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So beschleunigten Münchner Studenten Elon Musks Traum vom Hyperloop

von Max Biederbeck
Münchner Studenten jagen ihre Rennkapsel mit einer Spitzengeschwindigkeit von 324 Kilometern pro Stunde durch eine Röhre: Sie gewinnen nicht nur die zweite Hyperloop Pod Competition in L.A., sondern stellen dabei noch einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf. WIRED war im September mit dabei. 

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im September 2017. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Für Visionäre hat Manfred Schwarz gerade nur einen kurzen Schulterblick übrig. Der 27-jährige Student quetscht sich mit 30 Kommilitonen in einen Pavillon, die Luft brennt an diesem Tag in L.A. Tausend Zuschauer richten von einer Tribüne auf der anderen Seite der Jack Northrop Avenue im Stadtteil Hawthorne ihre Blicke auf die Studierenden der TU München, sie bilden das Team WARR Hyperloop. Und um das schleicht nun der Tesla-Gründer Elon Musk neugierig herum. Schwarz kennt die Spannung, wenn ein Rennen in seine letzte Phase eintritt: Früher ackerte er als Motorentechniker im Formula Student Team der Uni Stuttgart. Nun ist er einer von drei Teamleitern bei WARR.

Unweit des Pavillons beginnt eine 1,25 Kilometer lange Röhre, die am Gelände von Musks Raketenfirma SpaceX vorbeiläuft. Darin wartet hinter einer Luke der Rennbolide der Münchner Studierenden auf einer Schiene. Er ist bereit, durch die Vakuumröhre zu jagen, er soll die zweite Hyperloop Pod Competition gewinnen und einen neuen Geschwindigkeitsrekord für diese Technologie aufstellen. Die Frage lautet allerdings gerade, ob die Münchner wirklich den Rekord anstreben sollten, denn das Tempo könnte zum Totalausfall ihres Pods führen. Oder ob sie darauf setzen sollen, einen sicheren Sieg einzufahren, indem sie mit der Geschwindigkeit heruntergehen. Denn das Team hatte im Vorfeld mit technischen Problemen zu kämpfen.

WARR steht für „Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt“, mitmachen können ausschließlich Studierende der Technischen Universität München. Die 2015 gegründete Gemeinschaft baut und testet Prototypen für Raketen, Satelliten und Weltraum-Aufzüge, im selben Jahr stieg sie in ihr wohl prestigeträchtigstes Projekt ein – in die Hyperloop Pod Competition von Elon Musk.

Dahinter verbirgt sich ein Forschungswettkampf um den Hyperloop, den Musk 2013 in einem Konzeptpapier erdacht hat: Züge sollen mittels Magnetschwebe-Technologie durch eine Vakuumröhre rasen. Weil es keinen Luftwiderstand gibt, so der Gedanke Musks, müsste eine Hyperloop-Kapsel annähernd auf Schallgeschwindigkeit gebracht werden können. Passagiere bräuchten für die Strecke von München nach Berlin nur eine halbe Stunde, ebenso für den Weg von San Francisco nach Los Angeles. Der Hyperloop könnte eine Revolution in der Fortbewegung auslösen – und wer ihn zuerst baut, wird mutmaßlich reich, auf jeden Fall aber berühmt werden. Unmittelbar nach Musks Idee brach dementsprechend ein globales Wettrennen unter Forschern und Unternehmen um die Verwirklichung des Hightech-Zugs aus.

Da wetteifern die Konkurrenten Hyperloop One und Hyperloop Transportation Technologies Inc. aus Los Angeles. Auch Musk selbst forscht an einem System, mit Tesla und SpaceX. Und gerade hat Chinas staatlicher Raumfahrtkonzern CASIC ein Konzept vorgestellt, das angeblich bald auf bis zu 4000 Kilometer in der Stunde beschleunigen können soll.

Bedenken bleiben: Wo soll die Energie herkommen, in den potenziell endlos langen Röhren ein möglichst perfektes Vakuum zu erzeugen? Wie steht es um die Sicherheitsrisiken durch Erdbeben oder Anschläge auf die Strecke? Kann sich das System gegen bereits bestehende Infrastrukturen durchsetzen? Und vor allem: Wie soll das technische Design eines Hyperloops überhaupt aussehen?

