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Forscher wollen künstliche DNA herstellen, Kritiker fürchten den künstlichen Menschen

von Anna Schughart
Das HGP-Write-Projekt will die komplette menschliche DNA synthetisieren. Gibt es also bald Menschen ohne Eltern? Nein, sagen die beteiligten Wissenschaftler. Aber synthetische DNA sei ein wichtiger Schritt, um die Frage „Was ist Leben?“ zu beantworten.

Jef Boeke wirkt genervt: „Wir haben es immer gesagt und ich sage es nochmal deutlicher: keine synthetischen Menschen. Punkt. Endstation. Basta. Haben wir uns klar ausgedrückt?“, sagt der Genetiker zu WIRED. Allerdings sind Boeke und seine Kollegen auch selbst Schuld daran, dass sie immer wieder betonen müssen, dass sie keine Menschen ohne biologische Eltern erschaffen wollen.

Anfang Mai kamen in Harvard mehr als 130 Wissenschaftler, Ethiker, Unternehmer und Entscheidungsträger zusammen, um über ein Projekt zu sprechen, das mittlerweile als HGP-Write bekannt ist. Die Öffentlichkeit war nicht eingeladen, die Konferenzteilnehmer wurden angehalten, nicht über das Meeting zu twittern.

Ein geheimes Treffen, auf dem Wissenschaftler darüber beraten, synthetische menschliche DNA herzustellen – das sorgte für große Entrüstung. „Wir hatten ein Paper bei Science eingereicht und die Zeitschrift hatte uns ein Embargo auferlegt. Wir durften nicht darüber sprechen, da das Paper gerade beurteilt wurde“, erklärt Boeke die Geheimnistuerei. „Schlechtes timing, nicht mehr.“

Keine synthetischen Menschen. Punkt. Endstation. Basta.

Jef Boeke, Coautor von HGP-Write

So oder so: Mittlerweile ist der wissenschaftliche Aufsatz veröffentlicht und Mitschnitte der Konferenz kann man sich im Internet anschauen. Zeit also, zu klären: Was verbirgt sich hinter HGP-Write?

HGP steht für Human Genome Project. Moment, gab es das nicht schon? Ja, das HGP-Read – wie die Wissenschaftler es mittlerweile nennen, um die Unterschiede klar zu machen – wurde 2004 beendet und hatte zum Ziel, alle Basenpaare der menschlichen DNA zu entschlüsseln.

Nachdem das Lesen so gut geklappt hatte, schlägt eine Gruppe von Wissenschaftlern nun vor, die komplette menschliche DNA selbst zu schreiben. Also die einzelnen Basenpaare zusammenzusetzen und so künstliche – synthetische – DNA des Menschen herzustellen. Die unterscheidet sich auf der chemischen Ebene nicht von natürlicher DNA, wird aber nicht aus lebenden Zellen extrahiert.

Das ist schwieriger, als es vielleicht klingt. „Kurze DNA-Stränge von etwa tausend Basenpaaren zusammenzubauen, ist mittlerweile eine Routinearbeit“, erklärt der Freiburger Biologe Wilfried Weber, der nicht an HGP-Write beteiligt ist, gegenüber WIRED. „Doch wenn die Abschnitte länger werden, dann wird es komplizierter.“ Bis es gelingt, alle drei Milliarden Basenpaare des menschlichen Genoms zu synthetisieren, kann es noch Jahre dauern. Unrealistisch sei die Idee aber nicht, sagt Weber, wenn man sich die Fortschritte der synthetischen Biologie in den vergangenen Jahren anschaue.

Die Synthese des menschlichen Genoms ist ein Ziel, aber nur eines in einem viel größeren Programm.

Jef Boeke, Coautor von HGP-Write

Das Hauptziel, erklärt Boeke, einer der Hauptautoren des Aufsatzes zu HGP-Write, laute daher, die Entwicklung von Technologien um ein Vielfaches zu beschleunigen: Die Synthese, die Manipulation und das Testen von großen Mengen DNA. So sollen auch die Kosten für die DNA-Synthese gesenkt werden. „Die Synthese des menschlichen Genoms ist ein Ziel, aber nur eines in einem viel größeren Programm“, sagt Boeke. Auch das Genom von bestimmten Pflanzen und Tieren wollen die Forscher synthetisieren.

