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Plastikflaschen waren schon vor Jahrtausenden ein Problem

von Nick Stockton
Die folgende Nachricht hört sich nach einer Zeitreise-Story an: Forscher haben herausgefunden, wie sich Plastikflaschen vor tausenden Jahren auf die Gesundheit der Menschen ausgewirkt haben. Aber die Flaschen gibt es wirklich – und sie waren pechschwarz.

Wer seine Wasserflaschen nicht immer schön recycelt, der hinterlässt Artefakte, die in tausenden von Jahren von Archäologen wieder ausgegraben werden. Warum das so sicher ist? Weil Archäologen bereits Plastikflaschen ausgegraben haben, die mehr als ein Jahrtausend überdauert haben.

Das ist aber kein Beweis für Zeitreisen. Die Plastikflaschen, um die es hier geht, haben nur wenig mit den heutigen gemeinsam. Sie sind zum Beispiel weder durchsichtig, noch haben sie Etiketten. Sie sind pechschwarz und wurden von indigenen Stämmen hergestellt. Diese Völker beschmierten große, gewebte und flaschenartige Gefäße mit einer teerartigen Substanz, die Bitumen heißt.

Forscher wissen schon seit Jahren, dass diese Flaschen existieren. Was sie bisher nicht bedacht hatten: Diese frühen Plastikgefäße könnten den gesundheitlichen Niedergang einiger Bevölkerungsgruppen mit verursacht haben, etwa den der amerikanischen Ureinwohner an der Westküste der heutigen USA.

Skelette aus der Zeit von vor einigen tausend Jahren weisen gesundheitliche Schäden auf, die bisher ungeklärt waren. In einer aktuellen Studie im Magazin Environmental Health wird der Vermutung nachgegangen, dass eine Kombination aus Bitumen und Alkohol der Grund dafür gewesen sein könnte.

Die Plastikflaschen unserer Zeit sind ihren Vorgängern immer noch ähnlich. Aber der Unterschied ist: wenn sie gefroren, wiederverwendet oder in die Mikrowelle gesteckt werden, bleibt das Plastik sicher: Die Flüssigkeit in der Flasche nimmt nur sehr wenig schädliche Moleküle auf, weshalb sie unbedenklich sind. (Konkret geht es um die Stoffe Bisphenol A, den Weichmacher DEHA und PET.)

Das war in der Frühgeschichte anders. Bitumen ist im Prinzip Asphalt, also das Material, aus dem Straßen gebaut werden. Bei kühlen Temperaturen eine dichte, halbfeste Masse, die flüssig wird, wenn sie erhitzt wird. Bei hohen Temperaturen setzt Bitumen Stoffe frei, die krebserregend sind: PAH (Polyzyklische Aromatische Wasserstoffe). Auch Zigaretten, brennendes Holz und andere Rauchquellen setzen diesen Stoff frei.

Vor 5000 Jahren verschlechterte sich der Gesundheitszustand

Die Channel Islands nahe Los Angeles sind einer der Orte in Nordamerika, die seit Anbegin der Menschheitsgeschichte mehr oder weniger kontinuierlich bewohnt waren – zumindest bis zur industriellen Revolution. Sabrina Sholts ist Anthropologin am Smithsonian National Museum of Natural History in Washington, und sie sagt, es gäbe Hinweise darauf, dass „vor rund 13.000 Jahren dort Menschen siedelten“. Doch ein großes Rätsel zum Volk der Chumash bleibt: Warum hatte sich ihr Gesundheitszustand vor knapp 5000 Jahren stetig verschlechtert?

Knochenfunde aus dieser Zeit zeigen immer wieder dieselben Hinweise, die für einen besorgniserregenden Gesundheitszustand sprechen: schlechte Knochenqualität, Kleinwuchs und schlechte Zähne. Natürlich gibt es auch andere Faktoren, die zu solchen Befunden führen. Manche Forscher gehen davon aus, dass die Menschen auf den Channel Islands damals durch Mangelernährung nicht mehr wuchsen, dass es Hygieneprobleme und ansteckende Krankheiten gab.

Sholts vom Smithsonian hat eine andere Theorie. An manchen Stränden in Südkalifornien muss man aufpassen, um nicht in kleine Teerflecken zu treten. Manche entstehen durch Öl, das von den Bohrplattformen im Meer ins Wasser kommt und angespült wird. Der meiste Teer stammt jedoch aus einer längst vergangenen Zeit und ist das Ergebnis tektonischer Verschiebungen unter Wasser. Dabei entstand Bitumen, das seit tausenden von Jahren von den nordamerikanischen Ureinwohnern benutzt wurde, um Boote und Waffen zu bauen – und Wasserflaschen.

