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Im Kampf gegen den Hass braucht Twitter eine neue Perspektive

von Domenika Ahlrichs
Auf ganz andere Weise als bisher wolle Twitter Hassrede und Beleidigungen angehen, kündigte sein CEO Jack Dorsey an: Drei Änderungen sollen Nutzer vor Pöbelei im sozialen Netzwerk schützen. Sie reichen nicht aus, kommentiert WIRED-Vizechefredakteurin Domenika Ahlrichs.

Twitter hat es schwer, neue Nutzer zu gewinnen und die alten zu halten. Einer der Gründe, die Menschen nennen, wenn sie Twitter verlassen: Hassreden, Beleidigungen, Verballattacken aller unschöner Couleur. Sogar die Übernahme durch Disney sei am hohen Pöbelanteil der Tweets gescheitert, berichtete Bloomberg. Das Schmuddel-Gefühl, das Twitter befallen hat, passte wohl einfach nicht zum Familien-Image Marke Mickey Mouse.

Nun ist diese Entwicklung schon einige Monate her, offenbar brauchte es diese Zeit aber, bis das Unternehmen begriffen hat, wo seine Probleme liegen. Jetzt verkündet es, „Twitter soll zu einem sicheren Ort werden“ und spricht von drei wichtigen Neuerungen im Netzwerk. Eben diese Neuerungen folgen leider eher dem Motto „Kann ich die Gefahr nicht sehen, ist sie nicht da“ und das ist noch immer zu wenig.

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Und so ist der Plan von Twitter: Trolle sollen in Zukunft technisch daran gehindert werden, immer neue Accounts anzulegen, nachdem sie einmal gelöscht worden sind. Wer einen User blockt, soll diesen außerdem in seinen Suchergebnissen auch nicht mehr sehen. Und schließlich sollen Tweets mit „sensiblen Inhalten“ aus der Timeline verschwinden. Dieses Vorhaben habe „oberste Priorität“, schreibt das Unternehmen.

Das ist erstaunlich unkonkret für ein Hauptanliegen, denn das genaue „Wie“  dieses zentralen Aspekts bleibt Twitter nach wie vor schuldig. Da hilft es auch nicht, dass CEO Jack Dorsey verspricht, jeden Schritt im Dialog zu gestalten. Twitter redet eher über das Problem, als zu beschreiben, wie es eine Lösung finden will.

Denn, ähnlich wie auch bei Facebook und YouTube, ist nichts geklärt: Wie entscheiden die Kontrolleure von fragwürdigen Posts eigentlich, was „sensibel“ ist und was nicht? Wer legt die Schlagworte fest, nach denen intelligente Maschinen die Inhalte in Zukunft filtern? Was macht es mit Usern, wenn sie nur eine geschönte Version von Twitter gezeigt bekommen, obwohl es in der Magengegend des Netzwerks immer noch vor Hass brodelt? Allein die Frage, ob @RealDonaldTrump in diesem System oben bei den Netten oder unten im Verdauungstrakt mittwittern darf, erscheint schlicht unbeantwortbar.

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Die Maßnahmen wirken bei näherem Hinsehen außerdem auch halbherzig. Ja, Twitter erschwert Bots und Spammern das Leben, indem es ihre Inhalte in der Öffentlichkeit auf „Ignore“ stellt. Aber es beseitigt den Müll nicht. Die Tweets, die wegen ihrer Inhalte – gefiltert nach bestimmten Schlagworten – gesperrt werden sollen, sind weiterhin im Netzwerk vorhanden: Wer sucht, findet sie, retweetet sie, bringt sie wieder in Umlauf. Wer es drauf anlegt, einen neuen Account anzulegen, findet schnell Wege, die Sperr-Technologie zu umgehen, und dann bringt auch die Ignore-Funktion nichts mehr.

Sowieso deutete sich schon im Sommer an, dass das Filtern von Content nicht so recht Twitters Sache ist. Das Unternehmen verhalf damals Usern dazu, nicht mehr von den Mentions unbekannter Twitternutzer belästigt zu werden. Der Haken: Die Funktion wirkt total und blended auch sinnvolle und lobende Erwähnungen aus. Klar, dass diese Option nur wenige Freunde fand.

Was könnte also eine echte Lösung sein?
Gerade geht Twitter den Weg der Evolution, also der schrittweisen Anpassung an die neue Herausforderung. Leider mutiert er zusehends zu einem Immer-wieder-Hinterherhecheln. Wirkungsvoller wäre daher wohl eine Revolution: Alle weltweit gut 300 Millionen monatlich aktiven User raussetzen und den Zugang nur unter bestimmten Bedingungen wieder erlauben. Das wiederum wäre aber mit großer Sicherheit auch der Todesstoß für das Netzwerk. Auch ein „Power to The People“ ist wohl keine Lösung. Eine interessante User-Initiative, die vergangenen Herbst dazu aufrief, am Konzept für ein Twitter mitzuarbeiten, das allen gehört, scheiterte letztlich an zu vielen unterschiedlichen Meinungen darüber, was Twitter denn nun sei oder sein solle.

Vielleicht müssen wir freier denken: Kommentarforen einiger Onlinezeitungen behelfen sich angesichts zu vieler Troll-Beiträge eines einfachen Prinzips: Nur, wer drei, vier Mal konstruktiv kommentiert hat, wird als User freigeschaltet. Vielleicht könnte es einen Zwischenraum geben für Twitter, weder Magengegend, noch fertiger Bereich. Vielleicht könnte die Community zusammen Regeln für diesen Raum festlegen, und wer sich darin bewiesen hat, der kommt rein. Klar, das schützt nicht gänzlich, hält aber Gelegenheitspöbler fern. Einen Vorwurf der Zensur müssten sich Dorsey und Co. dann auch nicht mehr anhören – auch keine Moralpredigt von Disney.

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