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Liebes Facebook, Transparenz ist nicht dein Feind

von Max Biederbeck
Tausende Seiten Sex, Gewalt, Mobbing und Hass. Facebooks geleakte Schulungsdokumente zeigen: Der Konzern setzt sich mit den Problemen im eigenen Netzwerk auseinander. Allein bewältigen kann er sie aber nicht. Warum veröffentlicht Facebook deshalb nicht einfach selbst seine Richtlinien und holt sich Hilfe? Ein Kommentar.

Facebook will da etwas alleine machen, was es nicht alleine machen sollte. Der Guardian veröffentlicht am Wochenende über 100 Schulungsdokumente aus dem Inneren des sozialen Netzwerks. Tausende Seiten, die zeigen, wie das Unternehmen seine Lösch-Mitarbeiter auf Kurs bringen will. Man fragt sich jedoch, warum Facebook solche Dokumente nicht selbst an die Öffentlichkeit trägt. Das würde dem Unternehmen bei Problemen helfen, die es allein nicht lösen kann.

Die Dokumente zeigen: Was Facebook seinen Mitarbeitern eintrichtern will, ist komplizierte Materie. Es geht um Themen wie Missbrauch, Gewalt, Hassrede und Mobbing. Hinter all diesen Begriffen stecken soziale Phänomene. Sie kommen in zahlreichen Graustufen vor, jeder User interpretiert sie anders, manchmal gibt es keine einfache Lösung. Ein Beispiel: Sollte man den Livestream eines Suizidversuchs abschalten? Oder sollte er weiterlaufen, weil er als digitaler Hilfeschrei zur Rettung führen könnte?

Wer bei Facebook löscht, muss alles auf einmal sein: Psychologe, Jurist, Sozialwissenschaftler. Das kann überhaupt nicht gehen

Facebook, so zeigen die Dokumente auch, erörtert diese Fragen im mühsamen Klein-Klein mit Experten. Man kann dem Netzwerk also nicht vorwerfen, dass es sich nicht kümmern würde. Das ist gut, aber nicht zielführend. Die einzelnen Mitarbeiter der Lösch-Teams bleiben überfordert, auch wenn sie einen Tausende Seiten langen Leitfaden zur Hand haben. Jene Mitarbeiter etwa, die wegen physischer und psychischer Überlastung kaum noch ihren Job machen können.

Diese Menschen erreicht jeden Tag eine Flut an Kommentaren, Bildern und Videos. Sie werden angesichts dieser Masse kaum die Zeit haben, auch noch jeden Einzelfall im Leitfaden nachzuschlagen. Zumal im Internet gefühlt täglich tausend neue Phänomene auftauchen, die darin noch gar nicht stehen können. Wer bei Facebook löscht, muss alles auf einmal sein: Psychologe, Jurist, Sozialwissenschaftler. Das kann überhaupt nicht gehen.

Die Verantwortlichen bei Facebook sollten stattdessen begreifen, dass Transparenz nicht ihr Feind ist. Wenn Probleme wie etwa ein Suizid-Video als das diskutiert werden, was sie sind: als komplizierte gesellschaftliche Phänomene. Dann ist so eine Debatte keine Gefahr für den Ruf von Facebook, sondern der erste Schritt hin zu einer Lösung. Nur die öffentliche Debatte kann Verständnis fördern und Standards dafür erarbeiten, wie man mit bestimmten Inhalten umgeht.

Soziale Kultur und Mündigkeit lassen sich nicht für eine Gesellschaft regeln, auch nicht für eine digitale, sondern nur mit ihr. Facebook muss deshalb seine digitale Blackbox zumindest an einigen Stellen öffnen und die Debatte ermöglichen. Es sollte dazu keine Leaks brauchen.

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