden es weit über 10.000 sein.

Die Einrichtung des National Wildlife Rescue Centre besteht aus einer Reihe niedriger Backsteingebäude und Gehege, die in vier Bereiche aufgeteilt sind: Kleine Säugetiere, große Säugetiere, Seehunde, Wasservögel und Vögel. Die Flure sind gefüllt vom Lärm der Tiere. Der Geruch dort ist eine Mischung aus Zoohandlung und Kompost. Auf Wandtafeln stehen für jeden Bereich die Tierarten, die gerade gehalten werden und jene, die Pizzi behandeln muss. An diesem Tag befinden sich in den Volieren Spechte, Kreuzschnäbel, Dohlen, Krähen, Rotkehlchen, Drosseln, Blau- und Kohlmeisen, Goldzeisige, Buchfinken, Fischadler, Kiebitze, Austernfischer, Turmfalken, ein Fasan und mehrere Eulenarten.

Durch diese große Anzahl an Fällen musste Pizzi neue Behandlungsmethoden entwickeln. Als er die Arbeit in der Rettungsstation aufgenommen hatte und seine Frau Yolanda – Veterinärkardiologin an der Universität Edinburgh – nicht da war, übte Pizzi oft bis spät in die Nacht an Kadavern. Er machte sich mit der Anatomie der Tiere vertraut und entwickelte neue Techniken.

„Es ist recht ungewöhnlich, wie viele Tiere er behandelt hat,“ sagt Claudia Hartley, die sich an der Universität von Bristol auf Augenmedizin für Tiere spezialisiert hat. „Bevor du einen Fall annimmst, schaust du immer, wer sich vorher damit beschäftigt hat – egal an welcher Spezies, egal wo auf der Welt. Oft gibt die Literatur nicht viel für eine bestimmte Tierart her – für bedrohte Tierarten noch weniger.

Kleine Säugetiere diagnostiziert Pizzi auf eine Weise, wie man die Reife einer Avocado prüfen würde: Mit den Fingerspitzen. Er legt zum Beispiel einen Igel mit einem alten Handtuch über den Stacheln in beide Hände und ertastet den Bauch des Tieres. „Man kann die Dicke des Darms spüren,“ sagt er. „Wenn das Gewebe geschwollen ist, kann man das fühlen. Wenn es nicht nur ein bisschen Stuhl ist und sich nicht zusammendrücken lässt, ist es ein Stück des Darms, der geschwollen ist.“

Pizzi erklärt, wie Chirurgen in China einen großen Panda mit einer Entzündung im Bauch operiert haben. „Sie haben die Gallenblase entfernt. Innerhalb von drei Tagen war er tot. Bei Menschen steckt hinter einer akuten Entzündung im Bauchraum oft die Gallenblase. Aber Pandas dagegen bekommen Darmprobleme und keine Gallenblasenprobleme.“

Sein Wissen und Können komme vielleicht daher, „weil ich 10.000 Igel untersucht habe“, sagt Pizzi. Dabei ist ihm jedes denkbare Leiden unter die Augen gekommen: Bakterien, gebrochene Knochen, sogar ein seltener Fall mit Ballon-Syndrom, bei dem ein verletzter Stimmlappenapparat dazu führte, dass der Igel auf die Größe eines Volleyballs anschwoll.

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Pizzis Stimme ist sanft. Wenn er bei seinen Patienten ist, wird sie noch sanfter. Die Anwesenheit von Menschen stresst Wildtiere. Also hat er mit der Zeit Wege gefunden, den Stress für die Tiere zu reduzieren. Pizzi bewegt sich ruhig und graziös, als würde er einen Tanzpartner führen. Er hetzt nicht und hält Tiere nie länger als unbedingt nötig fest. „Festgehalten zu werden ist für Tiere, als wären sie im Maul eines Angreifers,“ sagt er.

