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Eine mitwachsende Herzklappe macht weitere Operationen unnötig

von Anna Schughart
Patienten, die eine neue Herzklappe brauchen, könnten in Zukunft von Svenja Hinderers Forschung profitieren. Statt die alte Herzklappe gegen einen Ersatz auszutauschen, animiert sie den Körper, eine neue Herzklappe zu bilden. Das könnte viele Operationen unnötig machen.

Herzklappen sind wie Ventile – sie verhindern, dass das Blut in die falsche Richtung strömt. Wer eine neue braucht, hat in der Regel die Wahl zwischen zwei Alternativen: Viele Menschen bekommen eine biologische Ersatzherzklappe, beispielsweise vom Schwein. Manchmal sind die neuen Herzklappen aber auch mechanisch. Beide haben ihre Nachteile. Die biologischen Ersatzherzklappen altern bei der Arbeit, sie verkalken und müssen nach einigen Jahren ausgetauscht werden. Mechanische Herzklappen halten dagegen länger. Das Problem: Wer eine mechanische Herzklappe hat, muss sein Leben lang Blutverdünner nehmen. Und bei Kindern, die ja noch wachsen, muss der Herzklappenersatz sogar alle zwei Jahre ausgetauscht werden.

Svenja Hinderer will das ändern. Das Ziel ihrer Doktorarbeit lautete, eine Herzklappe zu entwickeln. Das hat Hinderer geschafft. Doch noch heute, ein paar Jahre später, ist die Chemikerin weiter mit ihrem Projekt beschäftigt: Statt die Herzklappe durch einen mechanischen oder biologischen Ersatz auszutauschen, will sie den Körper dazu animieren, eine neue Herzklappe zu bilden. Dafür braucht es nur eine sehr gute Vorlage.

„Meine Philosophie ist es, die Herzklappe so abzubilden, wie es die Natur macht“, erklärt Hinderer, die am Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart forscht. Dazu musste Hinderer erst einmal herausfinden, wie genau die Herzklappen in unseren Körpern funktionieren. Welche Proteine findet man dort, wie sehen die Struktur und Mechanik der Herzklappe aus, wie arbeitet sie? Aus diesen Parametern hat Hinderer dann einen Blueprint für ihre Nachbildung erstellt.

Die künstlichen Herzklappen spinnt Hinderer aus Polymeren. Die Technik, die sie dazu verwendet, nennt sich Elektrospinnen. Dabei sorgt ein elektrisches Feld dafür, dass sich ein Polymertropfen zu einer ganz feinen Faser verformt, immer dünner wird und sich dann um eine Gegenelektrode wickelt. Wenn die Gegenelektrode die entsprechende Form hat, entsteht so ein Herzklappengerüst. Der Körper kann dieses Gerüst nutzen, um wieder eine neue Herzklappe zu bilden.

Dazu muss das Gerüst Stammzellen anlocken, die sich ansiedeln. Das tun sie, wenn sie sich dort wie zu Hause fühlen. Einen wichtigen Teil, neben der Struktur, tragen dazu die Proteine bei. Sie steuern die Zellen, leiten sie an bestimmte Stellen, animieren sie, neue Proteine zu bilden, zu wachsen oder zu sterben. Hinderer kann die Proteine entweder direkt mitverspinnen oder später auf die Oberfläche des Gerüsts anbringen. Wichtig ist, dass die Zusammensetzung ungefähr dem entspricht, was die Zellen normalerweise vor Ort finden würden. Denn jedes Gewebe und Organ ist mit unterschiedlichen Proteinen versetzt. Um die richtige Auswahl für die Herzklappen zu finden, haben sich Hinderer und ihre Kollegen deshalb angeschaut, welche Proteine in welchem Entwicklungsstadium besonders häufig sind und auch gute Kandidaten gefunden. „Den optimalen Protein-Cocktail haben wir aber noch nicht“, sagt Hinderer.

Das besondere an Hinderers künstlicher Herzklappe ist, dass sich das Polymergerüst im Laufe der Zeit abbaut. Zurück bleibt dann die Herzklappe, die der Körper selbst gebildet hat. Hinderer glaubt, dass so weitere Austauschoperationen unnötig werden könnten. Außerdem kann die Herzklappe mitwachsen. Besonders für Kinder, die sonst regelmäßig operiert werden müssten, wäre das eine große Erleichterung.

Hinderer hat bereits zahlreiche Experimente gemacht. Alles was sie im Reagenzglas testen könne, habe sie getestet, sagt sie. Trotzdem sind noch Fragen offen, zum Beispiel zur Kalzifizierung. So nennt man es, wenn die Herzklappe verknöchern. „Dann bewegen sie sich nicht mehr richtig und funktionieren nicht mehr als Klappe“, erklärt Hinderer. Warum das so ist und ob das bei ihren künstlichen Herzklappen auch passieren kann, weiß man noch nicht – es lässt sich auch nicht im Reagenzglas testen. Deshalb wäre es nun an der Zeit, die Herzklappen im Tierversuch zu testen. Aber die sind teuer.

Das Magazin Technology Review wählte Hinderer vor Kurzem zu den 35 Innovators Under 35. Hinderer hofft, dass ihr das hilft, Geld für ihre Experimente zu sammeln. Denn die potenziellen Anwendungen beschränken sich nicht auf Herzklappen: Auch für Blutgefäße oder den Gebärmutterhals könnte man sie beispielsweise eines Tages nutzen.

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