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Illegale Preisabsprachen: Drohen uns bald Algorithmus-Kartelle?

von Wolfgang Kerler
Manager, die in verrauchten Hinterzimmern verbotene Preisabsprachen aushandeln, braucht es nicht mehr. Kartelle können sauber und diskret über Algorithmen gemanagt werden. Die Bundesregierung wirkt angesichts dessen noch ziemlich ratlos.

Am 13. April 2011 schreibt ein Mitarbeiter des britischen Online-Händlers GB eye eine E-Mail. Er ist zufrieden. „Ich habe die Software offline getestet. Sie funktioniert perfekt.“ Der Empfänger der Mail sitzt in einem Büro der Konkurrenz, bei Trod Limited. Beide Firmen verkaufen Poster über den Marketplace von Amazon: Star Wars, Beyoncé, Disney-Prinzessinnen. Der Preiskampf, den sich die Firmen liefern, geht ins Geld. Deshalb wollen sie sich jetzt absprechen.

Das Problem: Sie bieten hunderte Produkte an. Da sei es „logistisch einfach zu schwierig“, die Preise täglich per Hand anzupassen, fürchtet ein GB eye-Angestellter. Sein Vorschlag: „Ich schaue mir mal Preis-Software an.“ Damit klappt es. Die Künstliche Intelligenz sorgt automatisch dafür, dass sich die einstigen Konkurrenten nicht mehr unterbieten – es sei denn ein dritter Händler ist ohnehin günstiger.

Fans von Justin Bieber hatten Glück

Bei 99 Prozent der Produkte funktioniert der Preis-Algorithmus. Die wenigen Pannen werden per Mail geklärt, die sich zum Teil ganz schön pampig lesen: „Die neuen Justin-Poster hatten DIE GANZE ZEIT denselben Preis“, schreibt ein Trod-Mitarbeiter an GBeye. „Jedes Mal, wenn ich nachgeschaut habe, habt ihr uns unterboten.“ Die Antwort: „Du weißt doch selbst, dass das nicht stimmt! Ich hab dir einen Screenshot als Beweis mitgeschickt!“ Justin-Bieber-Fans hatten wohl Glück und konnten günstig einkaufen, zumindest zeitweise.

Die Firmen können sich zwar nicht leiden. Trotzdem läuft der Deal bis 2015. Dann stellt sich GB eye den britischen Kartellbehörden. Warum? Wahrscheinlich, weil dem Management die Angelegenheit zu heiß wird. Denn die US-Behörden haben wegen ähnlicher Preisabsprachen auf dem amerikanischen Marketplace von Amazon Händler ins Visier genommen – darunter auch Trod Limited, mit dem GB eye selbst gemeinsame Sache machte.

Mitte 2016 beenden das FBI und die britischen Ermittler schließlich ihre Untersuchung. GB eye kommt straffrei davon. Trod muss Geldbußen von rund 200.000 Euro zahlen. Den Kunden ist durch überhöhte Preise ein Schaden in Höhe von mehreren Hunderttausend entstanden.

Nicht alle nervigen Preis-Algorithmen sind verboten

Außer ein paar Lokalzeitungen interessierten sich erstmal kaum Medien für das Algorithmus-Poster-Kartell. Doch Behörden und Anwälte wurden dadurch auf die Gefahr von KI-Absprachen aufmerksam. In vielen Publikationen wurde der Fall seitdem diskutiert, zum Beispiel im neuesten Jahresgutachten der deutschen Monopolkommission, die die Bundesregierung berät. Gestern hat sie es vorgelegt. Ein ganzes Kapitel ist der möglichen Bedrohung durch Preis-Algorithmen gewidmet. Zuerst liefern die Autoren darin eine Bestandsaufnahme, in welchen Branchen KI schon länger die Preise „optimiert“.

Flug- und Hotelpreise, zum Beispiel, werden schon seit Jahren von Algorithmen festgelegt. Sie können auf die Nachfrage reagieren, auf den Standort des Nutzers oder die Anzahl der Personen, die sich gerade für die gleiche Luxus-Suite interessieren. Ist das manchmal nervig? Ja. Ist das verboten? Nein.

