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Es ist kompliziert: Google in Kreuzberg

von Johnny Haeusler
Auch unser Kolumnist Johnny Haeusler wünscht sich bezahlbaren Wohnraum für alle und hält nicht viel von Immobilienspekulanten. Aber Teile des Protests gegen den Google-Campus in Kreuzberg sind ihm zu undifferenziert und technikfeindlich. Außerdem haben manche Google-Gegner ein Glaubwürdigkeitsproblem.

In der Liste der Dinge, die Google wirklich clever gemacht hat, dürfte die inzwischen gescheiterte Idee eines Google-Campus’ mitten in Kreuzberg einen der hinteren Plätze belegen. Denn der Bezirk ist ganz besonders in den Gegenden des berühmt-berüchtigten ehemaligen Postleitzahlengebiets „36“ bekannt dafür, kein Freund von Großkonzernen zu sein. Und so gab es nach dem Verkauf des Umspannwerks in der Ohlauer Straße an Google auch eher wenig Willkommensjubel.

Aus Sorge um weiter steigende Mieten und Verdrängung der bestehenden Strukturen und Bewohnerinnen hatten sich mehrere Initiativen gegründet, die sich lautstark und zuletzt durch eine vorübergehende Besetzung gegen den Google-Campus wehrten, der Konzern legte seine Pläne für einen Coworking-, Start-up- und Netzwerk-Space auf Eis und übergab die Zuständigkeit für die Räumlichkeiten an die Spendenplattform Betterplace und die Sozialgenossenschaft Karuna. Beide Unternehmen sollen sich darum kümmern, dass im Umspannwerk in Zukunft soziale Projekte und Events gefördert werden.

Protest gegen Gentrifizierung ist begrüßenswert, aber…

Die Sorge um die fortschreitende Gentrifizierung Berlins ist berechtigt. Denn das Spiel ist immer das gleiche, weltweit: Zunächst ziehen junge Menschen, Studentinnen und Selbstständige mit wenig Geld in günstige Stadtgebiete und werten diese durch ihre Anwesenheit und Aktivitäten sowie neue Infrastruktur auf. Cafés und Boutiquen entstehen, die Gegend wird jünger, frischer, attraktiver. Auch für Investorinnen, die durch steigende Immobilienpreise hohe Renditen in kurzer Zeit wittern. Und die kein Problem damit haben, alteingesessene Mieterinnen zu verdrängen, um Wohnungen in sanierten Häusern zu sehr viel höheren Preisen vermieten oder verkaufen zu können. Die Gegend, die zuvor von Diversität, mehreren Generationen und gewachsenen Strukturen (teilweise aber auch von verwahrlosten Gebäuden und Straßen) bestimmt war, verliert ihren Charakter und ihre oft seit Jahrzehnten ansässigen Bewohnerinnen.

Man könnte Prozesse begrüßen, die sich über viele Jahre hinziehen, niemanden auf der Strecke lassen und durch behutsame Politik und Bestandsschutz begleitet werden. Man könnte langsame Veränderungen mit der Hoffnung auf steigende Lebensstandards für alle begrüßen. Doch das setzt Planung, Weitsicht und städtische Investitionen voraus. Das schnelle Geld „von außen“ will es jedoch anders und nimmt dabei keine Rücksicht auf Verluste. Dass sich also Proteste gegen Gentrifizierung formieren, die als Bremse bei den für einige Menschen folgenschweren und schädlichen Entwicklungen mitwirken können, ist generell begrüßenswert.

Ob die Fokussierung auf einzelne Projekte wie den Google-Campus dabei aber besonders zielführend ist, bleibt jedoch zweifelhaft. Denn die Möglichkeit des Ausverkaufs der Bezirke, ihrer Gebäude, Wohnungen und Menschen kontrollieren weder Google noch andere Unternehmen, sondern die Politik, die Stadt, der Senat. Dort wird entschieden, wie sich eine Stadt und ihre Bezirke entwickeln und wie mit Immobilien verfahren werden darf. Dort müssen Proteste ankommen.

