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Dieses wasserabweisende Material kann sich häuten

von Anna Schughart
Stark schmutz- und wasserabweisende Materialien haben sich bisher noch nicht durchgesetzt. Weil sie so fragil sind, sagt der Freiburger Chemiker Jürgen Rühe. Er hat eine Lösung für dieses Problem entwickelt und sich dabei von Schlangen inspirieren lassen.

Videoclips im Netzt versprechen eine bequeme Welt, in der niemand mehr Zeit mit so etwas Langweiligem wie Waschen verbringen muss. Sie zeigen männliche Models, über deren weiße T-Shirts und Hemden fremde Hände wild Rotwein und Ketchup schütten. Und siehe da: Alles, was sonst hässliche Flecken hinterlässt, perlt einfach ab, kein Waschgang mehr nötig. Und das funktioniert nicht nur bei T-Shirts – mithilfe von Nanotechnologie könnten viele verschiedene Materialien wasser- und schmutzabweisend werden.

Es gibt nur ein Problem: Statt Angst vor Tomatensoßenflecken zu haben, müssen wir uns dann Sorgen um unsere Wohnungsschlüssel machen. Denn die sogenannten nanoskaligen Strukturen, die ein Material wasser- und schmutzabweisend machen, gehen leicht kaputt. Ein Schlüssel, der über die Oberfläche kratzt, kann schon ausreichen, um den Effekt zunichtezumachen.

„Dann sammelt sich in dem Kratzer der ganze Schmutz“, sagt der Chemiker Jürgen Rühe von der Universität Freiburg, „Man hat dann zum Beispiel eine blendend weiße Wand, nur da, wo sie beschädigt ist, kriegt man schwarze Streifen.“ Diese Anfälligkeit ist ein Grund, warum die sogenannten super-hydrophoben Materialien nicht schon längst alltäglich sind.

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Ein Vorbild für wasserabweisende Materialien ist die Lostuspflanze. Wird sie beschädigt, kann jedoch ein Blatt nachwachsen. „Bei einer technischen Oberfläche ist das nicht ganz so einfach“, sagt Rühe. Er hat sich deshalb für seine Forschung am Häutungsmechanismus von Schlangen orientiert: Wenn eine Schlange gewachsen ist, streift sie ihre alte, zu klein gewordene Haut einfach ab. Ganz ähnlich funktioniert das Material, das Rühe mit seiner Arbeitsgruppe entwickelt hat.

Im Prinzip besteht es aus drei Schichten: Ganz oben ist die stark wasserabweisende Schicht. Doch darunter sitzt eine wasserlösliche „Opferschicht“, wie Rühe sie nennt. Wenn diese nass wird – zum Beispiel, weil die obere Schicht durch einen Schlüssel zerkratzt wurde und jetzt Wasser hineinläuft – löst sie sich Schritt für Schritt auf. Die obere, wasserabweisende Schicht ist dann aber nicht mehr verankert, rollt sich auf und wird weggeschwemmt. Zum Vorschein kommt eine neue, funktionsbereite Schicht. „Das verlängert deutlich die Lebensdauer einer solchen Oberfläche“, sagt Rühe. Im Prinzip lässt sich dieser Vorgang öfter wiederholen, eine kaputte Schicht löst sich, die nächste kommt zum Vorschein.

Gleichzeitig zu ihrer Forschung an dem sich häutenden Material haben die Forscher aus Freiburg auch an einer hydrophoben Folie gearbeitet. Normalerweise würden Gegenstände mit einer ganz gezielten nanoskaligen Rauigkeit generiert, um den wasserabweisenden Effekt zu erzielen, sagt Rühe. Eine Folie dagegen könnte man auf alle möglichen Oberflächen kleben, um sie so wasser- und schmutzabweisend zu machen. Wenn die Folie kaputt geht, klebt man einfach eine neue auf. Rühe und seiner Arbeitsgruppe ist es gelungen, eine Nanograss-Folie herzustellen. (Nanograss deshalb, weil die winzigen Strukturen, die für den Effekt sorgen, in etwa so aussehen wie ein Rasen aus spitzen Grashalmen.)

Beides zusammen – Folie und sich häutende Materialien – könnten dazu beitragen, dass die Anti-Schmutz-und-Wasser-Materialien alltäglich werden. Anwendungen gibt es schließlich nicht nur in der Modeindustrie, sondern überall da, wo man Nässe und Dreck vermeiden möchte. Ein weiterer Vorteil der Materialien ist auch, dass sie das Potenzial haben, Eisbildung zu vermeiden. Doch solange schon eine einfache Handbewegung die Fähigkeiten des Materials zunichtemachen kann, bringt es wenig, über all die fantastischen Anwendungsmöglichkeiten zu sinnieren. Sein zentrales Anliegen, sagt Rühe, sei es deshalb die Stabilitätsprobleme von super-hydrophoben Materialien anzugehen. „Es tut dem Feld nicht gut, ein grundlegendes Problem zu ignorieren.“

Rühe und seine Arbeitsgruppe verfolgen dabei trotz des Erfolgs mit dem sich häutenden Material auch weiter andere Ansätze – die Verstärkung der Nanostrukturen durch größere Strukturen und insgesamt festere Materialien. Natürlich sei es besser, wenn die Oberfläche sich nach einer Beschädigung selbst heilt, aber „im Alltag wäre es nicht sehr praktisch, wenn ich einmal auf die Oberfläche patsche und dann fängt sie direkt an, sich zu häuten“, sagt Rühe. Deshalb müssten die drei Ansätze miteinander kombiniert werden.

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