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Find my kids: Überwachung selbst gemacht

von Johnny Haeusler
Über eine Million mal wurde der GPS-Tracker Find my kids bereits auf Smartphones installiert. Unser Kolumnist Johnny Haeusler fragt sich, was eigentlich mit Eltern los ist, die ihre Kinder lieber heimlich überwachen, statt sie auf das Leben vorzubereiten.

Es gehört ja durchaus auch zu den Aufgaben von Eltern, sich zu sorgen. Meine Söhne sind mittlerweile fast erwachsen, trotzdem sorge ich mich manchmal noch um sie. Isso. Kann man nichts gegen machen. Ich habe daher als Vater vollstes Verständnis für andere Eltern, die sich Sicherheit für ihre Kinder wünschen, die sie beschützen wollen und auch sollen.

Nicht einmal im Traum wäre ich aber jemals darauf gekommen, meine Kinder elektronisch zu überwachen (einzige Ausnahme: das Babyphone, das im Kinderzimmer stand, als die Jungs tatsächlich noch Neugeborene waren). Möglichst viele Erfahrungen müssen Kinder meiner Meinung nach selbst machen, natürlich Schritt für Schritt und anfangs begleitet, später aber immer selbstständiger. Ich glaube, das stärkt sie, macht sie fit für die Welt, die sie ohnehin irgendwann allein bereisen müssen.

Viele Eltern sehen das offenbar ganz anders, denn über eine Million mal wurde die App Find my kids laut Google Play Store bereits auf Android-Smartphones installiert (Zahlen für iOS liegen mir nicht vor, doch in beiden App-Stores sind die Bewertungen auffallend positiv).

Die App wird einmal auf dem Smartphone eines Elternteils installiert und ein weiteres Mal auf dem Gerät eines oder mehrerer Kinder. Natürlich braucht es die Bezahlung eines von verschiedenen Abo-Modellen, damit Eltern dann nicht nur die GPS-Position ihres Kindes (beziehungsweise dessen Gerät) und den aufgezeichneten Bewegungsverlauf einsehen, sondern zusätzlich auch das Mikrofon des Smartphones einschalten können. Außerdem kann die App-Nutzung des Kindes kontrolliert und ein lautes Geräusch gesendet werden. Spielt die Tochter etwa schon wieder am Handy? Einfach mal laut dazwischen brüllen! Und wenn das Kind einen zuvor eingestellten, zulässigen Bewegungsradius verlässt, bekommen Mama oder Papa einen Warnhinweis. Find my kids ist ein GPS-Tracker, ein fernsteuerbares Internetmikrofon und eine elektronische Hundeleine für Kinder. Also nichts anderes als Überwachungssoftware.

Entwickelt wurde Find my kids von genau dem russischen Unternehmen, das auch die GPS-Tracker-Armbanduhren für Kinder anbietet, die schon der Bundesnetzagentur ein Dorn im Auge waren.

Überwachung selbstgemacht

Als sei die ganze Sache für sich nicht schon gruselig genug, wirbt die Firma mit schlechtesten Übersetzungen für ihr Produkt („Bilden Zonen auf der Karte und bekommen Unterrichtungen, wenn das Kind außer bleibt!“) und mit dem Hinweis, dass sich die App natürlich auch auf dem Smartphone des Partners oder der Partnerin installieren lässt. Zwinker, zwinker.

Die Persönlichkeitsrechte der Kinder und anderer Personen interessieren Benutzerinnen und Benutzer der App offenbar eher weniger, wenn man Rezensionen wie „The best app for children security“ glauben darf. Doch auch abgesehen von rechtlichen Fragen schreibt mir die Software nur ein großes WTF? ins Gesicht.

Glauben Eltern tatsächlich, mit einem solchen Werkzeug den äußerst unwahrscheinlichen, weil sehr seltenen Fall einer Kindesentführung verhindern oder nachvollziehen zu können, in welchem der oder die Täter wohl als allererstes das Smartphone des Kindes verschwinden lassen würden? Drücken diese Eltern ihrem Kind zwar einerseits ein solches Smartphone in die Hand und lassen es allein, obwohl sie dem Kind ja augenscheinlich nicht genug dahingehend vertrauen, dass es sich in einem Notfall mit dem Handy melden und sich auch nicht selbstständig auf eine weite Reise begeben wird?

Fühlen sich diese Eltern nicht eklig, wenn sie heimlich das Mikro des Geräts ihres Kindes einschalten, um Gespräche verfolgen zu können? Und warum nehmen sich diese Eltern zwar die Zeit für die Installation dieses Irrsinns und die dauernde Prüfung der Position und Umgebungsgeräusche, statt sich mit dem Kind, möglichen Notfällen und der sinnvollen Nutzung des Geräts zu beschäftigen? Warum bauen Eltern die Beziehung zu ihrem Kind lieber auf Misstrauen statt auf Vertrauen auf?

Vertrauenskatastrophe

Find my kids macht Kinder nicht sicherer, sondern verunsichert Eltern noch mehr. Die pure Existenz der App schürt Ängste, die selten gerechtfertigt sein dürften, und vermittelt ein völlig irrationales Sicherheitsgefühl.

Deshalb, liebe Eltern. Wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Kind noch nicht allein zur Schule gehen kann: Bringen sie es ihm bei. Wenn sie Angst haben, dass sich ihr Kind von Fremden zu unguten Dingen verleiten lassen könnte: Sprechen sie mit ihrer Tochter oder ihrem Sohn über böse Menschen, über die Meisterung schwieriger Situationen, über die Möglichkeiten, Hilfe zu bekommen, online wie offline. Und wenn sie ihrem Kleinkind schon einen Taschencomputer anvertrauen, dann klären sie doch bitte auch, wie dieser zu benutzen ist und wie sie in Kontakt bleiben können.

Nichts auf der Welt wird ihr Kind so sehr auf das Leben und seine Fallen und Tücken vorbereiten können, wie sie selbst. Und selbst mit bester Vorbereitung und der besten Technologie werden Restrisiken für alle Menschen bleiben, welche die allermeisten von uns aber recht gut gemeistert haben, auch in Zeiten ohne Smartphones. Vor allem wird aber das Vertrauen, das sie ihrem Kind in jedem Alter entgegenbringen, für den Rest ihres gemeinsamen Lebens und darüber hinaus halten und das Kind, den Menschen, stärken. Während der Schaden irreparabel sein könnte, der entstehen wird, sobald das Kind herausgefunden hat, dass es von ihnen überwacht wurde.

Johnny Haeusler

Johnny Haeusler

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