Es macht ihn traurig, dass die berühmtesten und gefährdetsten Tierarten – Löwen, Nashörner, Bären – die ganze Aufmerksamkeit der Tierschützer und Öffentlichkeit bekommen. Dabei gibt es auch in Großbritannien Tiere, die bedroht sind. „Ich will nicht immer nur diese großen Operationen durchführen, die in den Medien gut ankommen,“ sagt er. „Ich kann hier womöglich viel mehr bewirken.“

Der Igel hat eine Infektion, also verschreibt Pizzi das Antibiotikum Betamox und ein Mittel gegen Pilzbefall durch Ringwürmer. Später braucht ein Hase mit Verdacht auf Wirbelsäulenfraktur ein Röntgenbild. Ein Biber namens Justin benötigt dringend eine Laparoskopie. „Es hat eine Woche gedauert, bis ich herausfand, warum der Biber Justin heißt“, sagt Pizzi. „Wegen Justin. Justin Bieber.“

Das Budget des SSPCA ist nicht groß. Aber mit der Zeit hat Pizzi die Ausstattung angesammelt, die er für seine tägliche Arbeit benötigt. Seine Endoskopiewerkzeuge sind mit einem Samsung-TV und einem MP4-Player von Archos verbunden, der Operationen aufzeichnen kann oder als Reservebildschirm dient. „Ich bestelle viel auf eBay,“ sagt er. Wenn amerikanische Krankenhäuser ihre Geräte verkaufen, profitieren vor allem Veterinärmediziner davon.

Auf seinem Schreibtisch stehen mehrere GoPro-Kameras und ein Elektrorasierer von Philips, um Fell zu entfernen. Es gibt eine mobile Röntgenkamera und ein Ultraschallgerät. „Es gibt ziemlich kostengünstige Geräte für den tiermedizinischen Gebrauch,“ sagt Pizzi. Der Grund dafür ist ein ungeahnter Nebeneffekt von Chinas Ein-Kind-Politik. „Die Menschen behaupteten [gegenüber der Regierung], die Geräte seien für Tiere gedacht. Für Rinder zum Beispiel. In Wahrheit haben sie sie für Abtreibungen verwendet. Das hat den Markt angekurbelt.“ In den Regalen an der Wand befinden sich Nadel und Faden zum Vernähen von Wunden, Kittel, Verbandsmull. Pizzi nennt es seinen "Krankenhaus-Container".

„Das sind alles abgelaufene Materialien vom National Health Service (NHS). Für Menschen gibt es ein Verfallsdatum auf alles, aber die Geräte sind immer noch steril und brauchbar für Tiere,“ erklärt er. „Außerdem müsste der NHS für die Vernichtung der Sachen zahlen.“ Stattdessen redet Pizzi mit den Krankenhäusern und die Materialien landen schließlich hier.

Pizzi zeigt uns sein liebstes Spielzeug: Das ist ein Operationsroboter von FreeHand, der zusätzliche Werkzeuge halten kann. Pizzi bedient ihn mit einem Sensor auf dem Kopf. „Wenn ich reise, muss ich oft mit Menschen zusammenarbeiten, die nicht so gut Englisch sprechen. Darum der Roboter. Mit ihm klappt das Operieren ohne fremde Hilfe.“

Manchmal ist Pizzi frustriert. Warum? Weil kaum Werkzeuge für chirurgische Eingriffe bei Tieren entwickelt werden. Stattdessen müssen die Veterinärmediziner Geräte für Menschen anpassen und zweitverwerten. Kinderärztliche Geräte können auch für kleinere Säugetiere und Vögel verwendet werden, die besonders empfindlich sind. Pizzi besitzt vier Patente – eines davon auf ein chirurgisches Gerät, das er selbst entwickelt hat. Außerdem ist er Berater bei einem Hersteller für Medizintechnik, der von seinen Ideen profitiert.

Elefanten sind so riesig, dass 30 Menschen einen ganzen Tag lang mit einer Autopsie beschäftigt sind. „Ein Elefant in Gefangenschaft kann sich nicht ausreichend bewegen, also entwickelt er oft Arthritis,“ sagt Pizzi. Ihre Beine besitzen so viele Knochen, dass sie auf einem Röntgenbild übereinanderliegen können. Pizzi hat ein Verfahren entwickelt, um einfache 3-D-Bilder zu erstellen, die man mit einer herkömmlichen Kino-3D-Brille betrachten kann. „Wir haben ein Röntgenbild von einem Elefantenbein angefertigt, die Röntgenplatte etwas bewegt und ein zweites Bild gemacht.“ Mit einer frei zugänglichen Software kann er beide Bilder so zusammenfügen, dass ein 3D-Bild entsteht. Getestet hat er das Verfahren mit Tiermedizinstudenten und herausgefunden, dass es die Genauigkeit von Diagnosen verbessert. Die Ergebnisse werden noch in diesem Jahr bei einer akademischen Konferenz vorgestellt.