Man muss Elon Musk lassen, dass er einen gerissenen Weg gefunden hat, zumindest der letzten Frage kostengünstig auf den Grund zu gehen: Er lässt sie Studenten aus der ganzen Welt beantworten, indem er sie mit ihren Gefährten gegeneinander antreten lässt, Ende August bereits zum zweiten Mal. Im Januar, bei der ersten Austragung, siegte das WARR-Team bereits, aber damals hatte es andere Mitglieder. Im Gepäck hatten die Vorgänger der jetzigen Crew einen 600 Kilogramm schweren Pod, bestehend aus 19.000 Einzelteilen. Er gewann einen von zwei Hauptpreisen und war mit 94 km/h Spitze der schnellste.

Zwei Tage vorm Finale des zweiten Wettbewerbs stehen Manfred Schwarz und seine Co-Teamleiterin Anna Branz auf der Jack Northrop Avenue vor der Luke und starren in das schwarze Loch vor ihnen. Noch ist die Zuschauertribüne nicht aufgebaut, und die Leinwand vor dem SpaceX-Flughangar, auf der die Zuschauer buchstäblich in die Röhre gucken können werden, ist auch noch nicht aufgestellt. Wo man hinschaut, schleppen Studenten ihre halbfertigen Renngeräte über das Gelände, verschrauben Platinen, stecken Kabel um.

Das WARR-Team hatte seinen Pod gerade erst in die Röhre geschoben, ein letzter Test stand an vor dem großen Showdown. Knapp 100 davon müssen die Boliden überstehen, um überhaupt zum Finale antreten zu dürfen. SpaceX prüft die Steuersoftware, checkt die Bremsen, testet die Hydraulik der Pods auf dem Gleis. Viel kann passieren: Die Gefährte könnten gegen das Ende der Strecke knallen, Feuer fangen oder entgleisen. Bisher hatte WARR jeden Test bestanden. Als ihr Pod aber zum ersten Mal durch die Röhre in Hawthorne sausen sollte, noch ohne Vakuum, schaltete sich dessen rund 68 PS starker Elektromotor plötzlich ab.

Der 28-jährigen Branz muss es vorkommen wie ein schlechter Witz. Schon seit über einer Woche schraubt sie gemeinsam mit einer Vorhut aus Elektrikern und Software-Experten am Pod herum, ein ortsansässiger Unterstützer hat ihrem Team in seiner Garage Unterschlupf geboten. Der Motor hatte bereits zu Beginn des USA-Aufenthalts Probleme gemacht, aber eigentlich war der Fehler behoben. Jetzt muss Branz zusehen, wie ihre Elektroniker Martin und Joachim gebückt im Dunkeln der Röhre verschwinden. Wenige Minuten später tauchen sie wieder auf und ziehen den lahmenden Pod zum Eingang.

Das ist der Wahnsinn für ein Studentenprojekt!

Elon Musk

Sie schrauben die schwarze Carbon-Abdeckung mit den Sponsoren-Logos ab, darunter quellen die technischen Eingeweide des Pods hervor. Hastig entfernen sie die Batterieabdeckung. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, um sechs Uhr werfen sie uns von der Strecke“, raunt Schwarz in ihre Richtung. „Es muss sich etwas an den Kabeln aufgescheuert haben“, sagt Branz.

Der neue WARR-Pod wiegt nur noch 80 Kilo, er besteht aber aus Tausenden Teilen, viele von ihnen könnten für den Abbruch verantwortlich sein. Hektisch schrauben und wackeln die Jungs an den Kabeln, studieren Messwerte auf einem Computerbildschirm. Das wird noch bis in den Abend so weitergehen, bis SpaceX das Team aus der Röhre befiehlt. Der Test ist gescheitert.

Der Druck, der auf dem WARR-Team lastet, ist enorm. „Es gibt viele sehr große Sponsoren, die Leistung sehen wollen“, sagt Schwarz. Wer nachforscht, wie hoch die Investitionen von Unternehmen wie Airbus, Siemens oder MAN sind, kommt auf einen Betrag von 200.000 bis 250.000 Euro. Eine Wahnsinnssumme für ein Projekt von Studenten im Hightech-Bereich – und ein Hinweis auf das enorme Interesse, das auch die etablierte Industrie für die Hyperloop-Technologie aufbringt.

„Wir sind hier, um zu gewinnen, nicht um Rekorde zu brechen“, ruft Anna Branz über den Zuschauerlärm hinweg. Es ist kurz vor dem Rennen, sie beugt sich gerade über das Innenleben des Pods. Ein Teammitglied nickt zustimmend: „Wir nehmen nichts mit heim, wenn es schiefläuft“, sagt er. Nicht alle sind dieser Meinung: „Dann gewinnen wir nur, weil wir konservativ fahren. Das kann es nicht sein!“, ruft einer. „Wir machen das hier für uns und nicht für eine Trophäe“, kommt es von links. Eine Entscheidung muss gefällt werden.

