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Mit diesem Schuh will Nike beim Berlin-Marathon die 2-Stunden-Marke knacken

von Michael Förtsch
Tausende Menschen treten am Sonntag an, um den Berlin-Marathon zu laufen. Darunter auch Spitzenläufer wie Eliud Kipchoge. Der Kenianer will versuchen, einen neuen Weltrekord aufzustellen – und zwar mit technologisch ausgefeilten Nike-Schuhen an den Füßen. So sollen sie ihm helfen, die Zwei-Stunden-Marke zu knacken.

An diesem Sonntag wollen sich 44.389 Menschen in der Bundeshauptstadt völlig freiwillig einer ziemlichen Tortur aussetzen. Sie alle sind für den diesjährigen Berlin-Marathon angemeldet, einen der renommiertesten Marathonläufe der Welt. Exakt 42,195 Kilometer müssen die Läuferinnen und Läufer bewältigen, um das Ziel auf der Straße des 17. Juni zu erreichen. Das ist eine Höchstbelastung für Herz, Nieren, Muskeln, Bänder, Gelenke und auch das Gehirn. Nicht wenige werden daher vor der Endmarke abbrechen, denn ein solch langer Lauf bedeutet auch, eine sensible Kalkulation zu machen und eigene Energiereserven zu balancieren. Es geht darum, die Euphorie von Körper und Geist kurz nach dem Start zu drosseln, um auf den letzten Kilometern noch einmal Kräfte abzurufen, die der Körper eigentlich nicht mehr hergeben möchte. Diese Kräfte werden dann in kinetische Energie umgesetzt, also: in Geschwindigkeit.

Einen Marathon nicht nur zu vollenden, sondern das auch noch schnell oder gar mit einer Bestzeit zu tun, ist nochmal eine ganz andere Herausforderung. Beim ersten Olympischen Marathon von 1908 kam John Hayes mit einer Spitzenzeit von 2 Stunde, 55 Minuten und 18 Sekunden durchs Ziel. In den folgenden 80 Jahren schrumpften die Zahl der Minuten hinter den 2 Stunden rapide zusammen. Bereits in den 1960er-Jahren schafften erste Läufer Zeiten von unter 2 Stunden und 10 Minuten. Seitdem ist es jedoch deutlich schwieriger geworden, neue Meilensteine zu setzen. Der derzeitige Weltrekord liegt bei 2 Stunden, 2 Minuten und 57 Sekunden. Gehalten wird er seit vier Jahren von Dennis Kipruto Kimetto. Aufgestellt hat er ihn beim Berlin-Marathon.

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Für viele Spitzenläufer bündelt sich die größte Herausforderung inzwischen in einer einfachen Zahl, der Zwei. Weniger als drei Minuten bräuchte es nämlich, um einen neuen Rekord aufzustellen, der für immer einen Platz in den Geschichtsbüchern bekommen würde: Es wäre der erste Marathon, der in unter zwei Stunden absolviert wird. Als unmöglich gilt das nicht. Schon 1991 hatte der US-Mediziner Mike Joyner berechnet, dass ein ideal trainierter Läufer unter idealen Bedingungen bei einem nahezu perfekten Laufrhythmus eine Bestzeit von 1 Stunde 57 Minuten und 58 Sekunden erreichen könnte. Das sei das, was ein Mensch schaffen könnte – bisher allerdings auch nur in der Theorie. Einer, der sich am Sonntag anschickt, seine eigene Bestzeit und damit vielleicht auch diesen nahezu unmöglichen Wert zu knacken, ist der kenianischer Langstreckenläufer Eliud Kipchoge.

Eliud Kipchoge fehlten 26 Sekunden für die Sensation

Bereits im Mai 2017 kam Kipchoge auf der Rennstrecke Autodromo Nazionale im italienischen Monza der Zwei-Stunden-Marke ziemlich nah. Sie zu unterbieten war das ausdrückliche Ziel des vom Sportartikelhersteller Nike mit viel Geld und Aufwand ausgerichteten Experiments. Per Laser wurde dem Kenianer und seinen Mitläufern Zersenay Tadese und Lelisa Desisa eine Lauflinie auf den Asphalt gezeichnet, ein Trupp aus wechselnden Tempomachern sorgte für Motivation, ein vorweg fahrender Tesla Model S erzeugte einen Windtunnel. Dennoch klappte es nicht ganz. Kipchoge lief die 42,195 Kilometer in 2 Stunden und 25 Sekunden. Es fehlten 26 Sekunden. Auch das ist eine fast schon übermenschliche Leistung. Sie wurde aber nicht als neuer Weltrekord gewertet, da der Lauf auf einer leeren Bahn unter künstlichen Idealbedingungen stattfand. Bei Wikipedia taucht er als „unofficial record attempt“ auf.

