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Rollen schon bald Autos aus dem 3D-Drucker über unsere Straßen?

von Chris Köver
Um ein Auto zu fertigen, braucht man riesige Hallen, tausende Mitarbeiter, sechs bis acht Jahre Zeit für Entwicklung und Design. Das galt bisher. Beim Startup Local Motors kommen die Entwürfe hingegen aus einer globalen Community und die Fahrzeuge aus dem 3D-Drucker. Bald eröffnet die erste Mikrofabrik in Berlin.

Als Local Motors Anfang des Jahres auf der Detroit Motor Show einen Glascontainer aufstellte, drückten sich vor dem Kasten ziemlich viele Menschen die Nase platt. Drinnen: ein raumgroßer 3D-Drucker, aus dessen Düse eine schwarze Masse quillt, wie ein dicker Streifen Zahnpasta. Wieder und wieder fährt die Düse an der Form entlang, und wer länger dasteht, erkennt irgendwann: Hier entsteht gerade ein Kotflügel. Aus dem 3D-Drucker.

Local Motors zettelt gerade eine kleine Revolution an in der Autobranche und weil man Revolutionen besser versteht, wenn man mit dabei ist, demonstriert das Startup aus Arizona, was es kann. Hinstellen und behaupten, man könne in 44 Stunden ein fertiges Auto bauen, das ist eine Sache. Das Auto in 44 Stunden auszudrucken, zu montieren und anschließend eine kleine Runde damit zu drehen — das ist eine andere.

Wie ein Bobby Car in Erwachsenengröße

Strati heißt das Auto, das Local Motors in Detroit präsentierte, und es sieht ein bisschen aus wie ein Bobby Car in Erwachsenengröße. Bisher ist das ein Prototyp, bis zum ersten Quartal 2016 soll aber jeder das Elektroauto aus dem Drucker kaufen können — je nach Modell für 18.000 beziehungsweise 30.000 Dollar.

Der Mensch dahinter heißt John Rogers, er hat Local Motors im Jahr 2007 gegründet und ziemlich viel vor: „Autohersteller stanzen seit 100 Jahren auf die gleiche Art Teile aus. Wir haben jetzt die Technologie, um den Prozess und das Produkt besser und schneller zu machen, in dem wir Online und Offline miteinander verbinden.“

In der Vergangenheit hat das Startup schon einen anderen Wagen in kleiner Stückzahl auf den Markt gebracht: einen Geländewagen mit 436 PS, der in der Wüste von Arizona, wo eine der vier Local Motors-Mikrofabriken steht, vermutlich ganz praktisch ist.

Doch der Strati ist das erste Auto, das fast komplett aus dem Drucker kommt: Die Karosserie, der Unterbau und ein großer Teil der Innenausstattung werden aus einem Gemisch aus Karbon und Plastik ausgedruckt. Den Motor, die Batterie und andere Teile kauft Local Motors bei Renault, der Autohersteller verwendet sie für sein Modell Twizy.

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Autos aus dem Drucker, das klingt revolutionär und disruptiv und was man sonst noch gern an Adjektiven an jene emporkommenden Firmen heftet, die das Establishment einer Branche herausfordern. Das Drucken an sich ist jedoch gar nicht so besonders: Autohersteller wie Toyota greifen für ihren Prototyping-Prozess schon seit zwanzig Jahren auf die Technik zurück, um Entwürfe zu testen. Für die eigentliche Fertigung in großer Stückzahl ist das Verfahren allerdings zu langsam und daher schlicht unpraktisch.

Perfekt für alle, die von einem Fahrzeug nicht 5000 Stück brauchen

Local Motors will aber gar keine große Stückzahl produzieren. Im Gegenteil: Die Stärke des Startups liegt in seiner Anpassungsfähigkeit. Während andere Hersteller lange Produktionsketten umstellen müssten, reichen bei Local Motors ein paar Klicks, dann lädt die Software ein neues Design und aus dem Drucker kommt ein anderes Modell. Das ist perfekt für alle, die von einem bestimmten Fahrzeug nicht 5000 Stück brauchen, sondern vielleicht nur 100. Zum Beispiel der Pizzalieferant Domino, der sich von Local Motors den perfekten Pizzalieferwagen entwerfen ließ — mit eingebautem Ofen im Kofferraum.

