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Frösche, Prinzen, keine Küsse: Eine Woche mit der Dating-App Once

von Thomas Sattner
Während Plattformen wie Tinder und OKCupid ein Überangebot an möglichen Liebes- oder Sonstwie-Partnern liefern, schlägt einem die neue Dating-App Once nur einen Menschen pro Tag vor. Funktioniert diese Art Slow-Love wirklich? Ein Test.

Es ist der zweite Tag, als mich zum ersten Mal Zweifel an Once beschleichen. Die Frau auf dem Foto, die mir da Punkt zwölf Uhr mittags per E-Mail ein wenig so angekündigt wird, als erreichte mich gleich eine besonders leckere Lieferung von Foodora, kommt mir seltsam bekannt vor. Irgendwo habe ich sie schon mal gesehen. Es dauert ungefähr drei Minuten, dann habe ich sie gefunden. Im Netz – auf OKCupid. Die Frau hat ein paar Tage zuvor dort mein Profil angeklickt, so als habe sie schon was vorausgeahnt. Nun treffen wir uns anderswo wieder, ohne uns je wirklich begegnet zu sein. Zwei einsame Herzen auf zwei Dating-Plattformen, schluchz.

Wie lustig, denke ich zunächst, das könnte ja schon ein Anfang sein für eine erste, durchaus offensive Nachricht: „Hey, wir haben uns doch schon mal gesehen, vor ein paar Tagen, nicht wahr?“ Irgendwie so. Die Kontaktaufnahme ist bei Dating-Apps ja immer eine etwas haarige Sache, gerade wenn man als Mann einer Frau schreibt. Offenkundig werden Frauen überschüttet mit Botschaften, denn viele von ihnen beschweren sich zum Beispiel auf ihren OKCupid-Profilen darüber und schreiben dort an ihr männliches Zielpublikum gerichtet, sie würden nicht auf all die Nachrichten reagieren, die nur das Wort „Hi“ enthielten oder gar anzüglich formuliert seien.

Es scheint viel Arbeit zu sein als Frau auf einer Dating-Website, um aus all den Zuschriften diejenigen herauszufiltern, die nicht doof oder eklig sind und die man auch nur ansatzweise beantworten möchte. Als Mann hingegen wird man eher selten von Frauen zuerst angeschrieben, die traditionellen Geschlechterverhältnisse scheinen zumindest bei Heterosexuellen weiter nach männlicher Initiative zu verlangen.

Nach Slow-Food jetzt also Slow-Love

Die hätte ich auch ergriffen bei der Frau auf Once, wäre ich nicht so naiv gewesen, ihr Profil dort doch mal kurz mit dem ausführlicheren auf OKCupid zu vergleichen. Die zwei Fragen, die sich daraus ergaben, möchte ich der Frau dann lieber ersparen: „Warum bist du bei OKCupid ganze fünf Jahre jünger als auf Once – und was genau sagt das über dich aus?“

Also lasse ich die 24 Stunden, die bei Once auf einer Uhr sichtbar heruntergezählt werden, bei dieser Frau verstreichen, ohne mich in irgendeiner Weise zu rühren. Da sie ja umgekehrt auf OKCupid sehen kann, dass ich ihr Profil dort angeklickt habe, gehe ich davon aus: Sie wird schon gemerkt haben, dass ich gemerkt habe, dass ihr Alter auf OKCupid geschummelt ist. Niemand macht sich jenseits der Teenagerzeit ja absichtlich älter, als er oder sie ist.

Aber zeigt dieses eine Beispiel, dass Once die ehrlichere Dating-Plattform sein könnte gegenüber all den anderen, auf denen wir uns besser als im wahren Leben präsentieren – klüger, schöner, witziger? Once tut zumindest auf den ersten Blick aufrichtiger als die Konkurrenz. Die App verspricht nicht so viel, eben nur einen Partnervorschlag pro Tag. Handverlesen nicht von Algorithmen, sondern von menschlichen Matchmakern, heißt es.

Klingt nett. Klingt persönlich. Klingt besonders. So besonders, wie man sich gerne selbst fühlen möchte im Leben, so besonders soll ja auch die Partnerin oder der Partner sein. Once geht die Vorstellung zweier Menschen langsam an: Nach Slow-Food jetzt also Slow-Love.