Natürlich ging es nicht nur um Sportgeschichte, sondern auch um Marketing und schöne Bilder in den Medien. Und die hat das Breaking2 getaufte Event auch so produziert. Trotzdem wollen Kipchoge und sein Sponsor Nike weiterhin die magische Marke knacken. Sie setzen nun auf den diesjährigen Berlin-Marathon. Dort soll ein neuer, ganz offizieller Weltrekord aufgestellt werden. Ausschlaggebend dafür soll nicht nur die Tagesform des Langstreckenläufers sein, sondern auch dessen neues Schuhwerk. Wenn Eliud Kipchoge an den Start geht, dann wird er an den Füßen die angeblich schnellsten Schuhe der Welt tragen.

Nike entwickelt Schuhe in einer Geheimabteilung

Inmitten des weitläufigen World Headquarters von Nike bei Beaverton, im US-Bundesstaat Oregon, versteckt sich das NSRL, das Nike Sports Research Lab. Es ist eine umfangreiche Forschungseinrichtung, die streng gesichert ist. Nur wenige Mitarbeiter und geladene Gäste dürfen sie betreten. Über verwinkelte Gänge sind Material-Labore, Testanlagen, Indoor-Laufstrecken, Basketballplätze, Untersuchungszimmer und Räume voller Laufbänder miteinander verbunden. Dort forschen Wissenschaftler und Designer an neuen Lauf- und Sporttechnologien, von denen viele wohl erst in mehreren Jahren in erhältlichen Schuhen oder Kleidung zu Einsatz kommen. Manche werden sich wahrscheinlich auch als Fehlschlag erweisen.

Vor vier Jahren arbeiteten die Forscher des NSRL bereits an einem Schuh, der Langstreckenläufern dabei helfen sollte, schneller und weiter voranzukommen. Es war ein interessantes Projekt, aber das Vorhaben war nicht allzu ambitioniert. Das stellten die Top-Wissenschaftler des NSRL selbstkritisch bei einem gemeinsamen Brainstorming fest. Sandy Bodecker, Nikes Mann für besondere Projekte, spornte sie dann an: Sie sollten eine Idee verfolgen, die entweder glorreich enden oder grandios scheitern würde. Wieso also nicht gleich an einem Schuh forschen, der den ersten Marathon in weniger als zwei Stunden ermöglicht?

„Es ging darum, das Team von den Beschränkungen zu befreien, die es zurückhalten“, sagt Bret Schoolmeester im Gespräch mit WIRED. Er ist bei Nike für Laufschuhe zuständig und betreute das Projekt. Außerdem war er selbst mehrfacher Lauf-Champion. „Sandy sagte: Schert euch nicht um die Vermarktung, schert euch nicht darum, wie man viele davon herstellt, schert euch nicht um den Preis. Macht einfach einen Schuh, der Läufern hilft, schneller zu werden.“ Unter dem Codenamen Project Able, das später in Breaking2 umbenannt wurde, begannen die Wissenschaftler wenig später ihre Arbeit. Ihre Herausforderung: Die zwei größten Bremsen für einen Marathonläufer auszuschalten, das Gewicht der Schuhe und den Energieverbrauch.

Ein guter Schuh spart Energie

Die Formel für einen schnellen Schuh ist eigentlich simpel: Bei jedem Schritt muss ein Läufer Energie einsetzten. Er braucht umso mehr Energie, je schwerer seine Schuhe sind. Je leichter seine Schuhe sind, umso mehr Energie spart er. Diese Energie kann er einsetzen, um schneller und länger zu laufen. Einer Rechnung zufolge sollen 100 Gramm Gewichtseinsparung bei einem guten Läufer die Zeit für einen Marathon um 57 Sekunden verkürzen. Allerdings muss ein Laufschuh trotzdem gleichzeitig gut gepolstert bleiben, um Muskeln und Knochen zu unterstützen. Auch muss er beim Abrollen einen Vorstoß erzeugen, um dem Läufer einen gewissen Schwung mitzugeben. Dadurch kann der einen Teil seiner Energie zurückgewinnen.