Die wahre Innovation von Local Motors ist aber nicht das Drucken der Fahrzeuge, sondern der Designprozess — und der lässt auch große Firmen aufhorchen. Local Motors hat zwar ein eigenes Designteam, aber den Großteil des Prozesses lagert es an eine Community von Kreativen aus, das nennt sich „Co-Creation“. Aus der ganzen Welt können Mitglieder ihre Entwürfe auf die Seite hochladen, gemeinsam weiterentwickeln und optimieren. Eine Jury oder der Auftraggeber sucht am Ende aus, welcher Entwurf produziert wird — und dann bekommt auch der Designer Tantiemen. Ein solcher Open-Source-Ansatz war bislang vor allem aus der Software-Entwicklung bekannt, wo ganze Betriebssysteme kollaborativ entstehen. Local Motors bringt diese Idee in die Autoproduktion.

51.000 Mitglieder hat die Community inzwischen, darunter viele Profi-Designer, aber bei den Design Challenges, die das Unternehmen ausschreibt, kann jeder mitmachen — alle Anforderungen an das Projekt werden veröffentlicht und die beste Lösung gewinnt am Ende.

Mit diesem Ansatz kann Local Motors ein Tempo fahren, bei dem keiner der großen Firmen hinterherkommt: „Vom ersten Entwurf bis zum fertigen Produkt brauchen wir nur ein Jahr“, erklärt Damien Declercq. „Andere Hersteller haben einen Produktionszyklus von sechs bis acht Jahren.“

Vom ersten Entwurf bis zum fertigen Produkt brauchen wir nur ein Jahr. Bei anderen Herstellern sind es sechs bis acht Jahre.

Damien Declercq, Local Motors

Ähnlich schnell scheint es mit der Expansion in neue Märkte zu gehen. Declercq ist die erste Vorhut von Local Motors in Europa. Ende 2014 kam er nach Berlin und mietete ein paar Tische im Rainmaking Loft, einer Startup-Sammelstelle in Berlin-Kreuzberg. Bisher sitzen dort außer ihm vier weitere Mitarbeiter, das soll sich aber bald ändern. Declercq und sein Team wollen in Berlin die erste Microfactory von Local Motors in Europa aufbauen und suchen dafür nach einem geeigneten Raum. 4000 Quadratmeter, möglichst innenstadtnah. Das ist in Berlin zwar nicht mehr so einfach wie vor zehn Jahren, aber immerhin nicht unmöglich — die geringen Mieten waren einer der Gründe, warum Declercq und seine Kollegen die Stadt als Standort auswählten.

Anfang des Jahres schrieben sie den ersten lokalen Wettbewerb aus: Die Urban Mobility Challenge 2030 fragte nach Lösungen für den Berliner Stadtverkehr: Wie sollen Menschen und Waren im Jahr 2030 besser, umweltfreundlicher und billiger durch die Stadt befördert werden?

Unter den Lösungsvorschlägen in sechs Kategorien waren Skateboards und Aufhängevorrichtungen für Fahrräder, aber auch Zukunftsvisionen, die die Berliner Verkehrsbetriebe aufhorchen lassen könnten. Etwa der Edgar08, eine Art Glaskasten auf Rädern, benannt nach seinem Entwickler, dem Kolumbianer Edgar Sarmiento. Als selbstlenkender Minibus soll er in Zukunft ohne feste Route durch die Stadt fahren und seine Passagiere aufsammeln: Wer in der begleitenden App auf den Knopf drückt, wird vor der Tür abgeholt und am Ziel abgeliefert. Tickets kauft man ebenfalls in der App und die Route passt das smarte Fahrzeug flexibel an die Verkehrslage an. „Die BVG hat derzeit jeden Tag 1300 Busse in Betrieb“, sagt Damien Declercq. „Das ist nicht effizient. Statt leere Busse an den Stadtrand fahren zu lassen, könnte man mit diesem System flexibel reagieren und nur dann ein Fahrzeug schicken, wenn es gebraucht wird.“

Noch ist das alles nicht viel mehr als eine Idee, die Local Motors den Berliner Verkehrsbetriebe vorgeschlagen hat. Allerdings ist diese Idee nicht schlecht und geht viel weiter als die ersten selbstfahrenden Busse, die in der Schweiz bald im Einsatz sind.

Vor allem soll der Aufschlag aber eins klar machen: Bei Local Motors geht es nicht nur um Autos, sondern um Fortbewegung. Die Mittel dazu können sehr unterschiedlich sein.

Damien Declercq von Local Motors spricht am 26. November als einer von vielen Experten auf der WIRED Mobilty Conference 2015. Hier könnt ihr euch jetzt schon dafür anmelden. 

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