Gefährlich ist aus Sicht der Monopolkommission aber, dass Algorithmen natürlich auch die Preise der Konkurrenz beobachten. Schon beim Fall des Poster-Kartells konnten die beiden Firmen ihre Manipulationen ganz bequem von der Software managen lassen. Und das ist schon ein paar Jahre her. Seitdem hat sich nicht nur die KI weiterentwickelt, es setzen auch immer mehr Firmen Algorithmen ein. Das könnte auf Dauer dazu führen, dass sich Preise auch ohne dubiose Absprachen immer weiter angleichen. Schließlich beobachten sich die KIs der Wettbewerber ununterbrochen und reagieren blitzschnell aufeinander. Echte Schnäppchen könnten dann selten werden.

„Ich bin mir nicht sicher, ob wir von Algorithmen schon alles so verstanden haben.“

Peter Altmaier, CDU, Bundeswirtschaftsminister

Eine noch schwer zu kalkulierende Gefahr sieht die Monopolkommission, aber auch die Bundesregierung in selbstlernenden Systemen. Die könnten schließlich im Laufe der Zeit erkennen, dass ihre Unternehmen viel mehr Gewinn machen, wenn sie sich gemeinsam auf höhere Preise verständigen. Software, die selbstständig Kartelle bildet, könnte die Folge sein. Diese Vorstellung macht auch dem Bundeswirtschaftsminister zu schaffen. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir von Algorithmen schon alles so verstanden haben“, sagte er gestern in Berlin. Unklar ist auch, wer verurteilt wird, wenn Algorithmen klüngeln. Der Programmierer? Die Firma, die ihn einsetzt? Die Politik hat bisher keine Antworten.

Erstmal bleibt nur eines: Preise beobachten

Könnten sich Kunden gegen KI-Kartelle wehren? Wohl kaum. Sie könnten Preisvergleichs-Portale verwenden und hoffen, dass deren Algorithmen schlauer und schneller sind als die der Online-Händler. Die Chancen dafür werden von der Monopolkommission aber als sehr gering eingeschätzt. In Panik verfallen muss man deswegen aber noch nicht. Denn noch gibt es kaum belegte Fälle, in denen Preisabsprachen durch Software – sei es automatisch, sei es auf Initiative von Menschen – tatsächlich stattgefunden hat.

Egal ob Monopolkommission, EU oder OECD, sie alle berichten eher von möglichen Risiken. Auch über das Szenario von selbstlernenden Systemen, die eigenständig Absprachen treffen, sagte der Chef der Monopolkommission, Achim Wambach, gestern: „Das ist eine Möglichkeit. Wir sehen das Gefährdungspotential.“ Er schlägt deshalb vor, die Preise im Online-Handel in Zukunft intensiv zu beobachten. Außerdem sollten Verbraucherschützer mehr Rechte bekommen. Sollten ihnen Preise in einer Branche verdächtig vorkommen, sollten sie aus Sicht der Monopolkommission die Möglichkeit bekommen, eine Untersuchung durch das Kartellamt einzufordern.

Algorithmen hinterlassen keine verdächtigen E-Mails

Ein weiterer Vorschlag: Sind Preise verdächtig, könnte man die Beweislast umkehren. Schließlich dürften sich Firmen nach dem Poster-Kartell hüten, dutzende verdächtige E-Mails zu hinterlassen. Das allerdings macht den Nachweis von Kartellen schwierig. Software hinterlässt kaum Spuren. Daher der Vorschlag, dass anders als bisher nicht die Behörden beweisen müssten, dass es verbotene Absprachen gab, sondern die Unternehmen darlegen müssten, dass es keine gab.

Schon seit Jahren werden Preise von immer schlaueren Systemen automatisch festgelegt. Die Behörden und die Politik fangen also ziemlich spät damit an, den Handel genauer zu beobachten. Dass Beyoncé- oder Star-Wars-Fans die einzigen waren, die bisher wegen Algorithmus-Kartellen zu hohe Preise zahlen mussten, kann man sich kaum vorstellen.

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