„Mir gefallen die Ideen,“ sagt er. „Es muss überall einen einfacheren und besseren Weg geben, Dinge zu erledigen. Und nicht immer ist die teuerste Lösung die Beste, manchmal geht es auch billiger.“ Zum Beispiel müssen die Geräte bei einer Endoskopie auf Körpertemperatur gebracht werden, damit die Glaskomponenten im Körper nicht beschlagen. „Die NHS kauft sich dafür eine Maschine für mehrere Tausend Euro, was ich für aberwitzig halte.“ Pizzis Lösung: Handwärmer. Und für die Desinfektionsausstattung verwendet er Paraformaldehydtabletten in einer Mülltüte aus dem Baumarkt. Und Photogrammetrie kann auch vergleichsweise kostengünstig mit einem Smartphone und einer Laptop-Software erreicht werden. 3-D-Dateien können auch in ein PDF eingebettet werden, um sie für ein Zweitgutachten zu verschicken.

„Die Leute halten mich für verrückt,“ sagt er. „Aber es gibt da dieses Zitat: Aller Fortschritt hängt von unvernünftigen Menschen ab.“

Champas Operation begann nicht gerade vielversprechend. Für eine Arthroskopie oder Schlüssellochoperation braucht man einen Insufflator, der Kohlenstoffdioxid in den Körper leitet, um Hohlräume so weit aufzublähen, dass die Werkzeuge hineinpassen. Das Problem: Als Pizzi und Cracknell in der Rettungsstation in Laos ankamen, konnten sie keinen CO2-Zylinder finden, der mit ihrer Maschine kompatibel war. Die Station liegt in einem bewaldeten Nationalpark ungefähr 30 Kilometer südlich der Stadt Luang Prabang und hat nur eine spärliche Ausstattung. Die Lösung kam von unerwarteter Stelle. „Es gab eine Bar, die Bier vom Fass ausschenkte. Einmal in der Woche kam ein neues Fass aus Luang Prapang an,“ sagt Pizzi. „Sie waren damit einverstanden, eine Woche auf das Bier zu verzichten.“ Die Bar spendete ihren CO2-Behälter, den Pizzi mit Hilfe von Gasleitungen und Rohrschellen verbinden konnte.

Aber auch die Anästhesie erwies sich als knifflige Angelegenheit. „Champa sprach auf das Sedativum an und hörte auf zu atmen,“ sagt Hunt. „Ich habe beim ersten Versuch danebengestochen,“ sagt Cracknell. Aber beim zweiten Mal klappte es. Im Raum war es feucht und warm. Ein Kamerateam der BBC machte es nicht gerade angenehmer. Schweiß tropfte auf die Bodenfliesen. Als Pizzi den Bohrer ansetzte, hielt der Raum den Atem an.

Champa hatte tatsächlich einen Hydrozephalus. Das 3D-Modell und der Ultraschall funktionierten also. Pizzi gelang es, einen ventrikulo-peritonealen Shunt zu legen: Das ist ein Schlauch, der in die Hirnhöhle gelegt wird und überschüssige Flüssigkeit in den Bauchraum umleitet, wo sie vom Körper absorbiert werden kann.

Eine kleinere Katastrophe traf ein, als Pizzi anfing, den Schlauch einzuführen: Die Stromversorgung des Schutzzentrums, das bereits durch die Studioleuchten der Filmcrew überlastet war, ging kaputt. „Die Elektrik ist geschmolzen“, sagt Cracknell. Der Insufflator ging kaputt.

Aber Pizzi ist auf solche Katastrophen vorbereitet. „Es gibt so viele Dinge, die schiefgehen oder kaputtgehen können, deshalb versuche ich reichlich von allem dabeizuhaben“ sagt Pizzi. Er nutzte sein Lieblingsprodukt: eine Pumpe für Luftmatratzen. „Wenn man diese stoßweiße in den Bauchraum einführt, pumpt sie sich mit Luft auf“, sagt er. „Die Luft ist nicht gefiltert, deshalb ist es nicht ideal, aber es ist okay. Und wenn eine plötzliche Blutung auftritt, benutzt man die Pumpe umgedreht mit einer leeren Colaflasche und verwendet sie zum Absaugen.“

„Er hat immer erstaunliche Ideen“, sagt Cracknell. „Es gibt Operationen, bei denen man auf halbem Wege zweifelt. Doch bei Romain habe ich das noch nie getan.“

Die Operation dauerte sechs Stunden. Am nächsten Morgen gingen Pizzi und Hunt in Champas Höhle und sahen, dass sie langsam aufwachte. „So viele Jahre hatte sie Schmerzen, war blind und schaute nie nach oben“, sagt Hunt. „Wir riefen nach ihr und sie schaute hoch und starrte uns an. Das war ziemlich verblüffend.“

Nicht jedes Tier kann gerettet werden. Wenn es nicht behandelt werden kann, wickelt Pizzi es in ein Tuch – so ist es dunkler und die Tiere sind ruhiger – und injiziert dem Tier eine Überdosis vom Sedativum Pentobarbital.