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Bei OKCupid kann man sich endlos durch Matches scrollen, die auf dem Smartphone in Zweierreihen parat stehen, und bei Tinder dauert es beim ersten Mal Stunden, bis man sich durch all die Leute geswipet hat, jedenfalls wenn man in einer Großstadt sucht. „Das Angebot ist riesig“, scheinen diese Apps zu sagen, „Such dir jemanden aus (oder zwei oder drei oder ganz viele), irgendwer wird schon für dich dabei sein.“

Doch dazu muss bei Tinder das Gegenüber ja auch erst mal nach rechts swipen, und bei OKCupid sollte es zwischen zwei Menschen schon etwas mehr als null Prozent Übereinstimmung bei Dating-, Sex- und anderen Vorlieben geben, damit das Gegenüber reagiert. Und dann muss es ja erst mal klappen mit der Kontaktaufnahme.

Doch bei Once kommt mir eine Sache gleich beim Ausfüllen des eigenen Profils merkwürdig vor: Warum muss man ähnlich wenige Angaben über sich selbst machen wie etwa bei Tinder, der ungefiltertsten, aber damit auch gerechtesten Dating-App? Geschlecht, Alter, Größe, Religion, Ausbildung, Beruf, Arbeitgeber, Sprachen – mehr will Once nicht wissen. Bei OKCupid soll man am besten Hunderte Fragen beantworten, damit der Filter für die besten Matches möglichst genau wird.

Der Kuppler im Hintergrund trifft meine Sehnsüchte: absolut gar nicht

Bei Once hingegen steht da nicht eine einzige Frage, obwohl die künstliche Beschränkung der Partnervorschläge einem doch suggeriert, dass man nur sehr ausgewählte, auf einen selbst zugeschnittene präsentiert bekommt. Und auf die Auswahl der Vorschläge kann man nur insofern Einfluss nehmen, als dass man die gewünschte Altersspanne und Religionszugehörigkeit eines Dates eingeben kann. Mehr nicht. Da muss schon ein sehr kluger Matchmaker hinter stecken, denkt man gleich, dass er aus diesen wenigen Parametern ernsthaft eine Traumfrau (oder einen Traummann) für einen findet. Für einen Algorithmus jedenfalls wären das zu wenige Daten.

Wer auch immer genau im Hintergrund bei Once den Kuppler spielt, er trifft meine Sehnsüchte dann leider: absolut gar nicht. Nein, es ist vielleicht nicht nett, das offen zu sagen, aber es ist nun mal so: Jeder hat ja zum Beispiel gewisse Vorstellungen vom Aussehen eines Gegenübers, in den man sich auch nur sehr vielleicht verlieben könnte, und Once schlägt mir dafür solche Menschen vor, die eher das genaue Gegenteil dessen verkörpern, was ich äußerlich als attraktiv empfinde. Tag für Tag geht das so, und nach einer Woche kann man das dann langsam ärgerlich finden.

Aber so außergewöhnlich sind meine Wünsche doch gar nicht: Okay, ich mag zum Beispiel eher schlanke Frauen, Once hingegen scheint zu glauben, ich stünde auf etwas rundlichere. Womöglich gibt es noch nicht viele schlanke Frauen bei Once, dachte ich zunächst, die App ist in Deutschland ja erst seit Mitte Mai verfügbar und man bekommt als Mitglied ja im Gegensatz zu Tinder und OKCupid überhaupt keinen Einblick, wer und wie viele andere Mitglieder es gibt.

Eine Frau kostet 99 Cent.

Doch dann entdeckte ich am vierten Tag meiner Mitgliedschaft die Zusatzfunktion auf der Desktop-Website von Once, die mir bei der entsprechenden iPhone-App zunächst entgangen war: Man kann sich seinen Partnervorschlag für den kommenden Tag auch einfach kaufen. Man erwirbt sogenannte Kronen und darf dann aus zehn Profilen auswählen. Eine Frau kostet 99 Cent. Das ist ja mal billig, in jedem Sinne.

Ich soll dem Frosch, für den ich mich laut Once offenbar halten soll – jedenfalls benutzt die App ein Froschbild dafür –, also eine Krone aufsetzen. Und mich so selbst zum Traumprinzen machen. Irgendwie hinkt diese Märchen-Metapher bei Once schon sehr: Im Märchen braucht es schon einen Kuss, um aus dem Frosch einen Prinzen zu machen, und den Kuss kann man sich nicht kaufen.

