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Der dubiose Kampf um die Netzneutralität – nicht nur in den USA

von WIRED Editorial
Wie frei ist das Internet? In den USA tobt gerade der Kampf um die Netzneutralität, und glaubt man einem New Yorker Ermittler, geht es dabei mehr als dubios zu. Auch in Deutschland und Europa versuchen Unternehmen, bestehende Regeln zu unterlaufen.

Eric Schneiderman bemerkt als einer der ersten, dass die Sache dreckig wird. Der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft liest im Mai 2017 gleich mehrere Berichte über falsche Kommentare auf der Website der FCC. Das wäre nicht weiter interessant, wäre die Federal Communication Commission nicht hauptverantwortlich für die Freiheit des Internets in den USA. Und würde sie im Dezember nicht über deren Zukunft bestimmen. Ihr Gremium entscheidet am 14. Dezember 2017 über die Aufhebung der Netzneutralität in den Vereinigten Staaten.

Seit 2015 setzt die FCC die von Barak Obama auf den Weg gebrachten Vorschriften zur Netzneutralität um. Sie sollen den gleichen Zugang zum Netz für alle Menschen gewährleisten. Das bedeutet das Verbot von Schnellstraßen für Besserzahlende, keine Sonderbehandlung für bestimmte Dienste und keine kostenpflichtigen Zusatzpakete für die Kunden. Die Obama-Regierung klassifizierte Breitband-Dienste wie zum Beispiel Verizon damals als Kommunikationsdienste, und die müssen die Meinungsfreiheit der Nutzer garantieren. Ergo: Ein freies gleiches Internet, das viele Experten als Muss für eine freie Gesellschaft und Wirtschaft sehen.

Seit besagtem Mai ist aber alles anders. Mit der Amtseinführung von Donald Trump hat auch die FCC ein neues Gremium bekommen und das unterstützte mit einem vorläufigen Votum die Pläne ihres neuen Chefs Ajit Pai. Sie sehen weniger Vorgaben für Betreiber von Telekom-Netzen vor. Breitband- und Mobilfunkanbieter sollen in Zukunft wieder selbst entscheiden, wie der Datenverkehr im Internet aussieht. Datenschützer und Bürgerrechtler befürchten durch diese Machtposition Zensur, Ungleichbehandlung und ein Zwei-Klassen-Internet. Immerhin gilt FCC-Leiter Pai selbst als Lobbyist für Provider wie Verizon, AT&T und Comcast. Und es ist auch Pai, an den der oberste New Yorker Staatsanwalt Schneiderman jetzt einen offenen Brief geschrieben hat.

Denn die FCC habe seine Recherchen massiv behindert, indem sie seinen Ermittlern den Zugriff auf jegliche Aufzeichnungen der angeblich gefälschten Kommentare verweigerte. Das Gesetz sieht die Kommentarspalte übrigens vor, um die Entscheidungen der Commission mit den Bürgern zu diskutieren. (Update, 27 November: Eine neue Studie hat nachgewiesen, dass rund 1,3 Millionen der Kommentare tatsächlich maschinell erstellt wurden und dabei teils wörtlich die Sprache der Internetprovider-Lobby übernehmen)

Die FCC unterlaufe jetzt aber, „was ein öffentlicher Prozess sein sollte, indem sie versucht, in dem sie die Ansichten echter Menschen und Unternehmen verwische, die zu dieser wichtigen Angelegenheit etwas zu sagen haben“, schreibt Schneiderman. Die Weigerung, so sehen es viele Experten in den USA, bestätigt, dass es Tausende gefälschte Kommentare auf der Seite gegeben hat, die die Abschaffung der Netzneutralität unterstützen sollten.

Das Gremium und ihr Chef wehren sich gegen diesen Vorwurf. Die Washington Post zitiert einen Sprecher: „Diese angebliche Ermittlung ist nichts weiter als ein offensichtlicher Versuch eines voreingenommenen Obama-Unterstützers, um öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema zu ziehen.“

Dieser Kleinkrieg zwischen Ermittlern und Behörden ist Ausdruck eines größeren Konflikts zwischen Vertretern der Öffentlichkeit und der Macht einzelner Konzerne und Lobbygruppen. Ebenfalls im Mai hatten sich US-Demokraten im Senat mit einem offenen Brief an die Bevölkerung gewandt: „Das freie und offene Internet, wie wir es kennen, steht auf dem Spiel“, schrieben sie damals. „Politische Bildung, Zugang zu Unterhaltung, Gesundheitsversorgung, die von Digitalisierung profitiert, das nächste Google oder Twitter – all das basiert auf einem freien und offenen Internetzugang.“ Die bestehenden Regeln zur Netzneutralität garantierten diesen, doch nun ändere sich das.

Die Republikaner begründen ihre Unterstützung einer Neuregelung und der damit verbundenen Aufhebung der Netzneutralität damit, dass dieser Schritt Investitionen in den Breitbandausbau zur Folge haben könnte. Der amerikanische Durchschnitt liegt momentan bei langsamen 12,6 Mbit/s, knapp vor Deutschland, wo 2015 die Durchschnittsgeschwindigkeit immer noch bei 11,5 Mbit/s lag.

Internetaktivisten fürchten allerdings, dass die Aufhebung der Netzneutralität eine Bevorzugung von Spezialdiensten zur Folge haben könnte. Außerdem wird befürchtet, dass erhöhte Kosten auf Internetnutzer zukommen. Websites wie Facebook oder Netflix müssten Gebühren an Verizon und Co. zahlen, um auch weiterhin höchstmögliche Geschwindigkeit zu garantieren. Diese Extrakosten könnten, so wird befürchtet, auf die Nutzer abgewälzt werden. Wer nach Aufhebung der Netzneutralität weiterhin auf das Internet wie gewohnt zugreifen möchte, müsste dann eventuell mit erhöhten Kosten für bestimmte Seiten rechnen, oder würde im schlimmsten Fall auf diese gar nicht mehr zugreifen können.

Während der Kampf um die Internetfreiheit in den USA scheinbar immer dreckiger geführt wird, gelten in Europa eigentlich klare Regeln für die Netzneutralität. Auch diese sind aber in einem langen Prozess von Lobbyverbänden beeinflusst worden. So ist etwa das so genannte „Zero Rating“ nicht klar darin definiert. Dabei können Anbieter bestimmte Dienste aus ihrem Datenvolumen herausrechnen und damit andere Anbieter benachteiligen. (Das hat auch Auswirkungen auf Schwellenländer)

Netzpolitik.org berichtete im Sommer etwa über zahlreiche Fälle von Deutschen Anbietern, die mit Zero-Rating-Angeboten die Regelungen der Bundesnetzagentur umgehen würden. Die ermittelt demnach aktuell im Fall des Telekom-Angebots StreamOn, das den Zugriff auf Partnerdienste wie Apple Music, Soundcloud oder Netflix vom monatlichen Datenvolumen ausnimmt.

Auch ein Angebot aus Portugal macht gerade Schlagzeilen, das es weder in Deutschland noch in den USA gibt. Die Kunden einer Tochterfirma von Portugal Telecom zahlen dabei normal für die Internetnutzung, müssen aber je nach Daten und App-Nutzung Aufpreise zahlen. Der Dienst nutzt dazu ein Schlupfloch in den Regelungen der Europäischen Unio, ähnlich wie vergangene Woche der österreichische Mobilfunkanbieter A1. Auch gegen ihn wird ermittelt.

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