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Was ersetzt die Arbeit, wenn Maschinen unsere Jobs übernehmen?

von Karsten Lemm
Ist es wirklich so schlimm, wenn Maschinen uns immer mehr Aufgaben abnehmen? Jobs mögen verschwinden, doch wir könnten endlich Besseres mit unserem Leben anfangen. Es muss nur gelingen, die Gewinne der Automatisierung gerechter zu verteilen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im Juni 2017 und ist Teil des Specials zur Zukunft der Arbeit. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Sally und Flippy haben gute Aussich­ten, zum Traumpaar der Fast-­Food-Industrie zu werden. Sally kann 1000 verschiedene Salate frisch zubereiten, sekundenschnell auf Knopfdruck, ganz wie es Kunden wünschen; Flip­py brät Hamburgerfleisch, bis es perfekt braun ist – ohne je müde zu werden oder einen Stunden­lohn zu verlangen.

Sally und Flippy sind Vertreter einer neuen Generation von Robotern, die auf ihre Umwelt reagieren und mitdenken können. Nicht so weit, dass sie Allround-Talente wären. Aber die Fähigkeiten, die Entwickler ihnen mitgeben, genügen jetzt, um in einer Menschenwelt zu bestehen, die voller Ungewissheit ist.

Mussten Arbeitsschritte bisher klar umrissen sein, wie beim Schweißen in der Fabrik, erlau­ben es Fortschritte in Künstlicher Intelligenz, Vernetzung und Sensorik den Maschinen neuerdings, auch in Grauzonen zu operieren. Lernfähige Algorithmen meistern immer neue Aufgaben, indem sie beobachten, auswerten und optimieren. Bis am Ende der vom Menschen geschaffene Apparat den Menschen selbst übertrifft (siehe Special Künstliche Intelligenz in WIRED 3/2016).

Während Maschinen früher vor allem Muskelkraft ersetzten, zeigen sie nun genug Grips und Geschick, um sich universell nützlich zu machen. „Es trifft nicht nur Lagerarbeiter“, sagt Ole Wintermann, Wirtschaftsforscher bei der Bertelsmann-Stiftung, „gerade Wissensarbeit kann durch Maschinen sehr viel schneller und systematischer erfolgen als durch Menschen.“

Ob ein Job Zukunft hat, entscheidet sich deshalb weniger am Bildungsgrad als an der Frage: Kann ihn im Prinzip auch ein KI-System oder Roboter übernehmen – und wie teuer wäre es, die Menschenarbeit auf eine Maschine zu übertragen? Zwar sind nach einer McKinsey-­Analyse nur wenige Berufe vom Aussterben bedroht; fast überall jedoch ließen sich einzelne Tätigkeiten automatisieren. „Es sind nicht ganze Jobs, die ersetzt werden“, erklärt McKinsey-Partner Matthias Daub,  „sondern es geht um bestimmte Aktivitäten – Anteile von Jobs.“ 

Selbst wenn Algorithmen und Roboter dabei vorwiegend zu Assistenten werden, die Informationen oder Bauteile vorsortieren: Im Ergebnis zeichnet sich ein massiver Rückgang an Arbeitsplätzen ab. Würde das Automatisierungs-­Potenzial voll ausgeschöpft, könnte die deutsche Wirtschaft um das Jahr 2055 herum auf knapp die Hälfte aller Beschäftigten verzichten, sagt McKinsey voraus. Das wären mehr als 20 Millionen Menschen.

Andere Studien kommen zu ähnlich dramatischen Ergebnissen – zum Ärger von Volkswirten, die solche Vorhersagen für ähnlich verlässlich halten wie den Blick in die Kristallkugel. „Ich möchte nicht wissen, was herausgekommen wäre, wenn man in der industriellen Revolution berechnet hätte, welcher Prozentsatz an Tätigkeiten durch die Dampfmaschine wegfallen wird“, sagt Enzo Weber, Digital­experte am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Auch Weber und seine Kollegen erwarten „große Veränderungen“ in der Berufswelt. Sie empfehlen, lebenslanges Lernen zu fördern, um Menschen auf immer neue Anforderungen vorzubereiten. Aber Massenarbeits­losigkeit können die IAB-­Forscher in ihren Modellrechnungen nicht entdecken: „Insgesamt“, sagt Weber, „wird sich am Beschäftigtenstand durch die Digitalisierung wenig ändern.“ 

Schließlich schaffe jede technische Revolution neue Aufgaben und Berufe, die nahezu unmöglich vorherzusehen sind: Wer hätte vor 30 Jahren geahnt, dass Menschen ihr Geld einmal als Designer von Handy-Apps oder Virtual-­Reality-Welten verdienen würden? „Es ist nicht die Natur des technischen Fortschritts, Arbeit überwiegend zu vernichten“, sagt Weber. „Sonst dürfte es längst keine Arbeit mehr geben.“

Es ist nicht die Natur des technischen Fortschritts, Arbeit  zu vernichten. Sonst dürfte es längst keine mehr geben

