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Wie verändert sich das Leben durch ein Grundeinkommen?

von Gründerszene
1.000 Euro im Monat, einfach so. Durch einen Verein wird das für manche Realität. Was der Initiator erreichen will – und wie seine radikalen Pläne aussehen.

In einer digitalen Welt ist das bedingungslose Grundeinkommen unumgänglich. Davon gehen zumindest viele Unternehmer aus, darunter Tesla-Chef Elon Musk, Ebay-Gründer Pierre Omidyar und Siemens-CEO Joe Kaeser. Ihr Argument: Weil durch die Automatisierung unzählige Arbeitsplätze wegfallen, braucht es eine neue Form der sozialen Absicherung. Jeder Mensch soll also monatlich einen bestimmten Betrag bekommen, erste Experimente dazu laufen bereits in mehreren Ländern.

Einer, der schon länger ein Grundeinkommen erhält, ist Michael Bohmeyer. Der IT-Spezialist hatte Glück: Vor elf Jahren gründete er ein eigenes Unternehmen, das inzwischen rund 1.000 Euro jeden Monat für ihn abwirft, ohne dass er etwas dafür tun muss. Das Geld stammt aus der Beteiligung der Firma schilder-versand.com, die er damals mitgegründet hat. Das sei sein persönliches Grundeinkommen, wie er sagt.

Motiviert von seiner eigenen Erfahrung gründete Bohmeyer den Verein Mein-Grundeinkommen.de. Über Crowdfunding sammelte er mit seinem Team bislang rund eine Million Euro ein. Damit finanziert der Verein 85 Menschen ein Jahr lang ein Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro monatlich – ohne Wenn und Aber. 

Wer das Geld bekommt, bestimmt das Los. Doch was machen die Menschen mit dem Geld? Unter den Gewinnern ist beispielsweise der 5-jährige Miko aus Berlin, dessen Eltern das Geld verwalten und seitdem mehr Zeit mit ihrem Sohn anstatt mit ihrer Arbeit als freie Fotografin und als freier Grafiker verbringen und einen Teil des Geldes außerdem auf ein Sparkonto überweisen. Oder Volker, selbstständiger Berater für Architekten. Er bezahlte mit dem zusätzlichen Geld unter anderem einen Meditationsworkshop, um seine Lungenkrankheit zu therapieren. Oder Marlene, die das Geld für den Start in die Selbständigkeit als Feng-Shui-Lehrerin investierte.

Im Gründerszene-Interview erzählt der Macher von Mein Grundeinkommen, wie er die aktuelle Debatte verfolgt – und welche radikalen Idee noch auf seinem Plan stehen.

Michi, fernab der theoretischen Debatte hast Du in den vergangenen drei Jahren ganz praktische Erfahrungen mit dem Grundeinkommen gesammelt, sowohl persönlich als auch durch Deinen Verein Mein-Grundeinkommen.de. Wie hat sich Dein eigenes Leben durch dein Grundeinkommen verändert?
Zunächst bin ich ein Loch gefallen. Plötzlich nicht mehr den ganzen Tag getrieben zu sein, überforderte mich. Aber nach vier Monaten setze dann die Ruhe ein, die finanzielle Grundsicherung gab mir Sicherheit und Mut. Daraus schöpfe ich bis heute viel Kraft und Kreativität. Außerdem lebe ich seitdem gesünder, habe meine Beziehungen gefestigt, insbesondere auch die zu meinem 5-jährigen Kind.

Deine eigenen Erfahrungen haben Dich zur Gründung des Vereins motiviert, um auch anderen Menschen das Modell zu ermöglichen. Wie hat sich deren Leben durch das zusätzliche Geld verändert? 
Von den derzeit 85 Grundeinkommen-Empfängern arbeiten die meisten regulär weiter, aber sie können sich weiterentwickeln, haben weniger Stress. Alle Teilnehmer berichten, dass ihnen durch das zusätzliche Geld mehr Freiheit entsteht. Nicht unbedingt real, aber im Kopf. Nur drei Personen haben bislang ihren Job gekündigt. Die von Kritikern hervorgebrachte These, dass ein Grundeinkommen die Menschen zu mehr Faulheit verleitet, kann ich also nicht bestätigen.

