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Recycling-Organe könnten Millionen Leben retten

von Anna Schughart
Harald Ott regeneriert Organe. Auf dem Gerüst von Schweineorganen wachsen dann menschliche Zellen. Das könnte Millionen Menschen das Leben retten.

Es gibt zu wenig Organspender. 2017 wurden in Deutschland die Organe von 797 Menschen entnommen. Das waren so wenige Organspender wie seit 20 Jahren nicht mehr. Ihnen gegenüber stehen mehr als zehntausend Menschen, die – oft vergeblich – auf eine lebensrettende Operation warten. Während man einerseits mit politischen Lösungen versucht, mehr Menschen zu Organspendern zu machen (in den Niederlanden ist man künftig automatisch Organspender, wenn man nicht widerspricht, arbeiten Wissenschaftler an alternativen Lösungen für das Problem.

So wie zum Beispiel Harald Ott. Der Wissenschaftler von der Harvard University forscht an einer Methode, mit der man Herzen, Lungen oder andere Organe regenerieren kann. Das Problem bei der Transplantation von Spenderorganen ist nämlich nicht nur, dass es zu wenige von ihnen gibt: Der Körper erkennt auch, dass das neue Organ fremd ist. Mit Hilfe von immunsuppressiven Medikamenten versucht man deshalb zu verhindern, dass er es abstößt. Ott dagegen will die fremden Organe in „vertraute“ Organe umwandeln.

Dazu wird das fremde Spenderorgan erst mal von allen Zellen gereinigt. Indem man Wasser statt Blut durch das Organ pumpt, brechen die Zellen auf. Mit einer Seifenlösung wäscht man dann alle DNA und die Proteine aus, erklärt Ott. Zurück bleibt das Organgerüst, die extrazelluläre Matrix, die vor allem aus Kollagen besteht. Man kann sich das ähnlich wie Gelatine vorstellen.

Dieses Gerüst wird dann mit neuen Zellen besiedelt. Dazu entnimmt man dem Organempfänger einige Zellen und reprogrammiert sie. Die so entstandenen Stammzellen lassen sich nicht nur endlos vermehren, sondern können sich vor allem in neue Herzmuskel-, Nieren- oder andere Zellen differenzieren.

Doch nur, weil sich ein Haufen Lungenzellen auf einer Lungenmatrix angesiedelt hat, müssen sie noch nicht wie eine Lunge arbeiten. „Der nächste Schritt ist, das Ganze wieder zu einem funktionierenden Gewebe zu machen“, sagt Ott. Denn, um eine Stammzelle zu einer Herzmuskelzelle und dann aus den einzelnen Zellen einen arbeitenden Herzmuskel zu machen, braucht es eine Vielzahl von Reizen, erklärt Ott. Zu verstehen, was genau dazu nötig ist, welche Signale für diesen Prozess notwendig sind, das ist die große wissenschaftliche Herausforderung. Der Prozess ist zudem für jedes Organ verschieden.

Die ersten Organe, die nach seiner Methode transplantiert werden, könnten Nieren, Leber oder Bauchspeicheldrüsen sein, glaubt Ott. Zwar ist die Gewebestruktur beispielsweise einer Niere deutlich komplizierter als die eines Herzens (der Herzmuskel ist ein „einfacher“ Muskel, die Niere dagegen ein kompliziertes Filtrationsgewebe), doch ein Herz muss zu hundert Prozent funktionieren. Wenn die aufgearbeitete Niere dagegen zu mehr als 15 Prozent funktionsfähig ist, dann ist das schon besser als eine Hämodialyse, sagt Ott. Wenn ein Herz nur zu 15 Prozent funktioniert, ist das Herzversagen.

Die regenerierten Organe haben mehrere Vorteile: Zum einen ließe sich mit ihnen vielleicht verhindern, dass ein Körper das Spenderorgan abstößt – es ist schließlich nicht mehr fremd, sondern besteht aus Zellen, die der Körper kennt. Zum anderen – und das ist vielleicht sogar noch wichtiger – gibt es plötzlich ganz neue Quellen für Organe. Denn das Organgerüst muss nicht unbedingt menschlich sein.

„Die Gerüstproteine von Menschen und Schweinen sind sehr ähnlich“, sagt Ott. Es ist also möglich, Schweineorgane zu humanisieren und ein menschliches Gewebe auf einem Schweinegerüst aufzubauen. Genau das ist Ott bereits gelungen. Doch die zurück in die Tiere transplantierten Lungen waren noch nicht reif genug, um die Organfunktion ersetzen zu können. Das Gewebe funktionierte zwar, aber nur für wenige Stunden. Auch andere Organe wie Nieren oder Herzen hat Ott schon im Tiermodell getestet.

Eine andere Möglichkeit könnten in Zukunft Organgerüste aus dem 3D-Drucker sein. „Unsere Methode ließe sich darauf gut anwenden“, sagt Ott. Denn der eigentliche Besiedlungsprozess durch die Zellen würde sich von Gerüst zu Gerüst nicht wirklich unterscheiden. Aber genau dort, bei der Frage, wie aus Zellen ein funktionierendes Gewebe wird, liegt der große Forschungsbedarf, sagt Ott, der bereits seit zehn Jahren an den regenerierten Organen forscht: „Wenn wir es schaffen, in meiner Lebenszeit ein Organ zu transplantieren, dann bin ich glücklich.“

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