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Fünf Game-Designer, die ein Hauch von Revolution umweht

von Dennis Kogel
Wenn ich nicht spielen kann, will ich kein Teil eurer Revolution sein: Wir stellen fünf Gamedesigner vor, deren Arbeit ein Hauch von Aufruhr umgibt.

Katharine Neil: Die gescheiterte Revolutionärin

Katharine Neil hat ihre Karriere riskiert, um die australische Regierung vor der ganzen Welt bloßzustellen. In Escape from Woomera, einer Mod für Half-Life, schlüpfen Spieler in die Rolle eines Flüchtlings im australischen Wüstenlager Woomera. Ihr Ziel: der Ausbruch. Im Gespräch mit anderen Geflüchteten erfährt man von unmenschlicher Behandlung, glühenden Zaungittern, der Grausamkeit der Wächter. Escape from Woomera war 2004 ein australisches Politikum, denn die Regierung machte es Journalisten unmöglich, mit Flüchtlingen zu sprechen und das Lager zu besichtigen. Gemeinsam mit investigativen Journalisten und entkommenen Flüchtlingen, entwickelte Katharine Neil ein Spiel, das einen undokumentierten Teil australischer Geschichte erfahrbar macht. Die meisten Entwickler des Spiels mussten über lange Zeit anonym bleiben, einen Vortrag darüber hielt Neil mit einem Stimmenverzerrer, während sie versteckt im Publikum saß. „Du kannst Fotojournalisten aussperren, aber du kannst nicht die Erinnerungen derer löschen, die an diesem Ort gelebt haben“, erläuterte Neil die Idee hinter dem Spiel. Die damalige australische Regierung erklärte das Team de facto zu Verrätern; die Minister für Kunst und Immigration versuchten das Projekt zu stoppen. Neil und ihr Team veröffentlichten es trotzdem.

Was macht sie jetzt?
Katharine Neil ist nicht mehr davon überzeugt, dass sich Spiele dazu eignen, eine politische Botschaft zu verbreiten. Inzwischen hat sich die Situation für Flüchtlinge in Australien sogar noch verschlechtert. Neil bezweifelt, dass Spiele etwas daran ändern können. Zu gering sei das Interesse der Entwickler an solchen Themen und zu deprimierend die Materie für die Spieler. Heute lebt sie in Paris und arbeitet in einem kleinen Studio an Mobile Games.

Paolo Pedercini: Der Games-Revoluzzer

Der Kapitalismus ist an allem schuld und wir haben keine Chance, etwas daran zu ändern. So ungefähr lautet die fatalistische Message aller Spiele des italienischen Designers Paolo Pedercini, der besser bekannt ist unter seinem Label Molleindustria. Seit 2007 arbeitet Pedercini an Spielen über das kapitalistische System. Im McDonald’s Videogame etwa geht es darum, dass eine Fast-Food-Kette unmöglich nachhaltig handeln kann, in Oiligarchy um den verderbenden Einfluss der Öl-Industrie und in Unmanned um die dehumanisierende Arbeit eines Drohnenpiloten. Immer befindet man sich in der Rolle des Täters, um das perfide System hinter den Grausamkeiten zu verstehen.

Was macht er jetzt?
Paolo Pedercini lehrt Game Design an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh. Interviews gibt er nicht gerne. Auf Anfrage schickt er Journalisten ein mehrseitiges Dokument mit Antworten auf Fragen, die ihm andauernd gestellt werden.

Navid Khonsari: Der Dokumentarist

Navid Khonsari darf nicht mehr in das Land seiner Eltern zurückkehren, weil er ein Spiel über seine Geschichte gemacht hat: In 1979 Revolution: Black Friday geraten Spieler als Fotojournalist in die iranische Kulturrevolution Ende der 1970er-Jahre. Spielerisch erinnert das alles an Telltale-Spiele: Es gibt Entscheidungen, ob man dem Bruder beim Militär vertraut oder den kommunistischen Revolutionären. Interessant ist aber vor allem, wie detailliert das Szenario wiedergegeben wird. Die Musik, der Stil, die Sprache, all das lässt Geschichte lebendig erscheinen. Khonsari macht klar, dass die Revolution, an deren Ende überraschend ein islamischer Staat unter Ayatollah Khomeni steht, ein komplexes Unterfangen war. Unterschiedliche Ideologien kämpften um die Vorherrschaft, keine einzige Partei hat eine weiße Weste und das Opfer sind iranische Bürger, die in geheimen Gefängnissen enden, gefoltert von den ehemaligen Häftlingen des alten Regimes. Für seine Arbeit wird Khonsari vom Iran der Propaganda und Spionage bezichtigt. Teile des Teams arbeiten aus Angst vor Folgen unter Pseudonym.

