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The Beyond erzählt vom Transhumanismus in der Raumfahrt

von Michael Förtsch
Wann ist ein Mensch noch Mensch und ab wann wird er zur Maschine? In „The Beyond“, dem Feature-Film-Debut eines britischen Special-Effects-Künstlers, muss sich die Menschheit eben jener Frage stellen. Denn nur so ist es ihr möglich, die Grenze in eine neue Welt zu überschreiten.

In 100 Jahren müssen wir eine neue Heimat finden. Diese Warnung hat der Astrophysiker Stephen Hawking im vergangenen Jahr ausgesprochen. Denn der Klimawandel, die Verseuchung der Meere, die Erosion von Ackerflächen, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Mensch an sich würden unseren Heimatplaneten zu Grunde richten. Eher früher als später wird er sich in eine feindliche Lebenswelt transformieren. Flucht wäre die einzige Möglichkeit, um die Spezies Mensch zu erhalten. Aber eine neue Heimat in den Weiten des Alls finden? Das wäre ein unvorstellbarer Kraftakt. Wobei die technologische Herausforderung die kleinste Hürde wäre, die es zu überwinden gilt.

„Ich denke, das was sich viele von uns fragen, ist, wie weit wir als menschliche Wesen gehen würden, um zu erreichen, was wir tun wollen oder müssen“, sagt Hasraf 'Haz' Dulull. Der Brite ist ein gefeierter Special-Effects-Künstler. Er hat an Christopher Nolans Batman-Saga, Ridley Scotts The Martian und zuletzt auch an Denis Villeneuves Blade Runner 2049 mitgewirkt. Bekannt wurde er aber vor allem mit ambitionierten und optisch spektakulären Kurzfilmen wie Sync, IRIS und Project Kronos. In ihnen greift er die Tücken und die Wankelmütigkeit von Künstlicher Intelligenz und des technologischen Fortschritts als solches auf und fragt, was geschieht, wenn sich die Menschen von der Technik übervorteilen lassen.

Mit The Beyond hat Dulull nun seinen ersten Langfilm produziert, der ungewöhnlich wie auch faszinierend ausfällt. In ihm ist die Menschheit gezwungen, eine bislang undenkbare Grenze zu überschreiten. Astronomen entdecken im Jahr 2019 unweit der Erde eine Verzerrung im Raum-Zeit-Gefüge. Es ist ein Loch im All, das Materie aufsaugt und ausspuckt. Die Raumfahrtagentur The Space Agency beginnt mit einer Untersuchung der 243/B getauften Anomalie. Eine Sonde, die in das Wurmloch hineingeschickt wird, sendet ein einziges Bild zurück: Das eines erdähnlichen Planeten – eine zweite Heimat für die Menschheit oder womöglich hingegen eine Falle. Denn wenig später tauchen über hunderten Städten auf dem Globus riesige Sphären aus einem wabernden Material auf. Sie scheinen zu beobachten und zeigen sonst keine Reaktion.

Die einzige Chance auf Antworten? Eine Flug in die Anomalie. Jedoch würden die Kräfte innerhalb des Phänomens die Astronauten zerreißen und die Strahlung ihnen das Fleisch von den Knochen kochen. Dazu ist unklar, wie lange ihre Exkursion dauern könnte und wie sie am Ende des kosmischen Durchgangs überleben sollen. „Es ist unsere organische Struktur, die uns beschränkt“, sagt Dulull. Daher werden die Gehirne von Freiwilligen in humanoide Roboter-Körper verpflanzt, die den Kräften des Wurmlochs widerstehen können. Das ist eine Idee, die Dulull erstmals in seinem Kurzfilm Project Kronos anschnitt aber „aber damals leider nicht in aller Tiefe erforschen konnte.“ In einer Kapsel werden diese Humans 2.0 hinüber geschickt, um „Kontakt zur andere Seite aufnehmen“ und wieder zurückzukehren – hoffentlich.

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Für den Regie-Debutanten ist diese Idee keine bloße Science-Fiction-Vision, sondern ein ethisches Dilemma, das Debatten und Aufmerksamkeit verdient. Jedenfalls, wenn sich die Menschheit weiterentwickeln und die Grenzen unseres Sonnensystems wirklich verlassen und Erkundungsmissionen in andere Sternensysteme unternehmen will. „Das große Problem, das, was uns zurückhält, ist nicht Technologie“, sagt der Dulull. „Es ist die Sache mit unseren Körpern, die wir lösen müssen.“ Denn bei den physischen und zeitlichen Belastungen, die eine solche Reise bedeute, wäre es „vielleicht der einzige Weg für uns“, transhumane Lebensformen zu werden; unser Gehirn oder unseren digitalisierten Verstand in synthetische Körper zu transferieren.