„Das Tier schläft ein, ohne gestresst zu sein“ sagt Pizzi, während er einer verletzten Möwe eine Überdosis verabreicht. „Möwen sind erstaunliche Vögel. Sie können in der Luft schlafen und für einige Tage oben am Himmel bleiben.“ Dann legt er den Kadaver in eine Kiste, um ihn zur Entsorgung in ein Tierkrematorium bringen zu lassen. Wenn Romain Pizzi gefährdete Arten behandelt, wird ihm immer wieder bewusst, was deren Tod bedeutet. Er operierte eine Socorrotaube, einen wunderschönen braunen Vogel, der von den Revillagigedo-Inseln an der Westküste Mexikos abstammt und mittlerweile in freier Wildbahn ausgestorben ist. Außerdem hat er ein Foto von sich behalten, auf dem er mit der letzten Partula Faba – oder auch Captain Cooks Bohnenschnecke genannt – zu sehen ist. Diese bekam den Namen, weil sie 1791 auf Cooks Entdeckungsreise erstmals gesehen wurde. Sie starb 2016 im Zoo von Edinburgh und somit starb die ganze Art aus.

Ist es ein außergewöhnlicher Fall, führt Pizzi die Autopsie selbst durch, um etwas von dem Krankheitsfall zu lernen. Am Abend operiert er Grey Worm, eine Seehündin. „In sechs Monaten ging es ihr nie gut. Wir waren zweimal kurz davor, sie einzuschläfern“, sagt er. Schon zuvor hatte Pizzi sie operiert, um Plastik – ein allgemeines und wachsendes Problem im Meer – aus ihrem Bauch zu entfernen. Ihr Körper ist braun, faltig und dünn.

Weil Autopsien lehrreiche Verfahren sind, sammeln sich die Tierpfleger im Schutzzentrum, um dabei zuzusehen. „Sie hat keine sonderlich großen Lymphknoten, welche sie hätte, wenn sie eine Infektion gehabt hätte“, sagt Pizzi. Es ertönt ein Sägegeräusch und Knacken, als er das Brustbein operiert. „Hier sind das Herz, die Lunge und das Zwerchfell.“

Als Pizzi den Magen der Seehündin öffnet, halten alle im Raum den Atem an. „Oh mein Gott“, sagte eine der Tierpflegerinnen. Der Magen ist voll mit hellgrünem Plastik und kurz vor dem Platzen. „Mist!“, seufzt Pizzi. „Hier haben wir den Grund.“ Das Plastik stammt von den rutschfesten Matten, die für die Umzäunung der Seehunde genutzt werden. Weil sie den Magen damit voll hatte, ist Grey Worm verhungert.

„Mist!“, sagt er erneut. „Es ist meine Schuld.“ Er hätte bei der ersten Operation feststellen müssen, dass der Kunststoff aus dem Schutzzentrum kam. Er hat schon viele Seehunde behandelt, aber hatte noch nie einen Fall wie diesen. Seither hat das National Wildlife Centre die Plastikmatten entfernt. Den Rest des Tages ist Pizzi abwesend. „Er ist sehr selbstkritisch“, sagt Colin Seddon, der Manager des National Wildlife Rescue Centre. „Er will es immer besser machen.“

„Es sind meine Fehler, an die ich mich am meisten erinnere“, sagt Pizzi. „Wenn es Dir nicht wehtut, wenn Dinge, die du hättest beheben können, nicht funktionieren, und Tiere dabei sterben, dann solltest du diese Arbeit nicht tun.“

Ende dieses Jahres wird Pizzi wieder zurück nach Laos fliegen, um Champa ein weiteres Mal operieren zu können. Mittlerweile sind vier Jahre vergangen und ihr Gesundheitszustand hat sich wieder verschlechtert. Die Shunts können verstopfen und der Hirndruck dadurch steigen. Deshalb wird er sie operieren und die Shunts, wenn nötig, ersetzen.

