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Adblocker sind vielleicht das Beste, das dem Netz passieren konnte

von Karsten Lemm
Werbung nervt. Meistens. Aber sie finanziert auch einen Großteil der Inhalte, die wir alle täglich lesen, sehen, hören möchten. Kostenlos natürlich. Bedeuten Adblocker, die gerade rasend populär werden, also den nahen Untergang für viele Webseiten, die uns wichtig sind? Nicht unbedingt. Vielleicht erweisen sich die Reklamestopper sogar als Segen. Ein Kommentar.

Wer es ernst meint mit dem Ausblenden von Werbebotschaften, um endlich mal Ruhe zu haben, kommt mit zwei, drei Klicks ans Ziel: Einfach den Ethical Ad Blocker installieren, eine kostenlose Erweiterung für den Chrome-Browser, und die Stille genießen. Keine Fenster mehr, die aufspringen und dem Surfer ins Gesicht schreien: „Hey, abonnier doch unseren Newsletter!“ Keine Werbevideos, die automatisch loslaufen. Und keine Anzeigen, die sich plötzlich ins Bild schieben und den Blick auf das verstellen, was man eigentlich sehen möchte. Denn jetzt ist da einfach gar keine Seite mehr.

Dieser Ad Blocker arbeitet nach dem Motto: Wer keine Werbung will, sollte auch keine Webseiten besuchen, die sich mit Werbung finanzieren. Nur konsequent und ethisch korrekt eben. Also kein Facebook und kein Twitter, kein Google, kein Instagram oder Pinterest — ja nicht mal Kayak, Deutsche Bahn oder die BBC. Denn auch diese Seiten bauen Werbung ein, holen sich für jeden Besucher die passenden Anzeigen von Netzwerken wie Doubleclick, Criteo oder MediaMath. Diensten, die ein Milliardengeschäft daraus gemacht haben, Surfern durchs Netz zu folgen, um sie durchschaubar und vermarktbar zu machen, so präzise, dass Katzenfreunde Whiskas-Werbung zu sehen bekommen und Hunde-Fans Frolic.

Der Ethical Ad Blocker mag als Scherz gedacht sein, als subversiver Satirebeitrag zur allgegenwärtigen Debatte über das bevorstehende Ende des Internets durch Werbeblocker — doch er treibt nur auf die Spitze, was viele Verlage und Blogger-Netzwerke argumentieren: Liebe Leute, wenn ihr kostenlos Nachrichten lesen wollt, dann müsst ihr bitteschön auch Werbung anschauen, denn wie sollen wir sonst Geld verdienen?

Klingt logisch, ist aber eigentlich Unsinn: Natürlich finanzieren sich Presse, Funk und Fernsehen seit Jahrzehnten auch durch Werbegelder — aber nie waren Leser, Zuhörer oder Zuschauer gezwungen, die Reklame wahrzunehmen. Immer gab es die Möglichkeit zum Weiterblättern, Weghören oder Umschalten, und Werbekunden zahlten trotzdem ein Vermögen, um irgendwie die Aufmerksamkeit des Publikums zu erhaschen. Weil ihnen wenig anderes übrig blieb. Alle wussten, dass ein Großteil ihrer Werbeausgaben Verschwendung war — nur konnte niemand so genau sagen, welcher Teil.

All das hat sich durch das Internet geändert. Plötzlich gibt jeder Klick, jede besuchte Website, jeder Facebook-Like einen Hinweis darauf, mit wem es die Medienhäuser und ihre Anzeigenkunden zu tun haben. Entsprechend zielgenau können die Werbebotschaften zugestellt werden. Gerne auch so aufdringlich, dass sie unausweichlich werden — selbst für ein Publikum, das immer auf dem Sprung ist, das scrollen, wischen, weiterziehen will. Daher die aufspringenden Fenster, die einen zumindest so lange innehalten lassen, bis man irgendwo das kleine X zum Zumachen gefunden hat.

Besonders nervig ist diese Art von Werbung auf Smartphones und Tablets, deren Displays oft komplett ausgefüllt werden, wenn Anzeigen aufpoppen oder sich in den Nachrichtenstrom schieben. Obendrein schleppen Webseiten mittlerweile so viel Code zur Anzeigenverwaltung mit sich herum, dass es gerade beim mobilen Surfen eine gefühlte Ewigkeit dauern kann, bis sie geladen sind. Kein Wunder also, dass Adblocker plötzlich boomen, besonders auf dem iPhone — nun, da Apple es möglich gemacht hat, den Safari-Browser auch auf Mobilgeräten mit Werbefiltern wie Adblock Mobile, Crystal oder 1Blocker auszustatten.

Der Run auf Adblocker war keine Überraschung. Millionen von Netzbewohnern haben schon lange die Nase voll von zuviel Werbung — und zu aggressiver Werbung. Also schlagen sie zurück, wie die rasch zunehmende Popularität von Plug-ins à la Adblock Plus und Ghostery auf Desktop-Geräten zeigt. Schon Anfang August warnte eine Studie, die zunehmende Nutzung von Adblockern könne Website-Betreibern Verluste von fast 20 Milliarden Euro einbringen — allein in diesem Jahr. Veröffentlicht wurde sie von Adobe, dem Entwickler der Flash-Animationssoftware, und dem irischen Dienstleister Pagefair. Flash wird gern für animierte Web-Reklame benutzt, und Pagefair verspricht Kunden, ihnen im Kampf gegen Adblocker zu helfen. Beide haben also ein Interesse daran, die Bedrohung zu dramatisieren.

