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Die Tage des Autos sind gezählt! Wo bleiben die neuen Statussymbole?

von Johnny Haeusler
Obwohl er Autos manchmal ganz schick findet, sieht unser Kolumnist Johnny Haeusler das Ende der bisher bekannten Automobile nahen. Er glaubt trotzdem nicht daran, dass sie allein durch Fahrräder ersetzt werden können. Was aber könnte das nächste Statussymbol werden?

Das Auto, sagt man, ist das liebste Statussymbol der Deutschen, und da lachen wir natürlich alle gerne drüber. Weil wir wissen, dass Autos schlecht für die Umwelt und Platzverschwendung sind und abgeschafft gehören – gerade und noch einmal mehr in Anbetracht der Dieselskandale.

Doch obwohl ich wie viele andere Menschen von mir selbstverständlich behaupten würde, dass ich keine Statussymbole nötig habe und mich nicht über meine Besitztümer definiere, und obwohl ich weiß, dass Autos schlecht für die Umwelt und Platzverschwendung sind, gebe ich zu, dass mich das Thema „Auto“ nicht völlig kalt lässt. Weil ich gerne Auto fahre, weil ich die Bequemlichkeit, Zeit- und Wetter-Unabhängigkeit, Privatsphäre und Transportmöglichkeiten mag. Weil ich einige, meist ältere Autos schön finde. Und auch, weil Autos auch mit meiner Kultur-Sozialisierung zu tun haben, die ich im weitesten Sinne im Rock’n’Roll verankert sehe. Und weil das Leben nicht allein aus Nüchternheit, Kopf und Ratio besteht, sondern auch aus Unsinn, Bauch und Emotionen. Das Auto mag für mich kein Statussymbol sein, aber es ist Teil meiner Kultur.

Die Verkehrswende muss her!

Nun besteht das Leben aber auch aus ständiger Veränderung und dauerndem Wandel, mein Geschmack und meine Kultur sind wegen meines Alters nicht sonderlich relevant für die Zukunft jüngerer Menschen, wir leben glücklicherweise nicht mehr in den 1950er Jahren (nicht, dass ich die erlebt hätte, so alt bin ich nun doch nicht) und vor allem werden wir jeden Tag schlauer. Ich bin deshalb trotz meiner nicht ausschließlich ablehnenden Haltung zu Automobilen sicher, dass die Tage des Autos, wie wir es kennen, gezählt sind, dass eine Verkehrswende her muss, dass die Verpestung der Luft durch Abgase aufhören muss, und dass die Zukunft der Mobilität nicht darin besteht, einfach so weiterzumachen wie bisher. Da kann ich manche Autos noch so schön finden, wenn ihre Abgase Menschen schaden, gehören sie stillgelegt.

Im Gegensatz zu vielen generellen Autogegnerinnen bin ich aber nicht davon überzeugt, dass die Sache damit erledigt sein wird, das Auto als solches zu verbieten und den Personen-Transport auf öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder zu verlagern.

Ich beobachte eher fasziniert als überzeugt, wie sich eine Facebook-Gruppe mit dem Namen „Numtots“ (New Urbanist Memes for Transit-Oriented Teens – zu Deutsch: Neue urbane Memes für transit-orientierte Teenager) fast 100.000 Menschen versammeln, um dem öffentlichen Nahverkehr halb ironisch, halb ernsthaft eine Coolness anzudichten und dabei in Sachen Stadtplanung im Sinne von Jane Jacobs zu handeln, einer kanadischen Stadt- und Architekturkritikerin. Mit der gleichen Faszination und fehlenden Begeisterung lese ich aber auch über neue Abo-Modelle der Automobilindustrie, die mir nur wie eine gepimpte Version des bekannten Modells “Leasing“ erscheinen, über Erweiterungen der bestehenden Car-Sharing-Konzepte und über Autos, die sich selbst verleihen.