Am Vortag hat SpaceX die Deutschen noch einmal in die Röhre gelassen. Das Team fand den Fehler, ein Sensor schaltete den Motor wegen Überlastungsgefahr ab. Ein befreundetes Unternehmen lieferte noch in der Nacht das entscheidende Software-Update. Das Problem tritt jetzt nicht mehr auf – zumindest nicht bei reduzierter Leistung. Sicher kann der WARR-Pod im Vakuum nur bis auf 150 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Er wäre damit aber noch immer schneller als die Konkurrenz.

Insgesamt 27 Teams sind in Haw­thorne angetreten, ins Finale geschafft haben es neben den Münchnern das Züricher Team Swissloop und das US-kanadische Team Paradigm – doch beide konnten mit ihren Antriebssystemen die 100 km/h nicht knacken. Für den Sieg würde den Münchnern 150 km/h reichen. Für den Rekord bei Weitem nicht.

Dicht an dicht mit den anderen starrt Manfred Schwarz – breite Schultern, Lederhose, blaue Baseballkappe – nun im Pavillon auf einen Bildschirm in ihrer Mitte. Ganz vorne hocken die Elektroniker Martin Riedel und Joachim Sturm, sie beten ein letztes Mal die Checkliste herunter: Maximales Drehmoment, Check. System und Batteriebox, Check. Hintere Bremsen lösen, Check. Über die Lautsprecher schallt eine Frauenstimme: „Team WARR Hyperloop is going for the max-speed“, verkündet sie. „That means high risk for a high reward!“ Die Münchner haben sich entschlossen, volles Risiko zu gehen.

Schwarz hebt für einen Moment den Blick vom Bildschirm, dann startet Gabriele Semino, der dritte Teamleiter, den Countdown. Sechs Kameras, die in der Röhre verteilt sind, werden die Fahrt der Pods festhalten, fürs Publikum werden die Bilder auf die große Leinwand geworfen.

Als der Pod die erste Kamera passiert, stöhnen die Zuschauer auf. Immer schneller rast der Münchner Bolide durch die dunkle Röhre. So schnell, dass er die 300-Kilometer-pro-Stunde-Marke knackt und dann noch einmal 24 km/h drauflegt. Die Menge jubelt. Die Teammitglieder von WARR folgen, der Pavillon wackelt. Der Motor hat gehalten, der neue Weltrekord für einen Hyperloop-Pod liegt bei 324 Kilometern in der Stunde.

Elon Musks Stimme ertönt aus den Lautsprechern: „Das ist der Wahnsinn für ein Studentenprojekt!“ Währenddessen liegen sich die WARR-Elektriker in den Armen. „Wir haben den Rekord und die Trophäe“, brüllt Martin Riedel. Dann gibt es für alle auch ein Highfive von Elon Musk höchstpersönlich, bevor die Kamerateams einiger Fernsehsender auf sie einstürmen.


Manfred Schwarz wirkt zufrieden, entfernt sich aber schnell vom Trubel. Mit einer kleinen Gruppe Kommilitonen schlendert er langsam ans Ende der Röhre – sie müssen ihre Rennmaschine dort ja wieder herausziehen. Danach wird Schwarz bis spät in die Nacht Presseanfragen aus dem erwachenden Deutschland beantworten. Dann geht es endlich zur Party eines befreundeten US-Teams.

Elon Musk postet auf Instagram bald ein Video der Siegerfahrt, das die Bordkamera des WARR-Pods gedreht hat. Der Milliardär ist überzeugt, dass beim nächsten Wettbewerb 500 bis 600 km/h drin sind. Dass es auch jetzt schon schneller geht als 324 km/h, zeigt er fünf Tage später höchstpersönlich, bevor er die dritte Hyperloop Pod Competition für den Sommer 2018 ausruft.

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Musk lässt einen von Tesla- und SpaceX-Ingenieuren gebauten Pod in seine Röhre in Hawthorne schieben und ordentlich beschleunigen: 355 km/h, 31 mehr als der WARR-Pod. Neuer Weltrekord. Elon Musk liebt Konkurrenz. Vor allem, wenn er sie selbst bestimmt.

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