Handschuhe und Mundschutz beim Umgang mit Bitumen

Forscherin Sholts erzählt von ihrer Studienzeit an der University of California in Santa Barbara: Ein damaliger Kommilitone hatte sie darauf hingewiesen, dass sie Handschuhe und eine Maske tragen muss, wenn sie mit Bitumen arbeitet. Sie wollte damals erforschen, aus welchem Material die frühen Amerikaner ihre Flaschen geformt hatten: „Ich bekam ein ungutes Gefühl im Bauch“, sagt sie. „Denn mir kam plötzlich der Gedanke, dass das Bitumen mit den Veränderungen in der Skelettstruktur zu tun haben könnte“.

Am Smithsonian forschte sie dann weiter. Ein Kollege, Kevin Smith, kam dazu und half, Flaschen aus Bitumen nach ihren überlieferten Vorbildern zu bauen. Smith ist Archäologe an der University of California in Davis und darf als einer von wenigen Experten auf den Channel Islands forschen. Die Inseln stehen unter Naturschutz.

Um Plastikflaschen im Stil der Chumash zu fertigen, muss zunächst ein Korb in Form einer Flasche gewebt werden. Dann kombiniert man Bitumen und das Harz von Pechkiefern und schmilzt beides in einer großen Muschel. Mit einem Stock wird die klebrige Flüssigkeit auf das Korbgeflecht gestrichen. Um alles unter idealen Bedingungen nachzuahmen, sammelte Smith das nötige Material direkt auf den Channel Islands. Das Einzige, was aus modernen Zeiten stammte, war ein Windschutz aus Pappe und ein Spektrometer, um den weißen Rauch zu messen, der beim Erhitzen entsteht.

Naphtalin, Phenanthren und Acenaphatlen

Dann folgte der entscheidende Test, der zeigen sollte, wie viele Giftstoffe vom Plastik an die Flüssigkeit in der Flasche abgegeben werden. Plastikflaschen geben stets einen Teil ihrer Inhaltsstoffe an den Inhalt ab. Die Frage war: Wie viel würde das bei den Bitumenflaschen sein? Um sie zu beantworten, schickten Smith und Sholts die selbstgemachten Behältnisse nach Schweden, wo Forscherkollegen sie mit Wasser füllten. Zwei Monate blieb die Flüssigkeit in den Flaschen, dann analysierten die Wissenschaftler sie und fanden Naphtalin, Phenanthren und Acenaphatlen, die alle als giftig gelten.

Forscher gehen davon aus, dass die Chumash nicht nur aus den Bitumen-Flaschen tranken, sondern auch Essen in ihnen aufbewahrten. Also füllten die Schweden Olivenöl hinein, um herauszufinden, wie viele Giftstoffe die Außenwände an die Flüssigkeit abgeben würden. Die Chumash hatten zwar kein Olivenöl, aber das Öl dient als Ersatz für fettigen Fisch und Meerestiere, die zur Diät der amerikanischen Küstenbewohner gehörten.

Die Messung des weißen Rauchs ergab eine hohe Konzentration an Giftstoffen, die sogar die von Zigarettenrauch übertrifft. Das Wasser wies im Vergleich eine relativ geringe Gift-Konzentration auf, das Olivenöl dafür umso mehr PAH. Allerdings habe das Öl laut den schwedischen Forschern bereits geringe Spuren von PAH enthalten, bevor sie es in die Flaschen gefüllt hatten.

Sholts Studie ergab letztlich, dass das von den Chumash für die Flaschenfertigung genutzte Bitumen nicht in dem Maße Chemikalien ans Wasser abgab, dass damit die Skelettveränderungen gänzlich erklärt werden können. Menschen, die die Flaschen anfertigten, waren weit größeren Risiken ausgesetzt. Das kam aber, sagt Sholt, letztlich seltener vor, als nötig gewesen wäre, um den Körper zu vergiften. Die Studie wurde allerdings dadurch erschwert, dass nur Knochen der Chumash zur Untersuchung vorlagen: „Es ist nicht einfach festzustellen, in welchem Ausmaß Chemikalien konkret körperlichen Schaden anrichten“, sagt die Forscherin. „Das hängt immer sehr davon ab, wie lange und zu welchem Zeitpunkt im Leben ein Mensch Giftstoffe abbekommt.“

Es sei mehr Forschung nötig, um die Giftstoffe in den Knochen nachzuweisen. Bei toxikologischen Untersuchungen werde nämlich meist nur das Muskelfleisch oder Körperfett von kürzlich Verstorbenen untersucht. „Ich habe nur Knochen“, sagt Sholts. 

WIRED.com

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.com
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