Doch siehe da, es gibt eine andere Art der märchenhaften Verwandlung bei Once: Die Frauen, deren Bekanntschaft ich dort gegen Geld machen könnte, wirken auf mich irgendwie attraktiver als die, die mir gratis vorgeschlagen wurden. Und sie haben auffällig oft einen Beruf, der wie mein eigener ein kreativer ist, während die mir kostenlos zugedachten Frauen entweder gar keinen Beruf angegeben haben oder in Jobs arbeiten, die von meinem eigenen weit entfernt sind.

Ökonomin und Veranstaltungskauffrau zum Beispiel sind hochseriöse, sehr nützliche und bestimmt auch schöne Tätigkeiten. Doch ehrlich gesagt: Was eine Veranstaltungskauffrau so macht tagsüber im Büro, interessiert mich nicht. Gleich und gleich gesellt sich gerne, heißt es ja, und gegen Kronenzahlung werden mir zum Kennenlernen von Once unter anderem angeboten: eine Fotoredakteurin, eine Filmproduzentin, eine Künstlerin und eine Frau, die bei einem ziemlich weltbekannten Medienunternehmen arbeitet. Mit denen könnte und wollte ich sehr gern über ihren Beruf reden.

Weil es ja kein Zufall sein soll, wen der Once-Matchmaker mir (gratis!) vorschlägt, muss man es also für das Geschäftsmodell von Once halten, sich von Mitgliedern dafür bezahlen zu lassen, ihnen mutmaßlich attraktiver erscheinende Partnervorschläge zu machen als die, die es umsonst gibt. Oder der für mich zuständige Matchmaker ist derart schlecht in seinem Job, dass man ihn von mir aus sofort feuern sollte.

Dass man sich als Partnersuchender beim Online-Dating selbst zur Ware macht und umgekehrt ebenso beginnt, mögliche Partner erst mal gleichsam in Warenform zu betrachten, das ist die triste Realität dieser Form des Kennenlernens: Man checkt all die üblichen Parameter ab, was gefällt einem, was gefällt einem vielleicht nicht so sehr. Doch das täte man auch im Smalltalk, würde man einander in einer Bar oder bei einer Party zum ersten Mal treffen. Once aber, so erscheint es mir nach ein paar Tagen (womöglich fälschlicherweise), will offenbar aus der Frage „Was könnte ihm/ihr gefallen an jemand anderem?“ Kapital schlagen.

Während Tinder und OKCupid zwar auch Zahlfunktionen haben, mit denen man etwa seinen Suchradius erweitern kann oder unsichtbar bleibt für Leute, deren Profile man besucht, nimmt Once für den Zugang zu bestimmten Mitgliedern Geld. Das ist ein wesentlicher Unterschied: Man zahlt gleichsam für eine Frau. Beziehungsweise dafür, ihr schreiben zu dürfen.

Bei Tinder und OKCupid entscheiden wir selbst, uns zur Ware zu machen

Und das fühlt sich dann gar nicht mehr so nett, besonders und persönlich an. Sondern mindestens wie Nepp. So als warte der Once-Matchmaker nur darauf, dass ich die Geduld verliere und für die bloße Möglichkeit zahle, mit der hübschen Fotoredakteurin Kontakt aufnehmen zu können – die mich dann zwar immer noch blöd finden könnte, doch das ist nicht der Punkt. Bei Tinder und OKCupid entscheiden wir selbst, uns zur Ware zu machen, bei Once hingegen werden wir es qua Geschäftsmodell zwangsläufig gemacht.

Als ich nach einer Woche mein Profil bei Once lösche, frage ich mich eigentlich nur noch: War ich wohl gratis im Angebot bei den Männern? Oder hätte man für mich bezahlen müssen? Hat womöglich sogar eine der Frauen, die mir umsonst vorgeschlagen wurde, 99 Cent dafür hingelegt, mich kontaktieren zu dürfen?

Auch wenn ich versuche, mich im Spiegel mal als Ware zu betrachten, und zugestehen muss, dass diese Ware vielleicht nicht (oder nicht mehr) allererste Wahl ist: Vielen Dank, Once, so möchte ich mich wirklich nicht sehen. Und nicht gesehen werden, einmal pro Tag, von einer Frau, selbst wenn sie ein Traum wäre, gar meiner. 

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