Inszeniert ist The Beyond nicht als klassischer Spielfilm, sondern im Stile einer TV-Dokumentation: Eine Mockumentary. Dafür reiht Dulull gestellte Interviews mit fiktiven Figuren wie der Space-Agency-Chefin Gillian Laroux, dem Astrophysiker Jakob Brukiehm und Astronauten wie Cassandra Knowles an Ausschnitte aus TV-Berichten, vermeintliche Amateuraufnahmen und fantastische Bilder der Kameras im All. Sie fügen die Geschichte zusammen. „Ich wollte den Realismus einer Dokumentation emulieren“, sagt der Regisseur Hasraf Dulull. The Beyond solle damit auf die gleiche Weise „gefangen nehmen wie eine gute Reportage“ und den Zuschauern auch Aufmerksamkeit abverlangen.

Hasraf Dulull ist sich bewusst, dass The Beyond als Mockumentary nicht gerade als Action-Kracher oder Science-Fiction-Blockbuster gefeiert würde. Aber es erlaube ihm, „die Ideen und Fakten rüberzubringen, die mir wichtig sind“. Auch wenn sein Streifen ein fiktives Science-Fiction-Szenario zeigt, solle die präsentierte „Technologie mindestens plausibel erscheinen, wenn nicht sogar in Zukunft zur Wirklichkeit werden können.“ Die Zuschauer sollten nicht alle paar Minuten mit den „Augen rollen müssen“. Ein Jahr habe er daher in die Recherche investiert, nach technologischen Errungenschaften und futuristischen Konzepten gestöbert und über Problemen gebrütet, mit denen Wissenschaftler und Astronauten konfrontiert werden könnten.

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Vor allem hinter dem Human 2.0 „steht mehr Wissenschaft als Fiktion“, behauptet Dulull. „Es gab über die letzten Jahre viele Studien, die die nötigen Aspekte ausleuchten.“ Die Mockumentary geht daher detailreich auf die Konstruktion der artifiziellen Körper ein. Sie werden durch Graphen leicht aber stabil gehalten. Sie simulieren eine eigentlich unnötige Lungenaktivität und ein Blinzeln der Augenlider, um die Automatismen des Gehirns und Verstandes zu adressieren. Verbunden werden das biologische Gehirn und der synthetische Körper durch ein biochemisches Gel und Faseroptiken – ein Brain-Computer-Interface, wie es Start-ups wie Neuralink und Kernel entwickeln wollen. Aber: Wie menschlich wäre dieser Human 2.0 noch?

„Ein Wissenschaftler, der mich da über alle Maßen inspiriert hat, ist Sebastian Seung“, sagt Dulull. „Er ist ein Genie, das in so ziemlich allen spannenden Feldern arbeitet. Seien es nun die Neurowissenschaften, Physik oder Bioinformatik.“ Der Princeton-Wissenschaftler versucht seit Jahren zu ergründen, wie und wo sich im Gehirn nun eigentlich die Persönlichkeit und der Charakter eines Individuums verbergen. Vor wenigen Jahren will er die Antwort entdeckt haben. Er glaubt, dass sich unser „Ich“ in den dünnen neuronalen Verbindungen zwischen den Nervenzellen versteckt: In den sogenannten Konnektomen. Mehrere Initiativen arbeiten gegenwärtig daran, Möglichkeiten zu entwickeln, die Fasern zu kartieren und archivieren.

„Das hat meine Art, wie die Wissenschaft um den Human 2.0 im Film dargestellt wird, maßgeblich geprägt“, sagt Dulull. Gelingt eines dieser irrsinnigen Kartographievorhaben, so hoffen der Princeton-Wissenschaftler Seung und seine Fachkollegen, könnte vielleicht irgendwann das Rätsel gelöst werden, was uns nun wirklich menschlich macht. Und damit auch die Frage danach, ob wir unsere Menschlichkeit verlieren, wenn wir unseren biologischen Körper zurücklassen sollten. „Die Antwort in meinem Film ist: Dein Bewusstsein ist es, was dich ausmacht, das was in deinem Gehirn vorgeht und in deinem Verstand“, sagt der The-Beyond-Regisseur. „Das ist's, was uns als Mensch definiert – nicht der Körper.“

The Beyond ist unter anderem auf Vimeo und Google Play verfügbar.

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