Verantwortlich dafür, das alles in einem Superschuh miteinander zu vereinbaren, war bei Nike auch der Biomechaniker Geng Luo, ein „totaler Rockstar“, wie Schoolmeester sagt. Der aus Tianjin, China, stammende Luo war einst mit dem Traum, Sneaker zu designen, an die University of Calgary in Kanada gekommen. Dort studierte er Bewegungswissenschaft und Biomechanik und verfasste seine Doktorarbeit darüber, welche Faktoren bei einem Kurvenlauf der Maximalgeschwindigkeit eines Läufers entgegenwirken.

„Das Team folgte seinen Ideen und Richtungsvorgaben sehr eng“, sagt Schoolmeester über Luo, der verschiedenste Materialien und Konzepte erprobte. Dabei kamen auch einige abstruse und untragbare Prototypen heraus. „Im Bemühen, sehr reduziert zu bleiben, schnitten und schabten wir die Fersen der Schuhe ab“, lacht Schoolmeester. Eine eigentlich logische Idee, da Spitzenläufer ohnehin kaum mit den Fersen auf dem Boden aufkommen. Sonderlich überzeugt waren die Tester vom Ergebnis trotzdem nicht. Der Durchbruch brauchte einige Monate. Luo kam schließlich auf die Idee, eine dicke Schaumstoffschicht als Sohle zu verarbeiten. Nike nennt sie ZoomX. Aber eigentlich ist es ein Material, wie es seit fast zwei Jahrzehnten zur Isolierung von Flugzeugkabinen und Raumsonden verwendet wird.

Der Schaum ist leicht, weich, gleichzeitig sehr flexibel – und schützt damit auch die Füße vor dem Aufprall auf dem Asphalt. In ihn integrierte das Team eine kleine Löffel-förmige Platte aus Carbon, die sowohl Stabilität gibt als auch Spannung aufbaut und damit für eine Energierückgewinnung für den Läufer sorgt – vor allem im Bereich des Zehengrundgelenkes. Es soll sich für den Läufer anfühlen, als würde er stetig bergab laufen. „Es ist ein System, bei dem jede Komponente ihren Teil beiträgt“, sagt Schoolmeester. „Vor allem der Schaum leistet seine Arbeit.“ Durch den Schaum sind die Schuhe, die letztlich das Labor verließen, 185 Gramm leicht.

Bei ersten Tests an der University of Colorado zeigte sich, dass die Läufer mit diesen Schuhen ihren Metabolismus vier Prozent weniger belasteten – und damit auch vier Prozent schneller sein könnten. Ergebnisse, die später durch eine Studie von George Wu von der University of Chicago zumindest zum Teil gestützt wurden: Tatsächlich könnten demnach die Schuhe – beziehungsweise deren Technologie – Laufzeiten bei einem Marathon bis zu 4,43 Minuten reduzieren.

Forderung nach einem Verbot des Schuhs

Bereits 2016 liefen erste Spitzenläufer mit den damals noch geheimen High-Tech-Schuhen mit Topzeiten ins Ziel. Offiziell enthüllt wurden sie dann als Vaporfly 4%. Als Nike Zoom Vaporfly Elite, wie sie Kipchoge im vergangenen Jahr trug, kamen sie dann auch in die Läden. Auch eine günstigere Konsumentenvariante kam heraus.

Die neuen Schuhe sorgten aber auch für Kontroversen in der Marathon-Szene. Einige Sportler, Sportwissenschaftler und Sportjournalisten forderten sogar ein Verbot der 4%-Schuhe. Sie störten sich vor allem am Carbon-Einleger in den Sohlen, weil er aus ihrer Sicht einen unfairen Vorteil darstellte. Die Debatte konnte Nike aber durchaus für Werbezwecke nutzen: ein Schuh so gut, dass er verboten werden muss? „Um ehrlich zu sein, das ist schon schmeichelhaft, wenn Leute glauben, dass wir unseren Job so gut machen, dass wir damit eine Linie überschreiten“, sagt Schoolmeester. Was würde schließlich mehr für die Technologie und deren Macher sprechen?