Aber warum sollte man überhaupt menschliche DNA nachbauen? Der Biologe George Church, ebenfalls einer der Hauptautoren, beantwortet diese Frage mit einer ganzen Liste an Vorschlägen. So könne die synthetische DNA zum Beispiel genutzt werden, um virusresistente Zelllinien zu erschaffen, die dann Therapeutika oder Impfstoffe herstellen könnten. Oder um Organe und Stammzellen für Transplantationen zu züchten, die resistent gegen Krebs, Infektionen oder krankmachende Immunreaktionen seien.

In ihrem Paper nennen die Autoren zudem einige Pilotprojekte, die schon umgesetzt werden könnten, bevor man das komplette menschliche Genom geschrieben hat. Darunter die Idee, einzelne Chromosomen herzustellen, um so Krankheiten zu untersuchen.

Es gibt aber auch noch viel grundsätzlichere Fragen, die sich mit der DNA-Synthese angehen lassen: Synthetisiert man die menschliche DNA, lässt sich beispielsweise einfacher herausfinden, welche ihrer Teile notwendig sind, um Leben zu ermöglichen. „Wenn man ein Genom frei synthetisieren kann, kann man einfach bestimmte Teile weglassen und schauen, ob die Zelle trotzdem noch funktioniert“, sagt Weber. Man kommt der Frage näher: Was ist Leben?

Wäre es  okay, das Genom von Einstein zu sequenzieren und dann zu synthetisieren?

Drew Endy und Laurie Zoloth, Biologen

Church und Boeke betonen immer wieder, dass es beim HGP-Write nicht darum gehe, die synthetische DNA zu nutzen, um einen Menschen ohne biologische Eltern zu erschaffen. Man wolle Zellen züchten, keine Menschen, sagte Church im Mai zur New York Times. Und trotzdem: Die Angst bleibt, dass genau das passieren könnte.

So sagte Marcy Darnovsky vom Center of Genetics and Society: „Die Sorge ist, dass wir ganze, optimierte menschliche Genome synthetisieren. Chromosomen herstellen, die schlussendlich dazu genutzt werden könnten, synthetische menschliche Lebewesen zu produzieren, die als verbesserte Modelle angesehen werden.“

Und der Biologe Drew Endy und die Bioethikerin Laurie Zoloth schreiben in einem Statement: „In einer Welt, in der die Reproduktion von Menschen schon jetzt zu einem kompetitiven Handel geworden ist, bei dem Eizellen, Sperma und Embryonen einen Preis haben, ist es einfach, sich weit aus seltsamere Anwendungen für die Möglichkeiten der menschlichen Genomsynthese vorzustellen. Wäre es beispielsweise okay, das Genom von Einstein zu sequenzieren und dann zu synthetisieren? Und wenn ja, wie viele Einstein-Genome sollten in Zellen eingesetzt werden und wer dürfte sie herstellen?”

Das Projekt muss nicht nur von Wissenschaftlern, sondern von der gesamten Gesellschaft begleitet werden.

Wilfried Weber, Biologe

Church und Boeke verstehen die Bedenken. „Wir haben diese Frage und verschiedene andere ELSI-Aspekte (ethical, legal and social implications) auf der Konferenz erörtert“, sagt Church. „Jede neue Therapie sollte und wird auch einer umfangreichen Kontrolle von Sicherheit und Wirksamkeit unterzogen.“ In ihrem Science-Paper sprechen sie die wissenschaftlichen ethischen Implikationen an und schlagen vor, einen Teil des Budget dafür zu verwenden.

Auch Weber sagt: „Das Projekt muss nicht nur von Wissenschaftlern, sondern von der gesamten Gesellschaft begleitet werden. Das hat in der synthetischen Biologie eine große Tradition und ich bin zuversichtlich, dass diese Punkte von den Autoren der Studie – die sehr in dieser Szene aktiv sind – adäquat adressiert werden.“

Um das HGP-Write-Projekt zu starten, wollen die Wissenschaftler hundert Millionen Dollar an Forschungsgeldern sammeln. Die Firma Autodesk beteiligt sich schon jetzt mit 250.000 Dollar und ist eng in Planung und Konzeption eingebunden. In der ersten Phase will man sich auf Projekte konzentrieren, bei denen etwa ein Prozent des menschlichen Genoms synthetisiert werden soll. Koordiniert wird das Projekt von der Non-Proifit-Organisation Center of Excellence for Engineering Biology, die bisher nur virtuell existiert.

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