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Hinter den Kulissen: Ghost Recon Wildlands und der bolivianische Drogenkrieg

von Benedikt Plass-Fleßenkämper
Der französische Spielehersteller Ubisoft setzt auf Authentizität im virtuellen Drogenkampf. WIRED zeigt, wie viel Aufwand die Entwickler dafür in Tom Clancy’s Ghost Recon Wildlands gesteckt haben. Und wie Spiel und Realität aufeinanderprallen können.

Im Dezember 2016 jährte sich der Kampf der mexikanischen Regierung gegen Drogenkartelle zum zehnten Mal. In dieser Zeit kamen in Mexiko mehr als 150.000 Menschen ums Leben und über 28.000 verschwanden spurlos. Für 2017 erwarten Experten eine weitere Eskalationsstufe – es könnte als das blutigste Jahr in der Geschichte der nordamerikanischen Bundesrepublik eingehen.

Genau in dieser Zeit veröffentlicht der französische Spielehersteller Ubisoft (Assassin’s Creed, Far Cry) mit Tom Clancy’s Ghost Recon Wildlands ein Open-World-Actiongame, das sich dem realen Drogenkrieg stark annähert, aber kann das klappen – oder hat Ubisoft den Bogen zwischen Militär-Shooter und realem Konflikt überspannt?

In der fiktiven Spielwelt baut der mexikanische Gangster-Boss El Sueño in Bolivien einen Narco-Staat auf. Die Regierung resigniert, also müssen die USA helfen. Vier Spezialisten des Sondereinsatzkommandos der Ghosts schleichen sich unbemerkt über die bolivianische Grenze. Ihr Auftrag lautet, das Santa-Blanca-Kartell zu zerschlagen.

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Die Story hinter Ghost Recon Wildlands stammt aus der Feder prominenter Autoren: Don Winslow verfasste Bestseller wie Das Kartell oder Tage der Toten, ihm zur Seite stand Drehbuchschreiber Shane Salerno. Gemeinsam produzierten die beiden schon das Skript zum Film Savages von Regisseur Oliver Stone, das auf Winslows Roman Zeit des Zorns basiert. Salerno schreibt aktuell gemeinsam mit James Cameron an gleich mehreren Nachfolgern zum 3D-Film-Pionier Avatar.

Und in der Tat erschuf das erfahrene Autorenduo ein glaubwürdiges Spieleuniversum, das weder mit Dramatik noch mit brutalen Seitenhieben geizt. Die ersten Opfer der Ghosts sind beispielsweise El Sueños Folterknechte. Ghost Recon Wildlands greift hier die streng hierarchischen Strukturen realer Drogenkartelle auf und lässt den Spieler tief hinter den feindlichen Linien agieren. Für eine möglichst authentische Umsetzung dieser Militärthematik holte sich Entwickler Ubisoft Paris fachkundige Unterstützung an Bord.

„Ubisoft ist ein weltweit agierendes Unternehmen, deshalb verfügen wir beispielsweise in den USA über Kontakte zum Militär. Für Wildlands ging es unter anderem darum, welche Aufgaben ein Team wie die Ghosts bei so einem Einsatz bewältigen muss“, sagt Senior Producer Nouredine Abboud, der seit der Konzeptphase der actionreichen Militärsimulation dabei ist. „Wir lassen eine gewaltige Spielwelt entstehen, in der bis zu vier Online-Spieler vollkommen frei agieren. Entsprechend benötigten wir das Feedback von Profis, um trotzdem eine glaubhafte Struktur zu schaffen.“

Der Realismus sollte keine Grenzen kennen: So besitzt Ghost Recon Wildlands die größte Spielwelt aller bislang erschienenen Ubisoft-Produktionen. Über 800 Kilometer Straßen verbinden die insgesamt 21 Regionen mitsamt ihren elf verschiedenen Klimazonen. Schon im Vorfeld der Entwicklung schickte das Unternehmen zwölf Mitarbeiter, verteilt über drei Teams, für zwei Wochen nach Bolivien. Heraus kamen über 15.000 Fotos, zahlreiche Interviews und 50 Stunden Filmaufnahmen, die zunächst sortiert werden mussten.

Laut Technical Art Director Benoit Martinez eine herausfordernde wie faszinierende Aufgabe: „Dieses Rohmaterial mussten wir erst kennenlernen, bevor wir ihm gerecht werden konnten. Bei all der Vielfalt stellte uns jedes Ökosystem vor eine eigene Herausforderung: die Üppigkeit des Dschungels, die Einfachheit der Salzwüste, die Schönheit der Laguna Colorada mit ihren Flamingos.“ Ubisoft pflanzte allein sieben Millionen Polygon-Bäume, um seinem Game eine möglichst originalgetreue Vegetation zu spendieren.

Wer Ghost Recon Wildlands spielt, stellt schnell fest, dass die Entwickler den Schauplatz Bolivien aber nicht nur mit Leben, sondern auch mit reichlich Sammelobjekten gefüllt haben. Die Flut an Waffen-Upgrades, Bauteilen, Nachschublieferungen, Missionen und besonderen Orten ist videospieltypischer als der Rest von Wildlands. Dass die Ghosts jederzeit Zugriff auf Fahrzeuge wie diverse Autos, Motorräder oder Helikopter haben, ist auch nicht unbedingt realistisch. Vielleicht könnte die Verbindung zwischen Action und Realismus diesmal aber zu viel gewesen sein.