Doch die Debatte ebbte wenig später wieder ab, spätestens als Eliud Kipchoge mit den Superschuhen, die perfekt an seine Füße und Physiologie angepasst wurden, über die Rennstrecke in Monza lief und die magische Marke trotzdem nicht unterbot. Damals sagte der Athlet, er wolle trotzdem noch zeigen, „dass Hürden und Grenzen nichts bedeuten“. Schließlich hatte er der Weltöffentlichkeit eines bewiesen: Ein Marathon in weniger als zwei Stunden könnte durchaus machbar sein. Wenn nicht bei diesem Versuch, dann eben später. Vielleicht am Sonntag in Berlin.

Im letzten Jahr sorgten Windböen und Regenfälle in Berlin dafür, dass Eliud Kipchoge und andere Läufer ihre Spitzenwerte nicht erreichen konnten. Das Obermaterial seiner Schuhe saugte sich voll und brachte ihn aus dem Takt. Doch das Geheimlabor NSRL forschte da bereits weiter: an einem experimentellem 3D-Druckmaterial, das Flyprint genannt wird. Es soll atmungsaktiv und dennoch wasserabweisend sein. Hierfür werden Fäden aus thermoplastischem Polyurethan geschmolzen und von einem 3D-Drucker in feinen Schichten zu „Stoffteilen“ aufgezogen, die mit anderen Materialien verschmolzen werden können. Mehrere Prototyp-Schuhe wurden erstellt, der Prozess mehrfach angepasst und gewandelt, bis Eliud Kipchoge und die Forscher zufrieden waren. „Er ist essentiell für die Entwicklung der Schuhe“, meint Schoolmeester. „Er sagt ganz direkt, was funktioniert, was nicht.“

Die nun Zoom Vaporfly Elite Flyprint genannten Schuhe sollen damit zusätzlich noch einmal elf Gramm leichter sein als die Original-Vaporfly, die Kipchoge 2017 trug. „Was man in Berlin an seinen Füßen sehen wird, hat auch ein neues Sohlenmuster“, ergänzt Bret Schoolmeester. „Das war auch eines der Dinge, von denen er fand, dass wir sie im Vergleich zum letzten Jahr verbessern könnten. Er wollte sehen, ob er mehr Haftung bekommen könnte.“ Vielleicht sind die Schuhe diesmal tatsächlich der Faktor, der den Ausschlag gibt. Vielleicht lassen sie Kipchoge einen historischen Unter-Zwei-Stunden-Lauf hinlegen. Darauf wetten mag Schoolmeester jedoch nicht unbedingt. Aber auf eine neue Bestzeit setzt er schon. „Ich glaube, er könnte den Weltrekord brechen“, sagt er. „Das glaube ich wirklich.“

Auch Adidas will den Berlin Marathon gewinnen

Natürlich ist Nike nicht der einzige Hersteller, der behauptet, den besten Laufschuh zu haben – einen, mit dem die Zwei-Stunden-Marke unterboten werden könnte. Das gleiche gilt für Adidas, den größten Konkurrenten aus Herzogenaurach in Franken. Der hatte sich eigentlich schon im Jahr 2012 dieses Ziel gesetzt, dann aber etwas aus den Augen verloren. Etwas überschattet vom Medienrummel um den Vaporfly von Nike brachte Adidas in diesem Jahr den nur 156 Gramm schweren Adizero Adios Sub2 heraus. Der bekam zwar nicht ganz so viel Aufmerksamkeit. Trotzdem kann sich Adidas weiterhin rühmen, die Schuhe entwickelt zu haben, die seit mittlerweile vier Jahren den offiziellen Weltrekord halten. Denn als Dennis Kimetto 2014 durchs Ziel rannte, da trug er an den Füßen Schuhe mit drei Streifen – die mittlerweile technisch schon wieder überholten Adizero Adios Boost. Es ist am Ende sicherlich wichtig, was man beim Marathon an den Füßen trägt. Aber noch wichtiger ist, was man damit anstellt.

Update: Für unter zwei Stunden hat es nicht ganz gereicht. Aber einen neuen Weltrekord hat Kipchoge aufgestellt. Der liegt nun bei 2 Stunden, 1 Minute und 39 Sekunden.

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