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Chatterbug will frustrierten Expats Deutsch beibringen

von Juliane Görsch
Der GitHub-Gründer Scott Chacon ist daran gescheitert, Französisch zu lernen. Aus Frust hat er Chatterbug gegründet, das alles besser machen will als gängige Sprachlern-Anbieter. In ihrem Berliner Hauptsitz erklären Chacon und Mitbegründerin Liz Clinkenbeard die Vision.

Scott Chacon erinnert sich noch gut an seine Probleme in Frankreich. Es war Anfang 2016, der GitHub-Gründer hatte gerade sein Unternehmen verlassen und war mit seiner Familie nach Frankreich umgezogen – ohne ein Wort Französisch zu sprechen oder zu wissen, was sein nächstes Projekt sein würde. Zur Vorbereitung lud er sich gängige Sprachlern-Apps herunter: „Ich begann, diese Apps zu nutzen und lernte mit ihnen 100 Tage am Stück. Ich dachte, ich würde Französisch nun fantastisch beherrschen. Als ich in Paris landete, verstand ich nichts. Und niemand verstand irgendetwas von dem, was ich erzählte“, sagt Chacon im Gespräch mit WIRED. Irgendetwas müsse man da doch anders machen können.

Also probierte er jede verfügbare Sprachlern-Methode aus. Apps wie Babbel und Duolingo, die verschiedene Vokabel- und Grammatikübungen anbieten, gaben ihm zwar das Gefühl, immer besser zu werden, am Ende ließen sie aber den Faktor Mensch außer Acht. Er begann Online-Kurse, besuchte Sprachschulen, engagierte Tutoren – „alles, was du dir vorstellen kannst, habe ich wahrscheinlich auch ausprobiert,“ sagt er. Nichts davon konnte ihn überzeugen. Aus dieser Frustration heraus und aus Überzeugung, dass es auch einfacher gehen kann, gründete er zusammen mit seinen ehemaligen GitHub-Kollegen Liz Clinkenbeard und Tom Preston-Werner das Startup Chatterbug.

Dabei mangelt es an Sprachlern-Anbietern wirklich nicht. Der Markt ist riesig und wächst seit Jahren kontinuierlich. Das deutsche Unternehmen Babbel verzeichnete 2016 laut eigenen Angaben einen Zuwachs von 120.000 App-Downloads pro Tag. Die App Busuu kann wiederum auf eine Community von 70 Millionen Muttersprachlern zurückgreifen, mit denen Nutzer chatten können. Ohnehin gehören Tandem-Programme zu den beliebtesten Sprachlern-Methoden. Die App Tandem aus Berlin hat seit dem Start 2015 zwei Millionen Mitglieder gewonnen. Alle diese Apps sind kostenlos oder sehr günstig erhältlich. Daneben gibt es zahlreiche umfassendere Online-Sprachkurse mit Tutoren. Einer der etabliertesten Anbieter ist Rosetta Stone, deren Ansatz es ist, den Nutzern eine Sprache ohne direkte Übersetzung in ihre Muttersprache beizubringen.

Chatterbug startet mit dem Ansatz, die Vorteile von Sprachlern-Apps wie Babbel und menschlichen Sprachtutoren wie bei Lingoda in einem System zu vereinen. Die öffentliche Beta startet heute. Eine Tutorenstunde plus Zugang zu den Übungsaufgaben kostet 15 Euro. Für acht Tutorenstunden werden 80 Euro fällig, die Live-Video-Flatrate kostet 195 Euro. Damit ist das Angebot deutlich teurer als viele Apps, aber günstiger als so mancher Online-Kurs.

Als Hauptsitz für das neue Sprachlernsystem, das alles besser machen will als die Wettbewerber, wählte Chatterbug Berlin. Deutsch wird die erste Fremdsprache sein. „Deutsch hat den Ruf, eine der am schwersten zu erlernenden Sprachen zu sein. Der Mount Everest der Sprachen, wenn man so will,“ sagt Clinkenbeard. Zudem konnte niemand im Team auch nur ein Wort Deutsch sprechen. „Wenn wir es schaffen, uns mit unserem System Deutsch beizubringen,“ so Clinkenbeard, „bedeutet das, dass unsere Idee funktioniert.“ Nach gut einem halben Jahr können Chacon und Clinkenbeard tatsächlich einfache Unterhaltungen auf Deutsch führen – auch wenn sie im Gespräch doch ziemlich schnell wieder von Deutsch zu Englisch wechseln.

