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Hört auf, über die Sex-Pflicht bei Tinder zu reden!

von WIRED Editorial
Eine neue Studie lässt die nervigste aller Fragen durch die Presse geistern: Warum bloß haben junge Leute trotz Tinder weniger Sex als früher? Eine klischeehafte Diskussion, die wir einfach nicht mehr hören können.

Endlich wieder eine Woche mit Generationenfrage. Eine mit einer neuen Studie, die sich mit gefühlten Wahrheiten beschäftigt. Sie handelt vom ominösen Sexleben junger Leute – und Online-Dating bringt ihre Autorin auch noch ins Spiel.

Die Psychologin Jean M. Twenge hat die sexuelle Aktivität von US-amerikanischen Millenials untersucht. Ihre Ergebnisse verursachen weltweit Verwunderung und Streit. Jeder interpretiert sie, wie er will. Die einen fühlen sich bestätigt, die anderen falsch verstanden.

Der Grund: „15 Prozent der heute 20 bis 24-Jährigen hatten seit ihrem 18. Lebensjahr keinen Sex mehr“, schreibt Twenge. Die Millenials, so die Psychologin, hätten damit weniger Sexpartner als ihre Elterngenerationen. Das amerikanische Center of Disease Control and Prevention scheint Twenges Erkenntnis zu bestätigen: Die Zahl der Jugendlichen, die während ihrer Highschool-Zeit schon Sex hatten, fällt. Und auf der Suche nach Antworten auf diese Entwicklung – so musste es wohl kommen – nahmen viele sofort Tinder ins Visier.

Aber der Reihe nach. „Stimmt nicht! Wir Millenials lieben Sex!“, rufen die einen jetzt. Und andere, fein säuberlich aufgeführt in der Washington Post, erklären: „Ist doch klar, uns sind Job und Karriere wichtiger als Bettgeschichten“. Eine leidige Diskussion – als könnte nicht einfach jeder selbst entscheiden, wie kinky er oder sie das eigene Leben haben will.

Wie jetzt, Online-Dating macht uns doch nicht zu beziehungsunfähigen Sex-Besessenen? Not Shit?!

Noch nerviger ist aber ein anderer Streit, der jetzt wieder hochkocht und in dem ein Klischee nach dem anderen bemüht wird. Die Grundaussage: „Wie jetzt, Online-Dating macht uns doch nicht zu beziehungsunfähigen Sex-Besessenen? Not Shit?!“ Es ist ärgerlich, dass einige immer noch nicht verstanden haben, dass Tinder und Co. so nun einmal einfach nicht funktionieren. Als stünde eine Sex-Pflicht in den Geschäftsbedingungen der App.

Zu diesen Menschen scheint auch die Studienautorin selbst zu gehören: „Online Dating Apps sollten Millenials theoretisch helfen, Sexualpartner zu finden“, schreibt Twenge. Aber sollen sie das wirklich?

Die Verwunderung über die Ergebnisse ihrer Studie zeigt zwei Dinge. Erstens, Menschen stellen gern Zusammenhänge her (in diesem Fall zwischen Online Dating und Sexverhalten), ohne dass diese empirisch nachweisbar sind. Und zweitens, Vorurteile über Online-Dating sind noch immer omnipräsent.

Tatsächlich gibt Tinder selbst an, dass laut seinen aktuellsten Studien 80 Prozent der User eine Beziehung suchen, und keine schnelle Nummer. „Die große Mehrheit der Nutzer trifft sich binnen einer Woche, nicht schon am selben Tag“, erklärt Jessica Carbino, die hauseigene Soziologin des Unternehmens, im Interview mit Fast Company. Und ja, manchmal dauert es, eine Beziehung zu finden – und dann dauert es eben auch bei vielen mit dem Sex (offenbar zumindest in den USA, wo die Studie stattfand)

In Berlin heißt es oft: Wir sind zwei Tage in der Stadt und suchen einen Guide

Außerdem hat Tinder einfach nicht zwangsweise etwas mit Sex zu tun. Die App gibt es in 196 Ländern. Gerade in asiatischen Staaten wird sie vor allem genutzt, um Freunde zu finden. Und auch hier in Berlin heißt es oft: „Wir sind zwei Tage in der Stadt und suchen einen Guide.“ (Spätestens seit die neue Funktion Tinder Social eingeführt wurde.) Ist es da wirklich so verwunderlich, wenn es nicht die ganze Zeit um Sex geht? „Tinder ist zu einer zentralen sozialen Institution geworden“, sagt Carbino. Die App habe eine Vielzahl von anderen Möglichkeiten, sich zu treffen, ergänzt oder gar ersetzt.

Was jedoch am allermeisten stört, ist der Unterton der Debatte. Die zu Ausdruck gebrachte Überraschung, die immer noch fest auf dem Glauben fußt, dass hier eine „Generation Beziehungsunfähig“ vor sich hin swipt und jegliche soziale Bande keine Rolle mehr spielen. „Wie, die haben trotz Tinder nicht alle dauernd Sex?“ Himmelherrgott, no shit!

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