Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Wie Mathematiker die Dynamik von Rinderherden entschlüsseln

von Matt Simon
Eine Rinderherde ist komplexer als es auf den ersten Blick scheint. Wissenschaftler haben mithilfe von Mathematik Ordnung ins Chaos gebracht.

Stell dir eine grüne Weide mit einer Herde grasender Rinder vor. Einige stehen herum, starren sich mit ihrem typischen Kuh-Blick an, andere haben ihren Kopf im grünen Gras vergraben, wieder andere ruhen auf dem Boden. Ein friedliches Bild, oder? An Einfachheit und Ruhe kaum zu überbieten?

Nun ja, leider ist dem nicht ganz so. Diese stereotype Vorstellung einer Rinderherde trügt. Denn ein neues mathematisches Modell behauptet, dass Herden – so friedlich sie auch aussehen – eigentlich dynamische und insgeheim erbitterte Konflikte mit gegensätzlichen Interessen austragen. Biologen und Mathematiker haben die faszinierende Dynamik von Rinderherden untersucht und die Ergebnisse passenderweise in einem Journal namens Chaos veröffentlicht.

Das Leben eines Rinds ist aufgrund einer Mischung von ökologischen und biologischen Faktoren voller Konflikte. Ein Rind hat grundsätzlich drei Zustände: dahinschlendernd und dabei graskauend, stehend und starrend, und liegend und ruhend. Was es gerade tut, kann das Rind frei nach Belieben entscheiden – so lange es alleine ist. Da Herden aber ein erprobtes Anti-Feind-System darstellen, wird ein Rind so gut wie nie auf sich allein gestellt sein.

Wie in jeder guten Gesellschaft, finden sich auch in Herden Rinder unterschiedlicher Größe und Alters. Männliche Tiere sind in der Regel größer als die Kühe, Kälber müssen weniger fressen als die Alten. In der Folge sind die Jüngeren eher fertig mit dem Fressen und verdauen auch schneller. „Es gibt bei Rindern eine Art Spannung zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Herde”, sagt Erik Bollt, Co-Autor der Studie und Direktor des Clarkson Center for Complex Systems Science.

Bollt und seine Kollegen konnten zeigen, wie diese Faktoren sich genau abspielen. Große Herden tendieren dazu, sich in zwei Gruppen aufzuteilen: Schnell- und Langsamfresser. Dazu kommen ein paar Individuen, die die Gruppen häufig wechseln und dabei gezwungen sind, zwischen ihrem Wunsch in einem bestimmten Tempo zu fressen und dem Sicherheitsbedürfnis innerhalb der Gruppe zu entscheiden. „Es gibt solche, die mit beiden Möglichkeiten nicht besonders glücklich sind”, sagt Bollt.

Was an dieser Stelle besonders spannend ist: die Forscher haben keine armen Studenten ins Feld geschickt, um monatelang Kuhherden zu beobachten. Sie haben es einfach mathematisch gelöst, basierend auf früheren Modellen wie Rinder ihre Zustände wechseln. „Das Einzigartige an dem Modell ist, wie es sich Rinder als eine Art Kondensator vorstellt. Eine Spannung wird aufgebaut und wenn sie einen bestimmten Wert erreicht hat, schaltet sie in einen neuen Zustand um”, sagt Bollt. „Oder stell es dir wie einen Ball vor. Er fliegt, bis er den Boden berührt und ‚boom‘ ändert sich der Zustand.” Die neue Studie skaliert das Prinzip und kann so zeigen, wie Rinder in ihren vielen Zuständen interagieren und so die Gruppendynamik beeinflussen.

„Das Gute an der Theorie ist, dass sie nicht so aufwendig ist wie Experimente und Beobachtungen”, sagt Co-Autor Mason Porter, Mathematiker an der UCLA. „In finanzieller Hinsicht, aber auch in der Frage, welche Experimente mit den Tieren überhaupt angemessen sind. Es gibt keine ethischen Probleme, wenn man Kühe mit dem Computer untersucht.” Natürlich können Modelle nicht alles über die echte Welt sagen. Mathematik kann aber dabei helfen, echte Untersuchungen zu konzipieren, die vielversprechend sind.

Wissenschaftler beschäftigen sich nicht nur mit der Dynamik von Kuhherden. Immer besser sind Forscher in der Lage, die riesige Menge an Informationen in einem Ökosystem zu verarbeiten und zu erklären, wie der Formationsflug von Staren funktioniert, wie sich Bakterien bewegen, wie Fische schwärmen. Und das ist erst der Anfang. Komplexe Systeme helfen Wissenschaftlern immer kompliziertere Interaktionen zu verstehen, komplexer noch als Vogelschwärme und Herden hungriger Rinder. Nicht nur unter einzelnen Spezien, sondern spezienübergreifend. Für den Moment sollten wir aber erst einmal das Rind wertschätzen, es hat uns viel zu erzählen.

WIRED.com

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.com
Das Original lest ihr hier.

GQ Empfiehlt