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Warum es nicht lustig ist, dass Edward Snowden euch vor Katzen-Spam bewahren muss

von Jürgen Geuter
Ein Programmierer sendet Twitter-Nutzern, die ihre Telefonnummer ins Netz gestellt haben, Spam-SMS mit Katzenfakten. Er hört erst auf, wenn sie ein Geständnis an Edward Snowden twittern. Auch WIRED berichtete darüber — und kassierte Kritik. Ist das Ganze eine witzige Aktion? Nein, eine Form von Erpressung und Belästigung, widerspricht Jürgen Geuter.

Katzen, Snowden und „irgendwas mit Privatsphäre“. Aus diesem Fastfood-Menü für digitalen Aktivismus speist sich die in diesem WIRED-Artikel beschriebene Aktion: Irgendjemand durchsucht die Twitter-Datenbestände nach persönlichen Telefonnummern (zum Beispiel aus Tweets) und schickt den Betroffenen so lange SMS mit Informationen zu Katzen, bis sie Edward Snowden in einem Tweet „Meow, I <3 catfacts“ schicken.

Stellen wir uns vor, dasselbe wäre ohne Referenz auf Katzen und Snowden passiert und ohne das vorgebliche Ziel des Schutzes der Privatsphäre. Stellen wir uns vor, jemand würde uns so lange SMS mit Viagra Werbung schicken, bis wir fünf Euro oder sieben Bitcoins — oder was auch immer Scam-Artists gerade so akzeptieren — bezahlen. Wir wären wütend über diese Form der Erpressung, die Verstopfung und unserer Kommunikationskanäle. Erpressung ist eben auch dann nicht in Ordnung, wenn sie „für die gute Sache“ passiert.

Mit welchem Recht darf diese Person andere so lange belästigen, bis sie sich so verhalten, wie sie das anordnet?

Und ist die Sache überhaupt gut? Der WIRED-Artikel beginnt mit dem Satz: „Eigentlich sollte jedem klar sein, dass weder die eigene Adresse, Telefonnummer noch andere allzu brisante Privatinformationen etwas in einem Tweet zu suchen haben.“ Aber stimmt das? Warum hat meine Telefonnummer, die ich bewußt und freiwillig auf Twitter poste — zum Beispiel, um sie einem Freund zur Verfügung zu stellen — „nichts auf Twitter zu suchen“? Diese Aussage erinnert nicht zufällig an die Hinweise an Frauen, sich doch bitte anders anzuziehen, um Belästigung zu vermeiden. Man nennt dieses Argumentationsmuster „Victim Blaming“, also die Schuldzuweisung an die Opfer einer Handlung.

Die Person hinter der Aktion ist offensichtlich der Meinung, dass die eigene Telefonnummer nicht an die Öffentlichkeit gehört. Um die Zuordnung Person zu Telefonnummer zu erschweren etwa, oder um keine ungewollten Anrufe zu bekommen. Das ist ja auch völlig in Ordnung. Aber mit welchem Recht maßt sich diese Person an, andere so lange belästigen zu dürfen, bis sie sich genauso verhalten, wie er oder sie das anordnet? Und warum wird diese Person dafür von vielen gefeiert?

Es geht nicht um Aufklärung, sondern darum, Menschen für angebliche Fehler zu beschämen.

Die Aktion klärt nicht auf oder warnt Menschen (wenngleich ungefragt) bezüglich ihres Handelns. Selbst wenn die Betroffenen über ihr Handeln nicht nachgedacht hatten und von Aufklärung profitieren könnten, sind sie nach dieser Aktion kein Stück schlauer oder besser in der Lage, die Konsequenzen der Veröffentlichung persönlicher Daten einzuschätzen. Alles was sie gelernt haben, ist dass sie jemand belästigt, bis sie ein paar magische Worte an Snowden schicken. Und zur Strafe sprichst du nun drei „Gegrüßet seist Du, Edward Snowden“.

Der vorliegende Fall ist eine perfekte Fallstudie. Nicht zu den Gefahren der Veröffentlichung personenbezogener Daten, sondern dafür, dass die Rezeption von digitalen Aktivismus viel zu häufig übergriffiges, paternalistisches und entmündigendes Verhalten der „guten“ Sache wegen legitimiert und die eigenen vorgeschobenen Grundsätze verletzt. Es geht hier nicht um Aufklärung einer als offensichtlich inkompetent wahrgenommenen Bevölkerung, sondern darum, Menschen für angebliche Fehler zu beschämen, indem sie öffentlich das Mea Culpa an Snowden twittern müssen, damit die Belästigung aufhört.

Trotz aller Katzenfakten ist an diesem Fall nichts lustig, niedlich oder wertvoll. Die Aktion ist kein Beitrag zu einem bewussteren, souveräneren Umgang mit personenbezogenen Daten, kein Beitrag zur Debatte um die Ausgestaltung von Privatsphäre und Datenkontrolle und kein Beitrag zur Weiterentwicklung unseres gesellschaftlichen Verständnisses des Digitalen. Wir haben hier nur einen anonymen Tyrannen, einen Bully, der die eigene Macht und Fähigkeiten missbraucht, um anderen Menschen durch Gewalt (und so ist Belästigung zu bewerten) Verhalten aufzuzwingen. Wer auch immer das Tool entwickelt hat, ist kein digitaler Held und Aufklärer, sondern verstößt bewusst und aktiv gegen genau die Werte, für die er oder sie angeblich streitet. 

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