Sicherlich ist das alles vernünftig und ein Teil der richtigen Richtung, aber … abgesehen vom Trend weg von den Verbrennern spricht mich nichts davon an. Die Konzepte passen nicht zu meinem Alltag, der oft aus spontanen, kurzen wie weiten Fahrten, aus kleineren und mittelgroßen Güterbewegungen und aus 1- bis 5-Personentransporten besteht. Plus Hund. Und es hört sich alles unfassbar unsexy an. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass junge Menschen wirklich denken: „Krass! Ein vollbesetzter U-Bahn-Wagon, in dem möchte ich jetzt unbedingt die nächste Stunde verbringen, das punktet bei meiner Peergroup mal so richtig!“

Was nützt Sharing den Landbewohnerinnen und Pendlerinnen?

Den öffentlichen Nahverkehr empfinde nicht nur ich über längere Strecken aus verschiedenen Gründen, die auch mit fremden Körpergerüchen zu tun haben, als unerträglich. Fahrradfahren macht mir bei Kälte, Schnee oder Regen nur mittelmäßigen Spaß. Die Suche nach einem freien Car-Sharing-Mietwagen klappt selten dann, wenn es dringend ist. Und das eigene Transportmittel mit mehreren Dritten zu teilen, ist ein Konzept, dass für junge Singles wunderbar funktionieren kann, für Eltern, Menschen mit Behinderung, Hundebesitzerinnen oder Leuten mit leichtem Gütertransportbedarf erscheint es mir eher zwiespältig (aber gut: Ich teile auch meine Wohnung ungern mit Fremden, obwohl sie manchmal stundenlang leer steht). Zudem mögen viele der aktuellen Sharing-Konzepte in Großstädten praktikabel sein, aber Landbewohnerinnen, Pendlerinnen, kleinere Handwerksbetriebe schütteln wohl eher den Kopf.

Ich weiß, dass es Lösungen braucht für die drängenden Herausforderungen der Mobilität. Aber genauso wenig, wie sich diese Lösungen aus alten Methoden ergeben können, können sie daraus bestehen, bestehende Möglichkeiten zu reduzieren.

Ich möchte eine Mobilitätszukunft, die mich mehr überzeugt und anmacht als die Vergangenheit.

Johnny Haeusler

Wo bleibt das wirklich Neue, das uns auch im übertragenen Sinne nach vorne bringt und uns mehr Möglichkeiten als weniger bietet? Es ist mir nicht radikal genug, die Städte in den nächsten 20 Jahren zu Fahrradstädten umzubauen, die dann wahrscheinlich wegen neuer Transportmittel schon wieder überholt (!) sein könnten. Ich möchte gleichzeitig unterirdische Transportwege für selbstfahrende Systeme entstehen sehen, die Güter von einer zur anderen Adresse transportieren können. Ich möchte Jetpacks, die mich bei kurzen Strecken von A nach B tragen, solargetriebene Langstreckenzüge, in denen ich meine Ruhe habe, wettergeschützte, umweltfreundliche und jederzeit verfügbare Fahrzeuge mit variablen Größen je nach Transportbedarf (Transformers!).

Ich möchte eine Mobilitätszukunft, die mich mehr überzeugt und anmacht als die Vergangenheit. Ich möchte eine Zukunft, welche die Vergangenheit nicht nur kürzt und die Reste neu anmalt, sondern die sie völlig neu- und wirklich weiterdenkt. Eine Zukunft, die nicht nur vernünftiger, sondern auch attraktiver als die Vergangenheit ist. Und die eben auch berücksichtigt, dass Mobilität keine reine Kopfsache ist, sondern auch Kultur. Ein Fahrrad wird schließlich – wenn man es sich leisten kann – ebenso nach Geschmack und Vorlieben ausgewählt wie ein Auto, und auch Fahrräder sind mittlerweile Statussymbole, aber der Coolnessfaktor eines Lastenrads entspricht dem einer Herrenhandtasche mit Trageschlaufe, wenn man mich fragt.

Es braucht nicht nur Verbote des Alten, sondern eine komplett neue Mobilitätskultur, die unseren Drang zu Individualität berücksichtigt. Und, wenn es hilft, vielleicht sogar neue Statussymbole. Sonst wird das nichts mit der Zukunft der Mobilität.

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