Verantwortlich ist vor allem die Politik

Ich glaube nicht, dass Google oder die Tech-Branche mit längerfristigen Vorhaben die Hauptschuld an Gentrifizierungsproblemen, Leerstand, Verdrängung tragen, sondern eher das Geflecht der schnellen Immobilienspekulation. An dem ist zwar auch mancher Tech-Konzerne beteiligt, jedoch nicht vorrangig oder gar allein. Die Art und Weise, wie mit Immobilien, also lebenswichtigem Wohn- und Arbeitsraum umgegangen werden kann und die u.a. dieser sehr lesenswerte Artikel von Sebastian Erb beschreibt, wird politisch bestimmt, unterstützt oder eben auch verhindert. Wie der Text aufzeigt, genügt es nicht, gegen Google zu protestieren. Sondern mindestens auch oder stattdessen gegen ominöse Briefkastenfirmen und vor allem gegen Politik, die solche Geschäfte zulässt oder gar fördert.

Tatsächlich ist es natürlich medienwirksamer, sich „Fuck off, Google!“ auf die Fahnen zu schreiben und mal mehr und mal weniger berechtigte Vorwürfe gegen den Konzern mit Fotos von Donald Trump als Terminator zu bebildern. Und klar kann man auch mal sagen, „Google ist und bleibt ein Scheiß-Konzern“, und gleichzeitig auf der eigenen Seite Google-Ads einbinden. Die dann, um die Absurdität komplett zu machen, bei meinem Aufruf der Seite Werbung für recht zwielichtige Investitionswebsites anzeigen. Und man kann sich auch für Open-Source-Software stark machen und dabei unerwähnt lassen, dass Google gemeinsam mit Microsoft zu den mit Abstand größten Beitragenden zu Open-Source-Projekten gehört.

Dabei findet das Engagement von Großkonzernen im Open-Source-Bereich genauso wenig wie die Übernahme des Linux-Spezialisten Red Hat durch IBM für 34 Milliarden Dollar aus Gutmütigkeit statt. Längst ist Open Source eben ein Teil des Megageschäfts der Technologiebranche, ohne die wiederum Open-Source-Software vielleicht nicht den hohen Stellenwert hätte, den sie genießt. Aber ja, klar, man kann diese ganzen komplexen Zusammenhänge stark vereinfachen, um seine Ziele zu verfolgen. Wie glaubwürdig man dann ist, steht aber auf einem anderen Blatt.

Mancher Protest richtet sich gegen die gesamte Tech-Szene

Um fair zu sein: Einige Anti-Google-Initiativen geben gar nicht vor, dass es ihnen allein um Verdrängung und Mietsteigerungen ginge. Ihr Protest richtet sich gegen den technologischen Fortschritt, die gesamte Tech-Szene, die bestehenden Herrschaftsstrukturen im Allgemeinen. Auch dabei kann ich einige Wut nachvollziehen, ich finde es nur zwiespältig, wenn der eigene Wunsch nach einem Systemumsturz und dem Verschwinden bestimmter Branchen und damit auch Menschen auf Basis massiver Vereinfachung der Zusammenhänge quasi als allgemeiner Bürgerwille ausgegeben wird.

Genauso wie einige der Initiativen verlange ich eine Stadt- und Wohnpolitik, welche die Menschen über das Kapital stellt, bestehende Gemeinschaften schützt und Mietsteigerungen verhindert, die Anwohnerinnen verdrängen. Mir wäre aber sehr unwohl, würden einzelne Gruppierungen bestimmen, wer in welchen Gegenden Geschäftsräume anmieten darf und wer nicht. Teile des Protestes erscheinen mir daher ähnlich ambivalent wie ihre Zielscheibe Google. Es ist und bleibt eben kompliziert.

Johnny Haeusler

Johnny Haeusler

von GQ

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