Aber mal angenommen, die Lage ist tatsächlich ernst, und immer weniger Anzeigen schaffen es, durch die Maschen der Werbefilter zu schlüpfen. Droht dem Netz deshalb ein Massensterben? Verschwinden reihenweise Blogs, weil sie sich nicht mehr finanzieren können? Stehen traditionelle Verlage wie die New York Times, die Süddeutsche Zeitung oder der britische Guardian vor dem Aus?

Ist es wirklich schade um Seiten, die hauptsächlich Copy & Paste betreiben?

Ich glaube eher, dass Adblocker sich im Rückblick als Segen für das Web erweisen werden. Mag sein, dass manche Seiten, die im Augenblick ganz gut von Werbung leben, künftig Probleme bekommen — aber viele dieser Websites sind ohnehin das Online-Äquivalent von Blutegeln: Sie bedienen sich bei den Inhalten von anderen und stoßen sie wieder aus. Plappern einfach nur nach; beschreiben, was man sich im Netz so alles erzählt, um Content zu produzieren, der als Werbefläche dienen kann. Ist die Online-Welt wirklich ärmer, wenn ein Großteil solcher Copy-und-Paste-Spezialisten sich morgen nicht mehr finanzieren kann und verschwindet?

Wer überleben will, wird gezwungen sein, kreativer zu sein als bisher. In neuen Bahnen zu denken, wie es ein neues Medium ohnehin verlangt. Viel zu lange haben sich traditionelle Verlage, aber auch Blogger-Netzwerke, auf herkömmliche Werbemodelle verlassen — obwohl absehbar war, dass das nicht mehr lange gut gehen würde. Unternehmen müssen keine Anzeigen mehr schalten, um Kunden zu gewinnen. Sie können sich selbst im Netz präsentieren: auf ihrer eigenen Website, per App, bei Facebook und YouTube, auf etlichen Wegen, die keinerlei Werbegelder in die Kassen von Verlagen und Bloggern spülen. (Facebook kann als Quasimonopolist in seinem privaten Reich von 1,2-Milliarden Nutzern noch am effizientesten die Spielregeln diktieren.)

Statt zu nerven, sollten Anzeigen unterhalten, informieren, fesseln.

Zunehmend suchen sich Firmen lieber Prominente aus dem Social Web, um ihre Botschaften zu verbreiten — YouTube- und Instagram-Stars wie LeFloid und Ryan Parilla, die ihrer Marke einen persönlichen Touch geben und sie mit der digitalen Umarmung zu Kumpeln der Netzgeneration machen. Influencer Marketing nennt sich das. Wenn Verlage mithalten wollen, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich neue Einkommensquellen zu erschließen. Viele haben auch längst damit begonnen, sich als Produzenten von Native Advertising neu zu positionieren — Unternehmens-Botschaften, die sich als Artikel tarnen und mit eingestreut werden in den Nachrichtenstrom. Zurück in die Zukunft: So haben in den 1930er Jahren die Soap-Operas begonnen, als Radio-Unterhaltung, bei der Seifenhersteller als Sponsoren auftraten und auch in der Handlung strahlend wegkamen.

Für die hochbezahlten Kreativen aus den Werbeagenturen wiederum muss es darum gehen, jede Anzeige so gut zu machen, dass wir sie sehen wollen, statt sie am liebsten zu überspringen. Die Cannes-Rolle zeigt, dass es geht: Viele Jahre liefen die besten Werbeclips der Welt — prämiert beim Werbefilm-Festival in Cannes — anschließend als Zusammenschnitt mit Spielfilmlänge im Kino. Menschen zahlten, um sich diese Werbebotschaften anzuschauen. Heute macht die Cannes-Rolle vorwiegend in Marketingkreisen die Runde. Also: Statt zu nerven, sollten Anzeigen unterhalten, informieren, interaktiv ihr Publikum fesseln. In Ansätzen gibt es das ja auch längst – nur dominiert eben noch immer der alt hergebrachte Reklamerummel.

Und schließlich, wer weiß, gibt es vielleicht doch Hoffnung, dass Leser wieder anfangen, für Inhalte zu zahlen, wenn ihnen wirklich etwas daran liegt. Ich bin ein ausgesprochener Gegner von Paywalls, weil ich glaube, dass es wenig Sinn hat, für etwas Geld zu verlangen, das es grundsätzlich immer kostenlos im Netz geben wird — Information lässt sich nicht einsperren. Aber wenn Menschen die Erfahrung machen, dass Blogs oder andere Dienste, die ihnen wichtig sind, ohne Werbung nicht überleben können, entwickelt sich womöglich wieder die Bereitschaft, dafür zu zahlen. Und sei es, indem Fans — zusätzlich zu einer gelegentlichen Spende oder einem Abonnement — in solchen Fällen den Adblocker einfach mal gezielt ausschalten. 

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