WIRED: Du hast eine App für Betroffene von Essstörungen entwickelt. Bist oder warst du von einer Essstörung betroffen?
Ekaterina Karabasheva: Ja, ich war selbst magersüchtig. Während der Therapie musste ich viele Papierprotokolle ausfüllen, die ich jede Woche mit meiner Therapeutin besprochen habe. Darin ging es vor allem darum, was ich wann gegessen habe und welche Gefühle das bei mir ausgelöst hat. Diese Papiere musste ich immer dabeihaben und unterwegs ausfüllen. Das war sehr unpraktisch und auch peinlich. Deswegen habe ich das oft nicht gemacht.
Wir merken, dass die Bereitschaft für das Nutzen einer App von Therapeutenseite geringer ist als bei den Betroffenen.
WIRED: Wird das Ausfüllen der Protokolle mit dem Handy einfacher, weil man ständig darauf herumtippt?
Karabasheva: Genau. Zum Einen habe ich während meiner Therapie angefangen, die Notizen eher im Handy zu machen, weil ich das immer dabei hatte. Das erleichtert das zeitnahe Protokollieren. Einen Tag später weiß man ja nicht mehr so genau, wie man sich wirklich gefühlt hat. Außerdem können die Daten so besser aggregiert werden und der Therapeut bekommt direkt eine Übersicht.
WIRED: Du hast also aus deinem eigenen Bedürfnis eine App gemacht?
Karabasheva: Ja, ich wollte meine Therapie und meinen Umgang damit verbessern. Ich habe Kommunikation studiert und meine Masterarbeit über die App geschrieben. Danach war ich viel auf Events unterwegs, habe über meine Idee gesprochen und viel positives Feedback bekommen. So bin ich auch zu dem Team, unseren Partnern und einer Förderung gekommen.
WIRED: Arbeitet ihr auch mit Medizinern zusammen?
Karabasheva: Das muss man bei diesem Thema unbedingt. Wir werden seit 2013 von der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters der Berliner Charité unterstützt. Die waren von Anfang an von dem Konzept überzeugt und haben uns inhaltlich unterstützt. Es melden sich außerdem immer wieder Therapeuten, die Feedback geben und sich einbringen wollen.
WIRED: Und Therapeuten nutzen die App?
Karabasheva: Das ist bisher sehr unterschiedlich. Wir haben auf medizinischen Kongressen Therapeuten kennengelernt, mit denen wir die App testen. Aber wir merken schon, dass die Bereitschaft für das Nutzen einer App von Therapeutenseite geringer ist als bei den Betroffenen. An einer Verbesserung der Schnittstelle zwischen Therapeut und Patient arbeiten wir aber auch noch, momentan können die Protokolle erst einmal nur per E-Mail verschickt oder ausgedruckt werden.
Viele Betroffene wünschen sich in der App noch Bilder, Videos und Musik.
WIRED: Wie ist das Feedback der Betroffenen?
Karabasheva: Wir haben bisher sehr gute Reaktionen erhalten. Die Betroffenen äußern viele Wünsche, die noch mehr in die motivierende Richtung gehen und mit Bildern, Videos und Musik zusammenhängen. Sie legen außerdem einen hohen Wert auf Ästhetik. Vermutlich weil sie die App jeden Tag für etwas nutzen und mit der Krankheit konfrontiert werden.
WIRED: Spielt die Vernetzung der Betroffenen auch eine Rolle?
Karabasheva: Momentan schließen wir diese Community-Funktion bewusst aus. Austausch ist natürlich wichtig, aber bisher äußern unsere Nutzer kaum das Bedürfnis danach. Vermutlich weil der bisherige Austausch in schon bestehenden Communities stattfinden. Ich hoffe aber trotzdem, dass es ein Nebeneffekt der App sein wird, Leute dazu zu bewegen, über Essstörungen zu sprechen.
WIRED: Kann das mit einer App funktionieren?
Karabasheva: Ja. Zum einen rede ich viel öffentlich über das Thema und sage: Ich weiß, wie es ist, mit einer Essstörung zu kämpfen und will Menschen unterstützen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Und zum anderen arbeiten wir an technischen Möglichkeiten für Austausch, zum Beispiel in Form eines Panic-Buttons, den man in einer akuten Situation betätigen kann und der einen dann mit bestimmten Personen in Kontakt bringt.
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