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Elf Mikrometer dünn und mit Elektroden gespickt, legt sich die Manschette um den Vagusnerv am Hinterkopf, einen Nervenstrang, der eine Vielzahl von Körperfunktionen steuert. Zeigt sich, dass der Blutdruck höher ist, als er sein sollte, senden die Elektroden elektrische Signale an einzelne Nervenfasern, um gegenzusteuern.
„Die Idee ist, dass man die Signalwege mit Strom manipulieren kann“, erklärt Michael Lauk, Geschäftsführer der Freiburger Firma Neuroloop, die das neuartige Implantat erfunden hat. Das Prinzip ähnelt dem eines Herzschrittmachers – nur fällt es wesentlich schwerer, das Gehirn gezielt zu manipulieren, ohne negative Nebeneffekte auszulösen.
„Die Problematik war bisher, dass eine große Elektrode am gesamten Nerv hing“, sagt Lauk. Stromstöße trafen dadurch immer mehrere Nervenstränge zugleich. Um das zu verhindern, verteilt die Neuroloop-Manschette ihre Impulse auf 28 einzeln steuerbare Kanäle. Testsignale nach dem Eingriff dienen zunächst dazu, herauszufinden, welche Nervenbahnen angesprochen werden müssen. „In Tierexperimenten ist das bereits gelungen“, erzählt Lauk, „und wir sind zuversichtlich, dass es im Menschen ähnlich funktioniert.“
Neuroloop – hervorgegangen aus einem Forschungsprojekt an der Universität Freiburg – ist eines von zahlreichen Startups, die Leiden behandeln wollen, indem sie dem Gehirn moderate, präzise gesteuerte Elektroschocks verabreichen.
Bei Demenz-Erkrankungen wie Parkinson wird eine Variante davon, Tiefe Hirnstimulation genannt, schon regelmäßig angewandt. Sie verlangt aber eine Gehirnoperation, weil Elektroden eingepflanzt werden müssen. Im Gegensatz dazu begnügt sich Neurostimulation damit, auf Nervenbahnen einzuwirken, um indirekt das Gehirn zu beeinflussen.
Pharmaka haben den großen Nachteil, dass sie Nebenwirkungen hervorrufen
Bei der simpelsten Art der Neurostimulation senden Elektroden, die an der Stirn sitzen, Signale aus. Das Prinzip, bekannt als tDCS, hat viele Fans unter Brain-Hackern, die sich davon erhöhte Denkfähigkeiten erhoffen, ist aber unter Medizinern umstritten. Implantate wie die Neuroloop-Manschette oder das holländische EndoStim-System zielen dagegen auf den Hirnstamm ab,
der Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Atmung und Blutdruck steuert. Das soll helfen, chronische Erkrankungen zu behandeln, die bisher jahrelanges Pillenschlucken verlangen.
„Pharmaka haben den großen Nachteil, dass sie Nebenwirkungen hervorrufen“, sagt Lauk, „vor allem, wenn man sie kombiniert.“ Neurostimulation sehen viele Experten als aussichtsreiche Alternative, um eine ganze Reihe von Beschwerden zu behandeln – körperliche wie Asthma, Rheuma und Arthritis ebenso wie Depression und andere psychische Störungen.
Während die meisten Pharmakonzerne noch abwarten, hat sich der britische Riese GlaxoSmithKline mit der Google-Schwester Verily zusammengetan: Unter dem Namen Galvani Bioelectronics wollen die beiden Konzerne winzige Implantate entwickeln, die nicht größer sind als eine Pille und Körperfunktionen über das Nervensystem regulieren.
Die ersten Geräte könnten 2023 für die Zulassung bereit sein, hofft das Gemeinschaftsunternehmen. Auch Neuroloop wird noch Zeit brauchen, ehe die Manschette marktreif ist. 2018 soll das System in einer Pilotstudie zeigen, dass es für Menschen sicher ist. Obendrein müssen die Entwickler ein Problem lösen, das jeder Handybenutzer kennt: Die Batterie macht noch zu schnell schlapp – bei Implantaten muss sie mehrere Jahre durchhalten.
Lest hier die Geschichte von Matt Eagles, der als Siebenjähriger an Parkinson erkrankte und erst als Erwachsener von Medikamenten mit starken Nebenwirkungen auf Stromtherapie umsteigen konnte.