Bei all diesem Aufwand und der Liebe zum Detail verschwimmen die Grenzen zwischen Videospiel und Realität. Da passt es ins Bild, dass Ghost Recon Wildlands schon kurz vor seiner Veröffentlichung beinahe für einen internationalen Zwischenfall sorgte: Der bolivianische Innenminister Carlos Romero kritisierte das Spiel für die Darstellung seines Landes und drohte gar damit, die französische Regierung einzuschalten. Ubisoft konterte gelassen und verwies darauf, dass Ghost Recon Wildlands eine alternative Realität zeichne, man aber hoffe, dass die Grafik zumindest der „wunderschönen Topographie des Landes“ gerecht werde.

Zudem veröffentlichten die Franzosen einen begleitenden Dokumentationsfilm namens Wildlands. Der hat zwar inhaltlich keinen expliziten Bezug zum Videospiel, greift aber die Geschichte des Drogenhandels in Südamerika auf und lässt Beteiligte zu Wort kommen. Als Regisseur fungierte Colin Offland, auf den Ubisoft durch dessen Arbeit an Dennis Rodman's Big Bang in Pyongyang aufmerksam wurde. „Als erste Inspiration für die Dokumentation diente das Buch Marschpulver von Rusty Young“, sagt Offland im WIRED-Interview.

Der Bestseller behandelt das Leben von Thomas McFadden, der als junger Mann Drogen schmuggelte und 18 Jahre im berühmt-berüchtigten Gefängnis von San Pedro in La Paz, Bolivien einsaß. „Ursprünglich sollten Thomas und Rusty zurück nach Bolivien reisen, um dort die Entwicklung des Drogenkriegs und des Handels zu verfolgen“, sagt der heute in Manchester lebende Offland. „Doch je mehr wir uns in die Materie einarbeiteten, mit desto mehr Menschen wollten wir sprechen, die über die vergangenen 40 Jahre Teil des Drogengeschäfts waren.“

Young tritt in der Dokumentation als Erzähler auf und nimmt eine besondere Rolle ein. Der in Australien geborene Autor hörte auf einer Südafrika-Reise vor über 20 Jahren von Thomas McFadden. Er fuhr nach La Paz und lernte ihn dort kennen. Die beiden wurden Freunde, und Young bestach damals sogar die Wachen, um für drei Monate McFaddens Zellenmitbewohner zu sein.

Was ungewöhnlich klingt, war damals Gefängnisalltag: Viele Touristen suchten nach dem Kick und wollten „Knastluft“ schnuppern. Thomas McFadden machte daraus als Insasse ein Geschäft und spielte den Guide. Für die Wildlands-Dokumentation kehrten die beiden hinter die Mauern von San Pedro zurück. Rusty Young verschloss die Türen mit gemischten Gefühlen hinter sich: „Man ist immer in Gefahr. Speziell wenn man wie ich Autor ist und ein unschmeichelhaftes Buch über San Pedro geschrieben hat. Da hätte es wirklich Konsequenzen geben können.“

Ex-Navy SEAL Adam Newbold arbeitete in Bolivien an vorderster Front gegen den Drogenhandel. Er war zwar in keinerlei Kampfeinsätze verwickelt, bildete jedoch örtliche Kräfte für den Ernstfall aus. „Kurioserweise spielt Drogenkonsum in diesen Regionen eine kleinere Rolle. Die Länder sind meist zu arm, als dass Kartelle dort Profit erzielen könnten. Deshalb exportiert man die Drogen in andere Regionen der Welt“, sagt Newbold. Über 22 Jahre diente er als Navy SEAL und war unter anderem in Panama, Mexiko und Kolumbien als Teil der US-Spezialtruppen stationiert.

Dass seine Arbeit nun in einem Videospiel wie Ghost Recon Wildlands aufgegriffen wird, sieht er durchaus kritisch. „Videospiele werden immer realistischer in ihrer Darstellungsweise. Ich habe mich mit einigen Kids zuletzt darüber unterhalten, und teils fühlt es sich so an, als würde ich mit Teamkameraden sprechen.“ Für ihn gibt es bei der Darstellung des Drogenkriegs Grenzen, Inhalte dürften nicht glorifiziert werden. Wenig positiv spricht er über die populäre TV-Serie Breaking Bad, sie habe das „Kochen“ von Meth seiner Meinung nach „zu etwas Coolem“ gemacht.

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Die Köpfe hinter Wildlands wollen mit ihrer Dokumentation in erster Linie darauf aufmerksam machen, dass der globale Drogenhandel weiterhin tobt. Regisseur Colin Offland bringt die Sache auf den Punkt: „Ich habe gelernt, dass Drogenhandel viel mehr anrichtet, als ich es erahnen hätte können. Es muss schnellstmöglich mehr dagegen getan werden, damit die Zerstörung endlich aufgehalten wird.“

Und vielleicht sind es gerade Games wie Ghost Recon Wildlands, die mit ihrer realistischen Aufmachung und dem gelungenen spielerischen Ansatz etwas bewegen können. Ex-Navy SEAL Newbold jedenfalls sieht Parallelen: „Hey, als Kinder haben wir immer Räuber und Gendarm gespielt. Ich wollte immer einer der Guten sein. Ich denke, da gibt es ein Muster.“

Tom Clancy’s Ghost Recon Wildlands ist für PC, PlayStation 4 und Xbox One erhältlich.

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