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OKStupid / Wegen dieser Dating-App musste ich mich verstecken

von Lorenzo Lacroix
Auf Dating-Plattformen lernt man aufregende Menschen in seinem Umfeld kennen. Ja genau, in seinem UMFELD. Was aber, wenn das digitale Date einem zu früh zu ungewollt zu nahe kommt? Ich habe Online-Dating als winziges Dorf kennengelernt, durch das ich durchspazierte. Irgendwann kennen einen alle und ich — ich musste geduckt durch meinen Hausflur schleichen.

Das schmuddelige Kopfkino flimmerte immer dann los, wenn das Gestöhne eine Etage weiter oben einsetzte. Ich hatte einige Wochen zuvor den neuen Underdog der Dating-Apps Happn installiert und eigentlich regierte er mein Liebesleben im Triumvirat mit Tinder und OKCupid ganz gut (ja, Himmelherrgott, ich bin eben Heavy User!). Aber die neue App machte mir ein Problem mit Dating-Apps klar, das mich nie wieder loslassen würde.

Ich traf meine potentiellen Dates online immer wieder, ohne sie je zu daten. Happn zeigt nicht einfach nur die Menschen in deinem Umfeld an, wie es Tinder tut. Die App stellt auch fest, wann, wo und wie oft genau man jemandem über den Weg gelaufen ist. Wenn ich also eine Frau auf einer Party super finde, so das Versprechen, könnte ich sie mit Happn wiedertreffen. Habe ich mit jemanden, der mich interessiert, den gleichen Arbeitsweg? Dank Happn kann ich es herausfinden. Das klang gut, und die stets verlässlichen Informationskanäle des Internets bestätigten mir damals: In Paris funktioniert die App super, in Berlin wird's bestimmt noch besser. Also los. Aber zwei Dinge hatte ich nicht bedacht.

Ich merkte, wie klein die Online-Dating-Welt eigentlich ist.

Erstens und weniger tragisch, immer wenn ich bei Happn auf „Like“ klickte, blieb ein Kontakt in meiner Liste stehen. Interessante Frauen wurden mir weiter angezeigt, auch wenn es gar keinen Match gab. Lydia, 28, war zwar genau mein Typ, ich hätte sie gerne kennengelernt. Laut App war ich ihr mittlerweile aber schon 28 Mal auf der Straße begegnet, ohne dass eine Reaktion kam. Selbst der arroganteste Schnösel hätte an diesem Punkt wohl festgestellt: Die Zuneigung beruht nicht auf Gegenseitigkeit, mein Junge. Hatte Lydia mich vielleicht draußen erkannt und sich schlapp gelacht? Wie oft? Und wo? Das Ganze erinnerte mich an die grausame Ablehnung beim Realtime-Dating, verpackt in kalte Zahlen und immer mehr Bilder von lächelnden Menschen, die in meiner Liste nach oben rutschten, sobald ich sie angeblich irgendwo getroffen hatte.

Zweitens und schlimmer (jetzt kommen wir zurück zum Gestöhne), war aber der Match mit Carla. Eigentlich genau die gegenteilige Szenerie zu Punkt 1. Happn teilte mir mit, Carla und ich hätten uns schon 33 Mal getroffen. Sie sah nett aus, wir likten, matchten und fingen an, zu schreiben. Schnell kam heraus: Carla wohnte in meinem Haus. Ich kann es nicht hundertprozentig bestätigen, aber ich glaube, eine Etage höher. Und Carla war so gar nicht mein Fall.

Sie war konservativ und wutbürgerisch. Je mehr wir schrieben, desto klarer wurde mir: Sie scheint mich zu mögen, aber die Zuneigung beruht wieder nicht auf Gegenseitigkeit, mein Junge. Ich beendete den Schreib-Flirt also — und konnte in meinem alten Wohnhaus nie wieder in Ruhe durch den Flur gehen.

Immer wieder schielte ich auf die Treppe, sperrte hastig ab und eilte zum Hof hinaus. Auf der Straße dann der Blick über die Schulter und zu den Fenstern. Wer es noch nicht gemerkt hat, ich habe ein Problem mit peinlichen Situationen. Und der Gipfel der Peinlichkeit war eben diese alberne viel zu laute Stöhnerei, die zeitsicher zweimal die Woche von weiter oben herunterschallte.

Ohne das konkrete Umfeld funktionieren Dating-Apps nicht.

Es war das erste Mal, dass ich merkte, wie klein die Online-Dating-Welt eigentlich ist. Sie ist weit weniger annonym als man vielleicht denkt. Noch ein Beispiel: Als ich zum Weihnachtsfest nach Hause in den Süden der Republik reiste, öffnete ich dort Tinder. Ich fand so gut wie alle alten Freundinnen aus der Schulzeit. Thema Nummer 1 beim Klassentreffen am nächsten Abend: meine Online-Dates. (Ich habe keine von ihnen gelikt, das war mir zu gefährlich, Kollege Gross hat das Phänomen schön beschrieben.)

Ohne das konkrete Umfeld funktionieren Dating-Apps nicht. Mit diesem Umfeld können sie aber genauso unangenehm werden. Ich traf die vermeintliche Wut-Stöhnerin übrigens zum ersten und letzten Mal in meiner U-Bahnstation. Sie saß auf der Bank und war auch im echten Leben so gar nicht mein Fall. Ich duckte mich also weg und schlich hinter ihr vorbei. Ich muss nicht erwähnen, dass ich mich dabei ein wenig armselig fühlte. Mittlerweile wohne ich glücklicherweise woanders. Das beste daran? Kein Gestöhne mehr.

Diese Kolumne wird wöchentlich von mehreren AutorInnen unter Pseudonym verfasst. Alle Folgen findet ihr hier

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