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So könnte Forschung mit Virtual Reality zu intelligenten Prothesen führen

von Nadine Bader
Was passiert eigentlich in unserem Gehirn, wenn wir uns bewegen? Darüber weiß man ziemlich wenig. Jetzt haben Forscher einen neuen Weg gefunden, um unsere Hirnaktivität zu messen, wenn wir in Action sind. Das könnte bei der Entwicklung besserer Prothesen helfen. Ein neues Labor in Berlin setzt dabei auch auf Virtual Reality.

Auf den ersten Blick kommt das neue Labor für Mobile Brain/Body Imaging – übersetzt heißt das so viel wie Labor für mobile Bildgebung hirndynamischer Aktivität – recht unscheinbar daher. Ich stehe in einem großen, leeren Raum. Aber vor meinen Augen werden sich mithilfe einer Virtual-Reality-Brille gleich bunte Kugeln auf mich zu bewegen. Außerdem bekomme ich von Marius Klug einen Controller in die Hand gedrückt. Klug schreibt an der Technischen Universität Berlin seine Doktorarbeit. Er will mit seinen Kollegen untersuchen, was im Gehirn abläuft, wenn wir uns bewegen.

Sensoren messen die Gehirnströme

Ich drücke auf Start und schon tauche ich ein in die virtuelle Realität: Die grünen Kugeln, die auf mich zufliegen, soll ich mit meinem Zeigefinger berühren, die roten nicht. Das macht ganz schön viel Spaß, hat aber einen tieferliegenden Sinn. Denn während ich den Kugeln hinterherjage, messen Sensoren auf dem Kopf meine Gehirnströme, also die Aktivität der etwa 86 Milliarden Nervenzellen. „Wir wollen herausfinden, was generell passiert, wenn die Versuchsperson sich auf eine dynamische Situation einstellt“, sagt Klug. „Wir können messen, wo die Versuchsperson hinschaut, wie sie sich bewegt und natürlich die Hirnströme.“

Dafür wird die Messung der elektrischen Aktivität im Gehirn mit diversen Sensoren wie Eye-Tracking-Systemen und Bewegungsmessungen verknüpft und online synchronisiert. All diese Messungen wollen die Wissenschaftler im Kontext zueinander auswerten. Im Nebenraum sitzt Ole Traupe, der technische Leiter des Versuchslabors. Auf einem Bildschirm kann er meine Bewegungen mitverfolgen. Alle Daten, die gemessen werden, laufen hier zusammen.

TU Berlin eröffnet neues Labor

Fast fünf Jahre lang haben die Wissenschaftler daran gearbeitet, das Labor an der TU Berlin aufzubauen. „Dieses Labor ist eines der wenigen auf der Welt, das diese Art von räumlicher Kognition untersucht“, sagt Ole Traupe. „Die Ausstattung dafür gibt es nicht von der Stange zu kaufen.“ Sprich, die Wissenschaftler mussten die Software aller Laborbestandteile zunächst aufeinander abstimmen.

Klaus Gramann, der seit zehn Jahren zur Hirnaktivität bei Bewegung forscht, hat sich dieses Untersuchungsverfahren gemeinsam mit Kollegen in den USA ausgedacht. Von 2007 bis 2011 hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität von Kalifornien in San Diego gearbeitet. An der TU Berlin leitet er mittlerweile das Fachgebiet Biopsychologie und Neuroergonomie. Mit dem neuen Labor wollte er eine Lücke schließen. Denn die bisher gängigen Methoden der Neurowissenschaft ließen nur eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten zu oder finden in Ruhe statt, also ganz ohne Bewegung.

Zum Beispiel Hirnscans mittels Magnetresonanztomografie, kurz MRT. Als bildgebendes Untersuchungsverfahren ist das MRT unverzichtbar geworden in der Medizin, etwa bei der Diagnostik von Tumoren. Solche Hirnscans sind aber Laborerzeugnisse, die keine Aussage darüber zulassen, was sich während Bewegung im Gehirn abspielt. „Das weiß man noch gar nicht, weil wir es noch nie systematisch untersucht haben,“ sagt Gramann. „Wenn Sie in einem Scanner liegen oder in einem Labor sitzen und sich nicht bewegen, dann fehlt die Information, die natürlicher Bestandteil von Wahrnehmung und Informationsverarbeitung im Leben ist.“

Das Ziel: intelligentere Prothesen

Hirnaktivität bei Bewegung zu untersuchen, ist nicht nur wichtig, um das Gehirn grundsätzlich besser zu verstehen, sondern auch um neue Anwendungen für Künstliche Intelligenz entwickeln zu können. Gramann verspricht sich Erkenntnisse für ganz konkrete, medizinische Anwendungen und Geräte. Zum Beispiel für Prothesen, die mit mehr Informationen über den Nutzer anpassungsfähiger und intelligenter agieren könnten.

Die Messungen sollen unter anderem zeigen, was genau sich im Gehirn abspielt, wenn wir aus dem Stillstand beginnen, loszugehen. Diese Information soll dann an die Prothese weitergegeben werden. „Sobald wir diesen Zustand im Gehirn entdeckt und klassifiziert haben, kann ein Signal herausgegeben werden an die Prothese“, sagt Gramann. „Zum Beispiel: Jetzt ist eine Bewegung intendiert, der initiale Widerstand muss ein bisschen verringert werden, damit das Losgehen erleichtert wird.“ Einfach gesagt: Die Prothese soll Gedanken lesen können, zumindest ein bisschen.

Erkenntnisse bei Bewegungseinschränkungen

Auch bei Bewegungseinschränkungen, zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder bei Parkinson, könnten die Untersuchungen wichtige Erkenntnisse liefern. Zuerst müssen auch hier ganz grundsätzliche Fragen geklärt werden: Wie wird in einem erkrankten Körper das muskuläre System kontrolliert? Und was passiert auf einer hirndynamischen Ebene, wenn solche Probanden sich bewegen?

„Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das menschliche Gehirn Informationen in Bewegung anders verarbeitet als in Ruhe“, sagt Gramann. Der Psychologe geht davon aus, dass eine geplante Handlung oder Bewegung einen Einfluss darauf hat, wie wir die Umgebung wahrnehmen, dass die neuronale Aktivität verändert und für das Bewegungsziel optimiert wird. Dabei vollbringt unser Gehirn Höchstleistungen. Oftmals handelt es sich um Abläufe von Millisekunden, in denen das Gehirn äußere Einflüsse analysieren und reagieren muss. Wie bei dem Virtual-Reality-Experiment mit den grünen und roten Kugeln, die im virtuellen Raum des Labors auf mich zufliegen.

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