Eine Sprache zu lernen ist schwer und das darf sich auch manchmal so anfühlen

Im Grunde will das Online-Sprachlernsystem die Lücke zwischen dem Auswendiglernen von Vokabeln und Grammatik und dem tatsächlichen Sprechen mit einem echten Muttersprachler schließen. „Wir wollen einen Ort schaffen, an dem man auch scheitern darf,” sagt Mitbegründerin Liz Clinkenbeard „Eine Sprache zu lernen ist schwer und das darf sich auch manchmal so anfühlen. Wir wollen dem Prozess die Furcht vor dem Scheitern nehmen.“ Chacon fügt hinzu: „Es sollte so einfach wie möglich sein, sich mit einem Muttersprachler zu verbinden und auf dem aktuellen Wissensstand aufzubauen.“

Chatterbug besteht aus zwei Elementen: Den Vokabel- und Grammatikübungen und dem Live-Video-Chat mit Tutoren. Das können pensionierte Lehrer, Studenten oder andere Muttersprachler sein. Diese bekommen Statistiken und Informationen über den Lernstand des Nutzers und können mit ihnen gezielt üben. „Wenn man die Session startet, sieht man vier Dinge,” so Clinkenbeard. „Ein Bild, auf dem beide Parteien ihre jeweiligen Mauszeiger sehen, eine Box mit Anleitungen und Hinweisen zur Lektion. Man sieht das Live-Video mit dem Tutor und eine Chatbox.“ Die Lektionen an sich wurden von erfahrenen Sprachlehrern entwickelt, die Tutoren müssen daher nicht unbedingt Pädagogen sein, sagt Chacon „Wir suchen nach Muttersprachlern, die einfach nette Leute sind, mit denen man gerne redet und die einen ermuntern, zu sprechen und neue Dinge auszuprobieren.“ Die Tutoren wechseln zwar, wissen aber trotzdem jederzeit, auf welchem Wissensstand der Schüler steht und womit er noch Schwierigkeiten hat. Das System sucht automatisch die passenden Übungen heraus. In der restlichen Zeit können die Nutzer eigenmächtig lernen, Vokabeln trainieren, Grammatikübungen absolvieren.

Das wahre Potenzial soll Chaterbug entfalten, sobald die Nutzerzahl groß genug ist. Bisher bezahlen Nutzer für jede Unterrichtsstunde 15 Euro. Das Ziel sei es aber, dass die sie statt mit Geld auch mit ihrer Zeit „bezahlen“ können. „Wenn du Deutsch sprichst und bei uns als Tutor anfängst, kannst du im selben Gegenzug Spanischstunden kostenlos oder für weniger Geld nehmen. Wir brauchen dafür aber ein Netzwerk, viele Menschen im System, damit das klappt,“ sagt Chacon. Nach Deutsch sollen Englisch, Spanisch und Französisch folgen.

Auf der technischen Seite soll Big Data eine große Rolle bei Chatterbug spielen. Je mehr Nutzerdaten ausgewertet werden können, desto besser können die Lerninhalte individuell angepasst werden. „Wir nutzen die Daten, um den Lernprozess effizienter zu machen, die Übungen besser, die Vernetzung von Tutor und Schüler einfacher,“ sagt Clinkenbeard. Zum Beispiel würden viele Schüler häufig Umlaute vergessen. „Wenn wir Hunderttausende Nutzer haben, könnten wir davon vielleicht ableiten, welche Fehler du wahrscheinlich auch machst,“ sagt Clinkenbeard.

Das gilt allerdings nicht für Künstliche Intelligenz oder Spracherkennung, wie sie etwa Duolingo einsetzt. Die App lässt ihre Nutzer mit einem Sprachlern-Bot chatten. Babbel will wiederum die korrekte Aussprache von Vokabeln erkennen. Chacon und Clinkenbeard halten davon aktuell nicht sehr viel: „Wir haben versucht, die Videos von Spracherkennungs-Software analysieren zu lassen. Es war einfach nicht gut genug, um wirklich wertvoll für die Schüler zu sein.“ Die Herausforderung dabei ist es, dass die KI auch schlechtes Deutsch erkennen muss: „Mein mieses Deutsch braucht eine andere Art von Spracherkennung als Muttersprachler,“ sagt Chacon. In der Zukunft, so die beiden Gründer, werden sie die KI-Unterstützung aber sicherlich auch angehen.

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