Was macht er jetzt?
Khonsari, der lange Jahre für Rockstar Games an der GTA-Reihe arbeitete, beendet zurzeit ein Comic-Projekt. Für Resident Evil 7 – Biohazard war Khonsari „Cinematic Director“. Vor einer Rückkehr oder einem Besuch im Iran hat er Angst.

Anna Anthropy: Die Revolutionslehrerin

Bekannt ist Anna Anthropy vor allem für ihr Spiel dys4ia, in dem sie in Minispielen die Geschichte ihrer Hormontherapie erzählt, vom Toilettenproblem über die Rasur bis hin zu Überempfindlichkeit ihrer Brustwarzen nach Einnahme von Präparaten. dys4ia fühlt sich brutal ehrlich an wie sonst nur wenige andere Spiele. Dafür wurde es als revolutionäres „Empathy Game“ gefeiert, als Spiel, das verständlich macht, wie sich andere Menschen fühlen könnten. Dieses Label lehnt Anthropy inzwischen ab, „kein Spiel wird jemals erlebbar machen, wie sich eine Trans-Mensch wirklich fühlt“, sagt sie. Aber sie können diesen Menschen helfen, etwas über sich an die Außenwelt zu kommunizieren, sich auszudrücken, Kunst zu schaffen. Ihre Energie fokussiert Anthropy jetzt darauf, diese Lektion an mehr Menschen heranzutragen. In ihren Büchern, The Rise of the Videogame Zinesters und ZZT, erzählt sie davon, wie jeder damit anfangen kann, Spiele zu entwickeln, die so persönlich sind wie ihre.

Was macht sie jetzt?
Anna Anthropy lehrt als Game Designer in Residence an der DePaul-Universität in Chicago. Sie arbeitet an einem neuen Buch, Make Your Own Videogames!, das Kindern Spieleentwickler-Tools nahebringen soll.

Jim Crawford: Der Realitätszerstörer

Ab wann spielen wir eigentlich ein Spiel? Wo fängt es überhaupt an? Nur wenige Entwickler haben diese Frage so sehr in den Vordergrund ihres Schaffens gestellt wie Jim Crawford und sein Frog Fractions 2. Der erste Teil ist ein spielbarer Witz: ein unscheinbares Browser-Spiel über einen Matheaufgaben lösenden Frosch, das sich, wenn man aufmerksam bleibt, zu einem Weltraum-Shooter entwickelt, zu einer Wirtschaftssimulation und, nunja, zu Interactive Fiction über Frosch-Pornografie – ein Spiel im Spiel im Spiel und ein Kult-Hit. Frog Fractions 2 dagegen ist noch mehr: ein Meisterwerk. Über fünf Jahre legt Crawford Hinweise aus, spielt mit Fans ein Alternative Reality Game mit Rätseln in der echten Welt, um schließlich Frog Fractions 2 zu veröffentlichen. Versteckt in Glittermitten Cove, einem Spiel über eine Elfenbaumschule. Das Geheimnis um das Spiel war so einnehmend, dass unter Spielern der Spruch „Das ist bestimmt Frog Fractions 2“ zum Bonmot wurde. Crawford hat damit gezeigt: Ein Spiel können wir spielen und uns davon unterhalten lassen, lange bevor der Startbildschirm aufpoppt.

Was macht er jetzt?
Frog Fractions 3. Vielleicht. Tatsächlich weiß Crawford selbst noch nicht so ganz, was als Nächstes kommt. Oder vielleicht ist sein neues Spiel bereits draußen. Nur weiß niemand davon.

Dieser Text ist zuerst unter dem Titel „Fünf Games-Revolutionäre” in der 11. Ausgabe des Videospiele-Bookazines WASD erschienen. Die ganze Ausgabe bekommt ihr hier.

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