Enzo Weber

Viele sind skeptischer: Diesmal ist alles anders, argumentieren sie. Dieser Wandel erfasst mehr Bereiche der Wirtschaft als je zuvor, und er lässt Menschen weniger Zeit, sich anzupassen. „Wir steuern unaufhaltsam auf eine Gesellschaft zu, die im 21. Jahrhundert nahezu ohne Arbeitskräfte auskommen wird“, unkte der amerikanische Autor und Technologieforscher Jeremy Rifkin bereits 1995 in seinem Buch Das Ende der Arbeit

Dass es bislang noch genug zu tun gibt, führt Rifkin vor allem auf Timing zurück: Ehe sich die Kräfte der Digitalisierung voll entfalten können, müsse zunächst die passende Infrastruktur geschaffen werden. Industrie 4.0 und das Internet der Dinge; Roboter, die Daten austauschen; Elektroautos, die von allein den Weg zur nächsten Aufladestation finden – all das verlangt Glasfasernetze und 5G-Mobilfunk, Steuerungstechnik, modernste Anlagen in Gebäuden und Fabriken. „Wer installiert diese Dinge?“, fragt Rifkin. „Das machen keine Roboter, das übernimmt keine KI. Wir werden Millionen von Menschen damit beschäftigen.“

Eines Tages aber, da gibt es für Rifkin weiterhin keinen Zweifel, wird diese vernetzte, vor digitaler Intelligenz strotzende Wirtschaft ihre Waren und Dienstleistungen nahezu von allein produzieren. Was dann? Spaltet sich die Gesellschaft in Abermillionen Arbeitslose und einige wenige  Superreiche – Unternehmer, die Produktivitätsgewinne abschöpfen und eine Handvoll Superworker, die als Beste ihres Fachs weiterhin Topgehälter kassieren?
Nicht unbedingt. „Wir könnten auf ein goldenes Zeitalter zusteuern – sofern wir das wollen“, sagt der deutsche Risiko­investor Albert Wenger, Partner bei Union Square Ventures in New York.

Statt zu arbeiten, weil es nicht anders geht, argumentiert er, könnten wir uns freiwillig dafür entscheiden, etwas Sinnvolles mit der Zeit anzustellen, die uns plötzlich im Übermaß zur Verfügung steht. „Unsere Fähigkeit, grundlegende Bedürfnisse zu erfüllen, wächst extrem schnell“, sagt Wenger. Wenn es dank Robotern und 3D-Druckern immer billiger wird, Häuser zu bauen, wenn Agrartechnik die Kosten für Nahrung gegen null fallen lässt, dann brauchen Menschen automatisch weniger Geld zum Leben. Wichtig wäre vor allem der Wille, den Wohlstand, der sich durch Produktivitätsgewinne ergibt, gerecht zu verteilen. 

Deshalb gehört Wenger zu den eifrigsten Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens: Würde der Staat jedem Bürger genügend Geld zahlen, um die nötigsten Ausgaben zu decken, könnten Menschen Dinge tun, die ihnen wichtig sind, und helfen, die Gesellschaft voranzubringen – die Umwelt schützen zum Beispiel oder nach Asteroiden suchen, die sich auf Kollisionskurs mit der Erde befinden. „Ich sage nicht, wir sollten Märkte außer Kraft setzen“, betont Wenger. „Märkte haben uns sehr geholfen. Nur: Unsere wichtigsten Probleme heute sind wahrscheinlich genau diejenigen, die Märk­te nicht lösen können.“ 

Wenger liegt mit solchen Forderungen im Trend. Es ist ausgerechnet das Silicon Valley, das lautstark mehr Umverteilung fordert – vielleicht, weil die Herren der Technik erkennen, wie sehr ihre Geschöpfe den sozialen Frieden gefährden. So verlangt Bill Gates bereits, Roboter zu besteuern, während sich die Startup-Fabrik Y Combinator für ein Experiment entschied: Seit Januar zahlt sie 100 Familien in Oakland monatlich 1500 Dollar, einfach so. In Finnland, Kanada und den Niederlanden laufen ähnliche, staatlich finanzierte Versuche, Menschen ein Auskommen zu garantieren.

Sollen sie Erfolg haben, muss sich wohl zunächst die Kultur wandeln. „Das Grundeinkommen kann nur in einem ganz anderen Gesellschafts­modell funktionieren“, glaubt Stefan Heumann, Mitgeschäftsführer der Stiftung Neue Verantwortung, einem Think-Tank für Digitalfragen. „Im Moment ist die Erwartung: Man geht Arbeiten und wird dafür bezahlt – und wer nicht arbeiten kann, wird von der Gesellschaft aufgefangen.“ Auch das Selbstwertgefühl hänge oft von der Beschäftigung ab. „Viele Menschen definieren sich darüber, dass sie gerade nicht Staatshilfen beziehen“, sagt Heumann.

Für Albert Wenger führt die Brücke zwischen Utopie und Wirklichkeit vor allem über den Willen zur Veränderung: „Es geht um Werte, und wir müssen auf Basis dieser Werte entscheiden, in welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen.“ Automatisch werde das nicht passieren. „Technologie“, sagt Wenger, „erweitert nur den Raum des Möglichen.“ Ihn so zu gestalten, dass er lebenswert bleibt, mag die wichtigste Aufgabe sein, die vor der Menschheit liegt. Schön, dass Sally und Flippy bereitstehen, zumindest beim Kochen zu helfen.  

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