Vielleicht ist das nicht die Lösung und es wäre besser, Champa einzuschläfern. Zwar hat sich ihr Gesundheitszustand gebessert, die Hirnschäden sind jedoch geblieben. In der Wildnis würde sie damit nicht überleben. „Sollte sich ihr Zustand wieder verbessern, müssen wir sie einschläfern lassen“, sagt Pizzi.

Eine Frage, die sich Veterinäre immer wieder stellen müssen. Wie sehr leidet das Tier? Und wenn ein leidendes Tier am Leben bleibt, für wen wird es dann am Leben gehalten? Wenn die Tierwelt gerettet werden soll, müssen die Lebensräume bewahrt werden. Es dürfen keine Wälder niedergebrannt und die Umwelt darf nicht verschmutzt werden. „Tierschutz – das ist ein sinnloses Wort“, sagt Pizzi später bei einem Abendessen in Edinburgh. „Tiere zu retten und in Gefangenschaft zu züchten, ist für einige Leute Tierschutz, weil man sie nicht aus der Wildnis mitnimmt. Ich denke nicht, dass das ehrlich ist. Wenn Menschen in den Zoo gehen, kommen sie nicht, um die Orang-Utans zu retten, sondern um einen schönen Tagesausflug zu machen.“

Da immer mehr Wildtiere vom Aussterben bedroht sind, wird der Druck auf die Tierärzte, einzugreifen, weiter zunehmen. „Wir beobachten seit Jahrzehnten den Rückgang der biologischen Vielfalt im großen Maßstab“, sagt Hunt. „Da draußen gibt es kaum noch Wildtiere.“ Aber ist es das letzte Nashorn oder der letzte Tiger, werden plötzlich keine Kosten gescheut. Dann wird es Werbung, Kampagnen, Dokumentarfilme und T-Shirts geben. Doch dann ist es längst zu spät.

Wenn Menschen in den Zoo gehen, kommen sie nicht, um die Orang-Utans zu retten, sondern um einen schönes Tagesausflug zu machen.

Simon Girling, Leiter des Veterinärdienstes der Royal Zoological Society of Scotland und Betreiber des Zoos in Edinburgh, ist anderer Meinung: „Ich glaube nicht, dass wir uns anders verhalten würden, wenn ein Tier gefährdet ist“, sagt Girling. Viele Tierärzte meinen, dass der Druck, bei gefährdeten Tieren und jenen, die Besucher anziehen, einzugreifen, am größten ist.

„Bei den am stärksten bedrohten Arten kann es sein, dass jedes einzelne Tier dieser Art für das Überleben der Spezies wichtig ist. „An diesem Punkt sollten die Menschen die Barrieren des Wohlstandes überschreiten und helfen“, sagt Martin Whiting, Dozent in Veterinärethik und Recht am Royal Veterinary College London. „In der Veterinärmedizin spricht man von einem unnötigen Leiden, erzählt Pizzi. „Was bedeutet, dass wir mit etwas Leid einverstanden sind. Die Gesellschaft hasst es, wenn Zootiere leiden. Aber kaum jemand kümmert sich um die Rinder, die für die Landwirtschaft geschlachtet werden.“ Pizzi ist übrigens Vegetarier. Kaum jemand ärgert sich so sehr über das Massensterben, um seine Gewohnheiten zu ändern.

Darin liegt die Tragödie bei Pizzis Arbeit: Er kann neue Wege finden, die Tierwelt zu retten. Doch selbst wenn er in diesem Jahr Zehntausende Tiere rettet, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie viel Leid ist Leid genug?

Darüber denkt Romain Pizzi viel nach. Er denkt auch an den Seeadler, den er einige Jahre zuvor behandelte. Dieser hatte ein gebrochenes Bein und gebrochene Flügel. „Es ist leichter, den Vogel zu töten und vielleicht auch das Richtige“, sagt Pizzi. Der Knochen ragte aus der Haut hervor. Aber der Vogel glaubte an sich, denn selbst in dieser Verfassung versuchte er zu fliegen. „Operiere ich und hacke einen Haufen Knochen raus? Wie viel Eingreifen ist zu viel?“, fragt Pizzi.

Schlussendlich fügte er die Knochen wieder zusammen und ließ den Vogel nach 3 Monaten mit einem Tracking-Implantat wieder frei. Sein Flug sah immer noch etwas holprig aus. Bis heute fragt er sich, ob er mehr hätte tun können. Aber der Adler war am Leben und flog – bis er vier Jahre später eines natürlichen Todes starb.

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.co.uk.

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