Früher hieß es im Zusammenhang mit der Abtreibungsdebatte „Mein Bauch gehört mir“, in naher Zukunft könnte es lauten: „Mein Kopf gehört nicht mehr mir.“ Dieser Meinung ist Miriam Meckel, Dozentin der Universität St. Gallen und Herausgeberin der WirtschaftsWoche. Sie hielt auf der re:publica 2017 einen Vortrag zum Thema Neuro-Enhancement und Brainhacking. Meckel zeigte darin auf, wie durch moderne Medizin und Technik Menschen schon heute ihre Hirnleistung verbessern können. Das sei jedoch nur der Anfang eines ganz großen Umbruchs, glaubt Meckel.
Die Vermischung von Mensch und Maschine sei schon im Gange. Zum Beispiel mit dem Roboter Sophia von Hanson Robotics, der menschliche Züge besitzt und dessen künstliche Haut so geschaffen ist, dass Meckel ihn laut eigener Aussage bei einer Präsentation sofort streicheln wollte. Die Vermenschlichung von Robotern sei ein Zweig der aktuellen Entwicklungen. Eine andere Richtung: die Digitalisierung des Menschen, wodurch sich Künstliche Intelligenz mit den Leistungen unseres Gehirns vermischen.
Schon heute können die Hirnaktivitäten in gewissem Maße beeinflusst werden. Meckel nannte Thync als Beispiel. Das Startup dahinter entwickelte ein System, das sich Nutzer an die Stirn klemmen und zusätzlich eine Elektrode am Hinterkopf anbringen. Thync-User können dann per App bestimmen, ob sie sich entspannen oder anspannen möchten – Gemütszustand auf Knopfdruck.
Der „nächste heiße Scheiß“ sind Meckel zufolge Interfaces, bei denen man nur noch denken, statt sprechen oder tippen muss. Schon heute gebe es Technologien, mit denen Texte per Gedanken in einen Computer geschrieben werden. Der aktuelle Stand der Technik sei aufgrund der vielen benötigten Elektroden noch „unsexy“,doch die letzte Facebook-Entwicklerkonferenz zeigte, wohin die Reise geht: Texte direkt in ein Smartphone, einen Messenger oder was auch immer „reinzudenken“, da stecke ein „enormes Potenzial“ drin, sagt Meckel.
In Zukunft gehe es nicht nur um Output, sondern auch um Input. Meckel nannte auch hier ein passendes Beispiel: Forschern ist es bereits gelungen, dass bestimmte Abläufe, die Ratten in einem US-Labor gelernt haben, digital versendet und in Ratten in einem brasilianischen Labor eingespeist wurden. Am Ende verhielten sich beide Rattengruppen in ähnlichen Situationen gleich. Das sei das erste bioneuronale Netzwerk der Welt gewesen. Noch funktioniere das nur bei Ratten, doch Meckel ist sich sicher, dass derartige Vernetzungen auch für Menschen kommen werden.
Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn wir in Zukunft nicht mehr telefonieren, sondern per Telepathie kommunizieren? Was geschieht, wenn das Hirn zur neuen Produktivitätskraft wird? Welche Auswirkungen hat es, wenn durch Booster eine World of Selfcraft entsteht? Meckel ist der Meinung, dass damit eine neue Form von Kapitalismus entstehen wird – der so genannte Neurokapitalismus. Menschen konkurrieren dann auf neuen Marktplätzen gegeneinander, ihre Leistung hängt dann nicht nur vom Lernen ab, sondern vom Geld. Wer es sich leisten kann, erkauft sich neue Fähigkeiten. Damit kommen neue Fragen auf: Wo bleibt die menschliche Identität, wenn das eigene Gehirn von Fremden beobachtet werden kann und an unsere Synapsen andocken können? Ist das Ich dann noch das Ich?
Die technischen Möglichkeiten und die damit verbundenen Fragen beunruhigen Meckel. Denn wenn wir unsere Gehirne für fremde Daten öffnen, haben wir nicht nur noch unsere eigenen Sinne, sondern viele neue Sinne, erklärt sie. Daraus entsteht eine Dauerbeschallung von allen Seiten. Das wäre dann der Weg in eine Strobo Mind Society, mahnt die 49-Jährige. Folgerichtig beendete Meckel ihren Vortrag mit einem Plädoyer: „Wir sollten das tun, was wir jetzt schon können: denken. Und entscheiden, was wir wollen – und was wir nicht wollen.“
WIRED ist Medienpartner der re:publica 2017 und berichtet hier vom 8. bis 10. Mai live von der Konferenz in Berlin.