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„Arbeit definiert unsere Identität“: Ein Soziologe über die Angst vorm Roboterbüro

von Lars Gaede
„Man sollte nicht bei jedem technischen Wandel Angst haben, dass nun das Ende der Arbeitswelt auf uns zukommt“, sagte der Soziologe Berthold Vogel. Im Interview spricht er über die Sorge vieler, das Roboterbüro werde mehr zerstören als ermöglichen.

Dieses Interview erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im Mai 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

WIRED: Herr Vogel, die Maschinen sind in der Lage, immer neue Aufgaben zu erledigen — ist das das Ende der Arbeit ?
Berthold Vogel: Digitale Technologien haben ein extremes Rationalisierungspotenzial, und viele vor allem ausführende Tätigkeiten — im kaufmännischen Bereich, der Verwaltung, den nicht-personennahen Dienstleistungen — werden bald automatisch laufen. Aber Ende der Arbeit? Da bin ich skeptisch.

WIRED: Warum?
Vogel: Als ich anfing zu arbeiten, wurde hier noch mit Schreibmaschine gearbeitet. Da wurden zig Schriftstücke rumgereicht oder diktierte Bänder, die umgeschrieben werden sollten. Das waren Tätigkeiten, die gibt es heute nicht mehr. Die Sekretärin von damals ist damit theoretisch arbeitslos geworden.

WIRED: Und praktisch?
Vogel: Sind neue Aufgabenprofile entstanden. Die ehemaligen Sekretärinnen übernehmen heute zum Beispiel komplette Buchgestaltungen. Dank der neuen Technologien arbeiten sie viel selbstbestimmter, führen nicht nur aus, sondern gestalten. Man sollte nicht bei jedem technischen Wandel Angst haben, dass nun das Ende der Arbeitswelt auf uns zukommt.   

WIRED: Das Thema Arbeit ist oft mit Ängsten verbunden.
Vogel: Richtig. Weil Arbeit ja nicht nur Geld bedeutet. Arbeit definiert unsere Identität, verschafft uns Anerkennung und das Gefühl, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Man merkt das, wenn man mit Arbeitslosen spricht: dass die den Eindruck haben, gar keinen Zugang mehr zur Öffentlichkeit und zum gesellschaftlichen Leben zu haben. Um Arbeit dreht sich in unserer Gesellschaft alles.

In bäuerlichen Gesellschaften arbeitet man, um zu essen.

WIRED: War das schon immer so?
Vogel: Nein, es ist sogar ein eher junges Phänomen. In bäuerlichen Gesellschaften, die in stammeswirtschaftlichen Strukturen Subsistenz­wirtschaft betreiben, spielt Arbeit eher nur die Rolle der Existenzsicherung. Man arbeitet, um zu essen. Erst seit der Industrialisierung, seit wir zum Arbeiten Heim und Hof verlassen und in die Fabrik oder ins Büro gehen, hat sich das so aufgeladen.

WIRED: Wäre es nicht wünschenswert, sich wieder von dieser Fixierung zu lösen?
Vogel: Ich glaube, unser Wohlstand wird es uns einmal erlauben, darüber nachzudenken, ob unser Erwerbsarbeitsmodell eigentlich zukunftsfähig ist. Aber dafür müssen wir uns abgewöhnen, bei jedem Wandel zu denken: „Das kann ja nur schlecht enden.“ 

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