 

Andrea Nahles hat einem Grundeinkommen auf der Digitalkonferenz Republica eine Absage erteilt. Wie willst Du die Bundesarbeitsministerin von dem Modell überzeugen?
Durch unser Experiment. Denn Frau Nahles sagte auch: „Wenn das Grundeinkommen tatsächlich dazu führe, dass Menschen keine schlecht bezahlten Jobs mehr annehmen, würde ich ins Schwanken kommen.“ Genau das haben wir gezeigt: Statt im Callcenter-Job zu sitzen, macht unser Teilnehmer Christoph jetzt ein Studium, entwickelt sich weiter. Das ist sicherlich noch kein Beweis für Frau Nahles. Aber wir suchen weiter nach Indikatoren die zeigen, dass die Menschen mit einem Grundeinkommen umgehen können.

Statt eines Grundeinkommens plädiert die Arbeitsministerin dafür, jedem ab dem 18. Lebensjahr ein Startguthaben von insgesamt 15.000 bis 20.000 Euro zur Verfügung zu stellen. Was hältst Du davon?
Der Vorschlag geht nicht weit genug. Die Auszahlung des Geldes ist an zu viele Bedingungen geknüpft und entspricht damit nicht den Kriterien eines Grundeinkommens. Andererseits zeigt der Vorschlag der Ministerin auch: Die Debatte ist in der Öffentlichkeit angekommen, die Richtung ist klar: Wir müssen den Menschen mehr Freiheit geben, ihr Leben jenseits der Norm zu organisieren. Langfristig wird sich das Konzept durchsetzen.

Warum bist du da so sicher?
Weil der ökonomische Druck wächst. Die digitale Revolution führt dazu, dass es weniger Arbeitsplätze gibt, auch wenn Frau Nahles das noch nicht anerkennt. Mit einem Grundeinkommen können wir denjenigen ein Einkommen und Würde sichern, deren Jobs wegfallen und zeigen, dass es eine Perspektive zur Erwerbsarbeit gibt. Zumindest für den Übergang kenne ich keine Alternative.

Abgesehen von linken Gruppen plädieren auch Unternehmer wie Elon Musk und Co. für ein Grundeinkommen. Die FDP schlägt mit dem Bürgergeld ein ähnliches Modell vor. Wie stehst Du zu den Vorschlägen?
Grundsätzlich begrüße ich jedes Modell für ein Grundeinkommen, weil die Vorschläge die Debatte befeuern. Bei Mein-Grundeinkommen.de setzen wir uns für ein Grundeinkommen ein, das vier Kriterien entspricht: bedingungslos, existenz- und teilhabesichernd, individuell garantiert und ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt. Diese Kriterien erfüllen viele der öffentlich diskutierten Modelle nicht. Das Bürgergeld-Konzept der FDP fällt beispielsweise nicht darunter, weil es sich nur an sogenannte Arbeitswillige richtet.

Was planst Du als nächstes, um die Idee eines Grundeinkommens voranzubringen?
Zunächst wollen wir noch mehr Unterstützer für Mein-Grundeinkommen.de gewinnen und diesen Sommer die Eine-Million-Marke bei den registrierten Nutzern knacken. Im kommenden Jahr wollen wir außerdem ein neues Experiment starten: Eine digital organisierte Grundeinkommen-Gesellschaft: Diejenigen, die mehr als 1.000 Euro pro Monat haben, teilen dabei ihr Geld mit denjenigen, die weniger verdienen. Nach welchen Kriterien das Geld innerhalb der Gemeinschaft umverteilt wird, müssen wir dabei allerdings noch festlegen.

Inwiefern unterscheidet sich Dein Konzept von der Umverteilung des Staates in Form von Steuern?
Eigentlich gar nicht. Meine Vision ist, dass in der digitalen Gemeinschaft die Menschen die Funktion des Staates übernehmen. Ich plädiere für Vertrauen anstatt Kontrolle, für eine digitale Solidarität. Kurzum: Ich träume von einer Gesellschaft, in der die Menschen selbst bestimmen, wie sie leben wollen. Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen, um die klassische Politik herauszufordern und die politischen Prozesse zu beschleunigen. 

Gründerszene

Dieser Artikel erschien zuerst bei Gründerszene
Das Original lest ihr hier.

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